In Zeiten der Corona-Pandemie: Wie geht es dem kleinen Tiago aus Binsdorf?

Von Lea Irion

Einige Zeit lang gab es auf der Facebook-Seite des schwerkranken Tiago aus Binsdorf nur spärlich neue Updates. Aufgrund seiner Erkrankung zählt der Zweijährige zudem zur Risikogruppe der Lungenkrankheit Covid-19. Eine neue Studie zum Medikament Zolgensma gibt der Familie dieser Tage jedoch Hoffnung. Wie geht es nun im Rechtsstreit mit der AOK weiter? Wir haben nachgefragt.

In Zeiten der Corona-Pandemie: Wie geht es dem kleinen Tiago aus Binsdorf?

Der kleine Tiago aus Binsdorf erlebt die Tage derzeit etwas ruhiger als zuvor.

Das Leben des schwerkranken Tiago aus Binsdorf wird in Zeiten des Coronavirus um ein Vielfaches komplizierter, denn aufgrund seiner neuromuskulären Erkrankung zählt der Zweijährige zur Risikogruppe der fortlaufenden Pandemie.

Zuvor konnte die Familie des kleinen Jungen viel mit Freunden unternehmen, draußen sein und an den zahlreichen Spendenübergaben teilnehmen, die eigens für Tiago organisiert wurden. „All das ist nun nicht mehr möglich“, sagt Stephanie de Freitas, Tiagos Mutter, im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER am Telefon.

Spendenstand liegt bei über eine Million Euro

Sie und ihr Mann Jens Hafner gehen wie gewohnt zur Arbeit. „Wenn der Papa abends nach Hause kommt, springt er zur Sicherheit sofort unter die Dusche“, sagt de Freitas. Sie selbst arbeitet in der Pflege. Man müsse enorm aufpassen, dass Tiago keinem Risiko ausgesetzt ist.

Nach wochenlangem Spendenmarathon Ende des vergangenen Jahres kehrt dieser Tage ungewohnte Ruhe in den Alltag der kleinen Binsdorfer Familie. Das Dreiergespann fuhr quasi täglich zu Spendenübergaben im ganzen Zollernalbkreis. „Es ist nun alles sehr still, aber ob das schön ist, weiß ich selber nicht“, sagt de Freitas. Es wäre eine Abwechslung, wenn wenigstens Besuch zu ihnen kommen könnte.

Neue Studie zu Zolgensma gibt Hoffnung

Stiller wurde es zuletzt auch auf der Facebook-Seite von Tiago, wo bis Anfang März noch regelmäßig Updates zu Spendenübergaben des Zweijährigen hochgeladen wurden. „Das liegt daran, dass wir nicht mehr wissen, was wir noch schreiben sollen“, sagt die Mutter des schwerkranken Jungen. Alles liege lahm, man könne keine Neuigkeiten verkünden.

Aufgrund der Pandemie ist es derzeit auch nicht mehr möglich, Spendenläufe wie in Hechingen im vergangenen Jahr zu organisieren. Bedrückt das die Eltern? „Nein, wir wissen, dass Leute auch so weiter für uns spenden“, antwortet de Freitas. Trotz Coronakrise gebe es weiter viel Solidarität seitens der Bevölkerung. Man habe keine Bedenken, dass derzeit nichts reinkomme. Am Mittwoch betrug der Spendenstand rund 1.000.465 Euro. „Echt der Wahnsinn“, sagt Tiagos Mutter.

Tiago ist mittlerweile zwei Jahre alt. Lange Zeit hieß es, die lebensverlängernde Spritze Zolgensma, die derzeit 1,9 Millionen Euro kostet und bisweilen nicht von der Krankenkasse übernommen wird, müsse noch vor Erreichen des zweiten Lebensjahres verabreicht werden. Dann wiederum hieß es, dadurch, dass Tiago an Typ 2 der spinalen Muskelatrophie leide, habe er nun doch mehr Zeit als vermutet.

Familie bleibt weiterhin positiv

Was ist nun der aktuelle Stand? „Das wissen wir selber nicht so genau“, antwortet Stephanie de Freitas. Laut Anwalt der Familie sei eine Behandlung mit Zolgensma noch möglich, solange Tiago keine drei Jahre alt ist. „Wir hoffen nicht, dass es so weit kommt“, führt de Freitas aus.

Derzeit wird der Zweijährige mit dem Medikament Spinraza behandelt, das nicht denselben Effekt wie Zolgensma hat, den Krankheitsverlauf aber verzögert. Am 5. April sollte Tiago die nächste Behandlung erhalten – aufgrund der Pandemie sei sich die Familie über deren Ablauf aber noch unsicher.

Im Rechtsstreit mit der AOK, die die Kosten für Zolgensma nicht übernimmt, weil Spinraza bei Tiago anschlage und die Wirkung von Zolgensma nicht medizinisch bestätigt sei, gibt es derweil auch keine Neuigkeiten. Die Familie von Tiago hat dieser Tage aber dennoch Hoffnung: Avexis, ein Biotechnologieunternehmen von Novartis, dem Hersteller von Zolgensma, veröffentlichte am 24. März eine neue Studie zum medizinischen Nutzen des Medikaments.

92 Prozent der Patienten zeigen Fortschritte

Zuvor wurde Zolgensma in den USA für Patienten mit SMA Typ 1 zugelassen, in Europa steht dies noch aus. In der nun neu erschienenen Studie, in der Zolgensma unter dem Namen AVXS-101 erwähnt wird, wurden Patienten mit SMA Typ 2 untersucht.

Bei 92 Prozent der Patienten im Alter von zwei bis fünf Jahren habe sich nach der Verabreichung von AVXS-101 eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten gezeigt, heißt es in der Pressemitteilung von Avexis.

Was heißt das für Tiago, der selbst an SMA Typ 2 leidet? „Wir hoffen, dass die Krankenkasse dadurch keine ärztliche Zweiteinschätzung mehr verlangt“, sagt Stephanie de Freitas. Die Studie zeige aus ihrer Sicht klar, dass Zolgensma einen signifikanten Nutzen für ihren Sohn hat. Der Zweijährige hat am Dienstag einen sogenannten Antikörpertest gemacht, mit dem festgestellt wird, ob er das Medikament überhaupt verträgt.

Stolz und erstaunt, wie schnell Tiago lernt

Tiago selbst erfreut sich derweil an einem neuen Rollstuhl, den die Familie kürzlich „auf unkompliziertem Wege“ erhalten habe. „Wir sind stolz und erstaunt, wie schnell Tiago mit seinem neuen Gefährt zurecht kommt“, fügt seine Mutter an.

Trotz allem lässt sich die kleine Binsdorfer Familie nicht unterkriegen. Gedanken daran, dass es am Ende vielleicht doch nicht mit der lebensnotwendigen Spritze klappen könnte, blenden die Eltern von Tiago aus. Man orientiere sich weiterhin an der Hoffnung, dass alles gut ausgehe.