Karl-Heinz Ott philosophiert in Balingen über Beethoven und andere Buchautoren

Von Silke Thiercy

„Die Leute waren genervt von Beethovens Musik, es war ihnen zu laut, die wollten lieber nebenher quatschen.“ Karl-Heinz Ott lacht mit dem etwas spärlichen Publikum am Freitagabend im kleinen Saal der Balinger Stadthalle. Der Freiburger Philosoph und Dramaturg hat sich mit dem Leben und Werk des Genies auseinandergesetzt und in Balingen sein neues Buch vorgestellt.

Karl-Heinz Ott philosophiert in Balingen über Beethoven und andere Buchautoren

Humorig, mit Wortwitz und viel Empathie stellte am Freitagabend der Autor, Philosoph und Dramaturg Karl-Heinz Ott in der Balinger Stadthalle Ludwig van Beethovens Werk und dessen Feinheiten einem kleinen, sehr interessierten Publikum vor. Das Buch „Rausch und Stille – Beethovens Sinfonien“ ist im Buchhandel erhältlich.

Beethoven. Kennt jeder. Aber den 1770 geborenen Komponisten verstehen? Das fällt auch heute noch schwer. Karl-Heinz Ott hat sich auf die Suche nach Beethovens Hintergrund gemacht und einen ungewöhnlichen Musikführer geschrieben. Derlei gäbe es, sagt er selbst, zu Hauf auf dem Markt. Keiner aber habe jemals in verständlichem deutsch erklärt, was die Faszination des Jahrtausendgenies überhaupt ausmache.

Eingeladen zu dem Abend, dem gut 40 Zuhörer gefolgt haben, hatte Jürgen Rieger von der gleichnamigen Buchhandlung. Weil in der kein Flügel für Musikbeispiele Platz hat, war Stadthallen-Geschäftsführer Matthias Klein sofort bereit, den kleinen Saal für das Event frei zu geben. Und saß selbst im Publikum, das staunend weiter und weiter in den Kosmos des Ludwig van eintauchte. Nicht ohne ein gepflegtes Bierchen nach dem Event zu verabreden. Denn Ott, mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, ist einer zum Anfassen. Und will um Anfassen vermitteln.

Seitenhiebe auf Kollegen bleiben nicht aus

Das tat er am Freitagabend mit viel Elan und Sprachwitz. Und einem kleinen Seitenhieb auf die Kollegen der anderen Beethoven-Bücher, die „so trocken sind, dass das Lesen eine Qual ist.“ Das Zuhören war es nicht. Im Gegenteil. Mit bildhafter Sprache, mal wuchtig, mal sanft wie die Musik Beethovens, entführte der in Freiburg lebende Dramaturg sein Publikum ins 18. Jahrhundert, in die Zeit der Aufklärung, als die Kirche ihre Macht als allein Sinn-Wissendes Gebilde verlor.

Und er überraschte. Etwa mit der Tatsache, dass es zu Beethovens Zeiten keine Konzertsäle gab und Musik allein zur Hintergrund-Untermalung an den Fürstenhöfen gespielt wurde. Das gemeine Volk hörte Lieder in der Kirche. Mit Gesang und einer klaren Botschaft. Bis dann einer kam wie Beethoven, der Musik ganz ohne Text schreib. Ein Eklat.

Und die Zeit der Aufklärung. Die Menschen bestimmen ihre Wahrheit selbst. Die ersten Museen werden eröffnet. Die Musik ist nicht mehr nur religiös und die Kunst, ab Dichtung, Musik oder Malerei, widmet sich den Fragen nach dem Sinn des Lebens.

Beethoven, der Rebell

Ein Rednerpult und einen Flügel – mehr braucht der 1957 in Ehingen an der Donau geborene Ott nicht, um Beethoven in Balingen lebendig werden zu lassen. „Damals wurde Goethes Werther wichtiger als die Bibel“, erklärt er. Und auch, dass zu jener Zeit die Musik begann, ohne Sänger auszukommen. Beethoven also ein Rebell war. „Man lauscht den Klängen, weiß aber nicht, was sie bedeuten.“ Dass da irgendwann einmal „Schicksal“ oder „Mond“ darüber geschrieben worden sei – reiner Zufall, reine Spinnerei von Zeitgenossen. Denn Beethoven selbst hat seinen Kompositionen nie Titel gegeben.

Wie auch in einer Zeit, als die Musik reine Hintergrundbeschallung war für die feine Gesellschaft. Für den großen Ludwig nicht. Wenn die Grafen, die sein Salär bezahlten, ihm nicht zuhörten, dann schlug er wütend den Klavierdeckel zu. Aber bis heute ist eines geblieben: Beethoven muss man zuhören, sonst nervt die Musik wie Freejazz. Bis heute allerdings gibt sie Rätsel auf. Wie auch zu Lebzeiten des Genies. E.T.A. Hofmann widmete Beethovens 5. Sinfonie fast 40 Seiten in der ersten Musikzeitschrift der Geschichte. „Denn die Musik selbst sagt uns ja ums Verrecken nicht, worum es geht“, so Ott.

Beethoven bleibt in den Köpfen

Für Rousseau war solcherlei Musik dekadent und entartet. Eine Geschmacklosigkeit, die nicht von langer Dauer sein könne. Bis heute weckt sie aber Assoziationen. Die, so Ott, manchmal auch falsch sein können. Die „Waldsteinsonate“ habe zum Beispiel nichts mit einer kitschigen Lichtung zu tun. Sondern sei im Auftrag für einen Grafen Waldstein entstanden. Im französischen heißt das Werk „L’Aurore“. Die Morgenröte.

Es war ein humorvoller, fundierter Exkurs in die Musikgeschichte, den Ott am Freitagabend seinem Balinger Publikum bot. Und auch, wenn der Philosoph Sören Kierkegaard die Musik ohne Gesang als schnell verschwindende, debile Mode bezeichnete – Beethoven bleibt. In Balingen und überall.