Meßstetten

„Ich habe nicht mit Corona gerechnet“: Wie Andrea Roth aus Meßstetten schwer erkrankte

12.05.2020

Von Michael Würz

„Ich habe nicht mit Corona gerechnet“: Wie Andrea Roth aus Meßstetten schwer erkrankte

© privat

Die Mahnerin: Andrea Roth aus Meßstetten.

Andrea Roth aus Meßstetten fängt sich im März das Coronavirus ein. Die Krankheit bringt die 42-Jährige in akute Lebensgefahr. Sie mahnt: „Viele unterschätzen Corona.“

Das Interview mit unserer Zeitung führt Andrea Roth schriftlich. Zu schwach ist sie noch, am Telefon würde ihr nach wenigen Sätzen die Luft ausgehen. Es wird Monate dauern, bis die 42-Jährige vollständig in ihren geregelten Alltag zurückkehren kann. Andrea Roth ist damit einer der in der Statistik eher seltenen Fälle, auf die Ärzte jedoch immer wieder hinweisen. Sie zählt zu den jüngeren Menschen, die an Covid-19 erkranken und schwerste Verläufe erleiden: Im März leidet Andrea Roth unter hohem Fieber und Husten. Es ist der Beginn einer Covid-19-Erkrankung, die Andrea Roth kurze Zeit später auf die Intensivstation bringt. Sie wird ins künstliche Koma versetzt, muss beatmet werden, erleidet gar einen Herzstillstand.

Frau Roth, hatten Sie im März daran gedacht, dass Sie sich das Coronavirus eingefangen haben könnten?

Andrea Roth: Nein, ich hatte nicht damit gerechnet.

Wie hat sich der weitere Krankheitsverlauf dann entwickelt?

Als noch starke Übelkeit dazu kam und ich nichts mehr essen und trinken konnte, war es meinem Freund zu gefährlich und er hat mich ins Krankenhaus gefahren.

Wie ging es dort weiter?

In der Notaufnahme habe ich gleich eine Infusion wegen der Übelkeit und eine mit Flüssigkeit bekommen. Es wurde das Blut untersucht. Eigentlich wollte ich nach den Infusionen wieder heim. Mein Freund hat vor dem Krankenhaus gewartet, denn er durfte ja nicht mit rein. Nach der Blutuntersuchung meinte der Arzt, dass ich bleiben müsse. Aber noch hat niemand etwas von Corona gesagt. Ich kam in ein Einzelzimmer und es wurde vorsichtshalber ein Test gemacht.

Dann wurde die Situation schnell dramatisch ...

Ich wurde gleich am nächsten Tag auf die Intensivstation gelegt und an viele Maschinen angeschlossen, weil das Fieber weiterhin zu hoch war und ich Atemnot hatte. Obwohl ich eine Sauerstoffmaske über Nase und Mund hatte, fiel mir das Atmen schwer. Ich hatte wahnsinnige Angst, aber das Personal war sehr nett. Ich habe zwar niemanden wirklich erkannt, da alle Schutzausrüstung trugen. Aber als ich dann ins Koma gelegt wurde, hat eine Schwester, die immer bei mir war, meine Hand gehalten und mir gut zugeredet. Auch später auf der Normalstation war das Personal sehr nett und hat sich super um mich gekümmert. Anfangs musste ich oft klingeln. Egal, zu welcher Zeit, und obwohl sie sich immer wieder neu anziehen mussten, kamen sie und haben alles für mich gemacht.

Wie lange lagen Sie im künstlichen Koma?

Ich war 13 Tage im künstlichen Koma. Danach gab es eine dreitägige Aufwachphase. Daran erinnere ich mich nicht mehr genau. Aber als ich auf Intensivstation wieder mehr bei mir war, weiß ich, dass immer eine nette Schwester bei mir war und sich sehr gut um mich gekümmert hat.

Meist heißt es, das Coronavirus sei vor allem für hochbetagte Patienten gefährlich. Dass es auch junge Menschen schlimm erwischen kann, zeigt Ihr Fall. Hätten Sie sich vorstellen können, derart schwer zu erkranken?

Da man das Zimmer nicht verlassen kann und darf, weiß man nicht, was sonst noch für Patienten da sind. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich mal derart krank werden kann. Der Arzt sagte mir, dass es so schlimm sein könnte, weil ich früher Erkältungen nicht richtig auskuriert habe. Ich ging immer gleich zum Arbeiten und hatte viel Stress.

Sie sind inzwischen nach Hause entlassen worden. Wie geht es Ihnen heute?

Am 22. April wurde ich entlassen. Mein Freund hat mich abgeholt. Er mit Maske und ich hinten rechts im Auto mit Maske. Leider kann ich auch heute noch nicht viel machen. Ich schaffe es gerade mal zur Toilette und zurück. Und ich brauche noch öfter das Sauerstoffgerät.

Haben Sie eine Idee, wo Sie sich das Virus eingefangen haben könnten?

Nein, ich war nicht im Ausland und hatte auch keinen wissentlichen Kontakt mit einem Infizierten.

Wie geht es Ihren Angehörigen?

Alle sind froh, dass ich wieder daheim bin. Und vor allem, dass ich lebe. Mein Freund kümmert sich hervorragend mit Mundschutz und Handschuhen um mich. Meine im Haushalt lebende Mutter und meine Schwester mit Familie dürfen zwar immer noch nicht zu mir, da ich weiterhin in Isolation liege, aber wir unterhalten uns dann halt manchmal über den Balkon oder am Telefon.

Abgesehen von dem schweren Krankheitsverlauf, den Sie durchmachen mussten: Sie durften ja in der Klinik auch keinen Besuch empfangen. Wie erging es Ihnen damit?

Ja, es gab keinen Besuch, und das an Ostern. Das ist echt schwer. Du starrst den ganzen Tag die Wand an. Das Handy war auch aus, weil ich den PIN nach dem Koma nicht mehr kannte und es dann gesperrt war. Da sind die Tage schon sehr lange. Das Personal kümmert sich zwar, aber es sind viele ruhige Stunden, in denen man nichts hört und nur im Bett liegt.

In der Bevölkerung scheint die Stimmung im Moment etwas zu kippen. Viele stellen die Maßnahmen in Frage, erklären Corona zur harmlosen „Grippe“. Wie geht es Ihnen, wenn Sie im Moment zum Beispiel Facebook öffnen?

Ich denke, viele unterschätzen Corona, da sie nicht wissen, was Corona anrichten kann. Und alle denken, nach zwei Wochen sei alles erledigt. Aber leider ist es nicht so. Ich werde noch Monate brauchen, bis ich hoffentlich wieder alles machen kann. Ich habe anfangs auch gedacht, dass man es nicht übertreiben muss mit der Vorsicht. Aber inzwischen sehe ich es auch anders. Es gibt viele, die Corona haben, aber keine Symptome. Deshalb können Sie jederzeit andere anstecken.

Nicht nur die Stimmung in der Bevölkerung wird zunehmend kritischer, auch die Wirtschaft sorgt sich um die Zukunft. Können Sie das – grundsätzlich – nachvollziehen oder fehlt Ihnen angesichts Ihrer persönlichen Erfahrung da eher das Verständnis?

Ich verstehe die Wirtschaft. Die Firma, in der ich arbeite, hat auch Kurzarbeit. Aber ich habe nun auch schmerzlich gelernt: Die Gesundheit ist sehr wichtig und geht vor. Alles kann sehr schnell anders sein.

***

Wie ein schwerer Covid-19-Fall die Angehörigen belastet

Die Familie „Ich glaube, jedem war der Begriff Corona geläufig, aber gerechnet habe ich nicht damit“, sagt Andrea Roths Lebenspartner Uwe Lübke. Heute betont er: „Ich gönne wirklich niemandem, dass er so eine Zeit wie wir mitmachen muss.“ Als Angehöriger einer Coronapatientin könne man schließlich nicht im Krankenhaus am Bett sitzen oder persönlich mit Ärzten sprechen. „Man kann sich selbst kein Bild davon machen, wie es ihr geht“, sagt Lübke. Und das „in der Zeit, in der man Angst hat, das Telefon abzunehmen, wenn man die Nummer des Krankenhauses sieht.“ Denn: Immer könnte es „die Nachricht sein, die man nicht haben möchte.“ Als Angehöriger mache man, sagt Lübke, eine psychische Horrorzeit durch, die auch ihn an seine körperlichen Grenzen gebracht habe.

Das Unverständnis So verwundert es dann auch kaum, dass Andrea Roths Angehörige wenig Verständnis für die derzeitigen Lockerungsmaßnahmen haben – und auch nicht für den Druck, den die Wirtschaft auf die Politik ausübe. „Wenn die Lockerungen dazu führen, dass es nachher mehr Ansteckungen gibt, kann auch keiner mehr zur Arbeit kommen“, mahnt Lübke. „Und das Gesundheitssystem bricht dann auch zusammen.“ Er habe den Eindruck, sagt Lübke, dass der Schutz der Menschen keinen Vorrang habe. „Wir hingegen müssen kämpfen, um Handschuhe und Schutzausrüstung zu bekommen, damit wir einen Menschen, der im Koma lag und nun ein momentaner Pflegefall ist, überhaupt pflegen können.“

Die Entlassung „Ich finde es natürlich schön, dass Andrea wieder zuhause ist“, sagt Lübke, den die Gesamtsituation zugleich aber auch belastet. Denn: „Weder ist jemand von uns pflegerisch ausgebildet, noch in der Lage, im Notfall zu helfen.“ Besonders schwierig gestalte sich die Situation, da Lübke selbst Hochrisikopatient sei, genau wie Andrea Roths Mutter. Dabei wurde Andrea Roth in der vergangenen Woche noch immer positiv auf das Coronavirus getestet. Erst jetzt erhielt sie das Ergebnis ihres ersten negativen Coronatests.

Das sagt die Klinik Patienten würden entlassen, wenn keine Notwendigkeit mehr für die stationäre Behandlung bestehe, erklärt Erwin Biecker, Chefarzt der „Inneren“ im Zollernalb Klinikum. Dies sei nicht gleichzusetzen mit einem abgeschlossenen Genesungsprozess. Grundsätzlich würden Covid-19-Patienten nur entlassen, wenn sie zweimal negativ getestet sind. Oder aber – wie bei Andrea Roth – die Möglichkeit der häuslichen Quarantäne besteht.

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