Jeder Tritt für syrische Kinder: Laufener Ehepaar überquert Alpen von Garmisch nach Brescia

Von Rosalinde Conzelmann

„Auf dieser Route tragen einen sprichwörtlich die Füße quer über die Alpen“, heißt es in der Beschreibung des „L1“, der von Garmisch-Partenkirchen bis Brescia führt. Die Füße von Jörg Wingert und Angelika Lischerong stellen sich diesem Abenteuer: Am 18. August starten die Eheleute, die in Laufen leben, ihre Benefiz-Extremwanderung mit rund 485 Kilometern und 60.000 Höhenmetern. Warum ihre Füße für Kinder in Syrien laufen, erzählen sie im ZAK-Gespräch.

Jeder Tritt für syrische Kinder: Laufener Ehepaar überquert Alpen von Garmisch nach Brescia

Jörg Wingert und Angelika Lischerong sind in den Bergen zuhause. Jetzt wandern sie für syrische Flüchtlingskinder.

Wie kommt nur auf so eine verrückte Idee? Denn der „L1“ ist eine anspruchsvolle Alternative zu den bekannten Klassikern der Alpenüberquerungen, heißt es in einem Wanderführer. Die Tour verläuft auf einsamen, eher schwierigen Bergpfaden, auf denen man die sprichwörtliche Bergeinsamkeit noch hautnah erleben kann. Es geht über schroffe Gipfel, durch einsame Täler und zu urigen Hütten. Bei der anspruchsvollen Hochgebirgstour werden alpine Grunderfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit vorausgesetzt.

Beide sind leidenschaftliche Wanderer

„Kein Problem für uns, das haben wir“, sagt Jörg Wingert lachend. Der Bautechniker, der in Dürrwangen aufgewachsen ist und seit 6 Jahren bei der Stadt Geislingen beschäftigt ist, liebt das Bergwandern ebenso wie seine Ehefrau Angelika Lischerong, die aus Laufen stammt. Dort lebt das Paar seit 13 Jahren.

Als sie sich 2021 das Ja-Wort gegeben haben, ist ihr beider Traum wieder ganz in den Mittelpunkt gerückt: „Einmal gemeinsam ans Meer laufen.“ Bis zum Meer reicht es jetzt zwar nicht, dafür wollen sie mit ihrer Spendenwanderung Gutes tun und Kindern helfen, denen es nicht so gut geht. „Weil wir das Glück haben, dass wir 4 gesunde Kinder und 2 Enkelkinder haben“, sagt Angelika Lischerong. Die 57-Jährige treibt das Leid vieler Kinder in unserer Welt um, deshalb will sie helfen und dafür sprichwörtlich ihre ganze Kraft einsetzen.

„Für jeden gelaufenen Kilometer, den wir schaffen, werden wir etwas spenden“, kündigt die Bekleidungsschneiderin an, die sich mit Radfahren, Laufen und Wandern fit hält. Die eigene Spende ist das eine, das Ehepaar möchte mit seiner Aktion aber auch andere motivieren, etwas zu geben. Und zwar für syrische Kinder.

Spenden sind für Schulcamp

Der Verein „Im Ländle“ hat mit der finanziellen Unterstützung des Zollernalbkreises ein Schulcamp in Adana in der Türkei an der syrischen Grenze für gebaut. Dort lernen über 60 Kinder, die mit ihren Familien aus Syrien geflüchtet sind, lesen, rechnen und schreiben. Und dorthin gehen alle Spenden. Der Verein „Im Ländle“ hat deshalb die Schirmherrschaft für das Wanderprojekt übernommen.

Ötztal ist ihre zweite Heimat

Die Entscheidung für den „L1“ ist bereits vor 3 Jahren gefallen, dann machte Corona die Wanderpläne zunichte. „Das Ötztal ist unsere zweite Heimat, deshalb diese Wahl“, erläutert Jörg Wingert. Der 58-Jährige ist ebenso konditionsstark wie seine Ehefrau. Wenn es das Wetter zulässt, fährt er mit dem Fahrrad von Laufen nach Geislingen ins Rathaus.

„Amy“ bleibt dieses Mal daheim

Das fitte Ehepaar schöpft bei seinen Wanderungen und Touren wieder Kraft für den Alltag und die große Patchworkfamilie, die das Spendenprojekt ihrer aktiven Eltern und Großeltern voll unterstützen. „Amy“, eine Jack-Russell-Hündin, gehört im Übrigen auch zur Familie und ist bei den Touren normalerweise dabei. Beim „L1“ allerdings bleibt si daheim, weil Frauchen und Herrchen kein Risiko eingehen wollen.

Die längste Ost-West-Überquerung

Denn der Weg, der in diesem Fall das Ziel ist, hat es in sich. Der „L1“ ist die längste Ost-West-Überquerung. Insgesamt sind es 26 Tagesetappen; die kürzeste mit 7 Kilometern; die längste mit 23 Kilometern. Viermal wird das Wanderpaar über 3000 Meter aufsteigen. „Da muss man dann mit allem rechnen“, sagt Jörg Wingert. Sprich, es könnte Schnee liegen. Zudem enthält die Route auch Gletscherquerungen. Der höchste Punkt ist der Seykogel (3360 Meter), bei gutem Wetter mit Traumblick auf die Wildspitze, Similaun und Weißkogel.

Beim 100-Kilometer-Lauf dabei

Dass sie zuweilen an ihre körperlichen Grenzen kommen werden, damit rechnen die beiden. Dass sie es aber nicht schaffen, ist kein Thema. „Wir haben eine gute Grundkondition und bereiten uns seit Monaten darauf vor“, sagen sie. Eine Trainingseinheit war der 100-Kilometer-Lauf am 16. Juli in Laufen.

Rucksack wiegt 9 Kilogramm

Am 18. August beginnt ihr Abenteuer: Um 5.08 Uhr fährt der Zug nach Garmisch, wo nach der ersten Übernachtung die Tour beginnt. Die Etappen gehen von Hütte zu Hütte. Zuvor hat jeder sorgsam seinen Rucksack gepackt, der nicht mehr als 9 Kilogramm wiegt. Das Wichtigste darin: Jeder wird zwei paar Schuhe einpacken, die sie eingelaufen haben, um Blasen zu vermeiden.

„Wir entscheiden jeden Morgen, welche Hütte wir ansteuern“, sagt der 58-Jährige, für den diese Tour, ebenso wie für seine Ehefrau, die bislang größte sportliche Herausforderung bedeutet. Sollte irgendwann dazwischen kommt, bleibe ihnen immer das Notquartier. Er verlässt sich dabei auf kein elektronisches Navi. Er sei vom alten Schlag. „Ich bin ein Karten- und Kopfläufer“, betont er.

Es gibt zwei Spendenkonten

Das Ehepaar wird dem Verein „Im Ländle“ regelmäßig Bericht erstatten und auch Fotos zukommen lassen, damit die Unterstützer informiert sind. Es ist auch geplant, dass Angelika Lischerongs Tochter und ihr Mann eine Etappe mitlaufen. Die Geislinger Raiffeisenbank hat für die Extremwanderer zwei kostenlose Spendenkonten (Jörg Wingert) eingerichtet.

Viele positive Reaktionen

„Wir sind extrem überrascht, wie viele positive Reaktionen wir schon bekommen haben“, sagen die beiden, nachdem in den Sozialen Medien ein Video von ihrem Vorhaben gepostet wurde. Es seien bereits Spenden eingegangen, freuen sie sich. „Wir machen die Aktion, weil wir das Glück haben, dass wir es tun können“, bekräftigt Wingert.

Die beiden haben ihren gesamten Urlaub für die 5 freien Wochen angespart und sind dankbar, dass ihre Arbeitgeber und ihre Arbeitskollegen es mittragen.

Einsamkeit und Tiere

Die Erwartungen des Ehepaars, das sich blind aufeinander verlässt, sind unterschiedlich. Jörg Wingert freut sich besonders auf den wenig frequentierten italienischen Teil der Route: „Vinschgau, Ortler und Gardasee“, sagt Wingert.

Für seine Frau ist die Stille und Einsamkeit, die sie erleben werden, besonders reizvoll. „Außerdem freue ich mich auf die vielen Tiere, die uns begegnen werden“, sagt sie.

Die beiden erfahrenen Bergwanderer sind zwar ehrgeizig, werden aber kein Risiko eingehen. „Wenn es zu gefährlich wird oder zu Extremsituationen kommt, werden wir abbrechen“, sagt der Bautechniker. Das haben sie auch ihrer Familie versprochen, ohne deren Unterstützung das Abenteuer nicht möglich wäre, sagen beide. „Wir müssen uns jeden Tag bei ihnen melden, das ist abgemacht“, sagt Angelika Lischerong.

Die Zugtickets sind bestellt, es gibt kein Zurück und das Adrenalin steigt täglich an, bekennen sie und hoffen, dass sie viele Unterstützer finden, um den Flüchtlingskindern zu helfen. „Denn darum geht es letztlich“, betonen die beiden. Jeder könne das spenden, was es ihm wert ist. Dass sie dieses Ziel mit ihrem persönlichen Traum verbinden können, gibt ihnen die notwendige Power.