Hoffnung durchbricht die brutale Realität – World-Press-Photo-Ausstellung ist eröffnet

Von Klaus Irion

In der Balinger Stadthalle wurde am Freitagabend die World-Press-Photo-Ausstellung eröffnet. Der aus Dänemark live zugeschaltete Siegerfotograf Mads Nissen hielt dabei ein eindringliches Plädoyer für ehrliche Empathie in weltweit schwierigen Zeiten.

Hoffnung durchbricht die brutale Realität – World-Press-Photo-Ausstellung ist eröffnet

Der WPP-Award-Sieger Mads Nissen war aus Dänemark zugeschaltet.

Wie schön, wenn ein schon oft gehörtes Vorurteil sich in Luft auflöst. So eines wie: Der Skandinavier an sich ist immer etwas unterkühlt und kurz angebunden. Mads Nissen ist Skandinavier, genauer gesagt Däne. Und wie die Worte am Freitagabend aus dem vielfach preisgekrönten Fotografen geradezu heraussprudelten, war informativ und berührend zugleich.

Zugeschaltet aus Dänemark

Nissen, der Gewinner des diesjährigen World-Press-Photo-Awards (WPP) war live aus seiner dänischen Heimat zur Vernissage der gleichnamigen Ausstellung in der Balinger Stadthalle zugeschaltet. Interviewt von Thomas B. Jones, einem Berufskollegen, der in den kommenden drei Wochen das umfangreiche WPP-Begleitprogramm des ZOLLERN-ALB-KURIER moderieren wird.

Nissens Erfolgsgeheimnis

Jones entlockte Nissen dessen fotografisches Erfolgsgeheimnis, das da lautet: „Unbedingte Nähe zu den Protagonisten, die fotografiert werden.“ Und das im doppelten Sinn. Tatsächliche Nähe mit der Kamera, aber ebenso emotionale Nähe zum Geschehen rund um die Bilder, die geschossen werden. „Und das mit ernst gemeinter, ehrlicher Empathie.“ Dazu bedürfe es auch einer akribischen Vorbereitung auf das, was man abbilden möchte.

„Es hat alles gestimmt“

Im Fall seines diesjährigen Siegerbildes die Umarmung einer Altenheimbewohnerin und einer Pflegekraft in Brasilien, coronakonform geschützt durch einen speziellen Plastikvorhang, der diese erste Umarmung nach viermonatiger Isolation der alten Dame erst ermöglichte.

Sehen Sie hier die Ausstellungseröffnung (ab Minute 31) und das Interview mit Mads Nissen in voller Länge (ab 1:14:30):

Es war nicht das erste Altenheim, das Nissen am Rande von Sao Paulo aufgesucht hatte. „Aber bei dieser Szene habe ich sofort gemerkt, dass einfach alles stimmt – die Situation, das Licht.“ Er sollte Recht behalten, denn die WPP-Jury erkannte dies alles auch in Nissens Bild und verlieh ihm hierfür den 1. Preis.

Freudentanz vor dem Bildschirm

„Ich habe die Verkündung im Kreis meiner Familie online verfolgt, es hatte etwas von einer Atmosphäre eines Fußballmatches“, sagte der 41-jährige Fotojournalist. Als sein Sieg feststand, habe es zuhause einen Freudentanz gegeben. Dabei weiß der vierfache dänische Fotograf des Jahres bereits, wie sich ein WPP-Sieg anfühlt.

Im Jahr 2015 wurde ihm diese Ehre schon einmal zuteil, als er ein homosexuelles Paar in Russland porträtierte. Dass er später erfahren hat, dass ranghohe Staatsverantwortliche russische Internet-Trolle damit beauftragt hatten, sein Bild auf Social-Media-Kanälen schlecht zu machen, war ihm nur Ansporn.

Ein politischer Fotograf

Nissen ist Fotojournalist für Dänemarks führende Zeitung Politiken. Kein Wunder also, dass er sich auch selbst als politischer Fotojournalist betrachtet. Bei seiner Reise durch das von Corona besonders gebeutelte Brasilien habe er die Furcht vieler Menschen vor dem Coronavirus gespürt. „Aber auch die Wut der Menschen darüber, wie die Regierenden um Staatspräsident Bolsonaro viel zu spät und viel zu schwach auf die Gefahr reagiert haben.“

Corona ist aber nicht nur in Südamerika das nach wie vor alles beherrschende Thema, auch die WPP-Ausstellung findet unter Rahmenbedingungen statt, die sich bei der ersten Auflage vor zwei Jahren in der Balinger Zehntscheuer niemand hätte vorstellen können.

Kuratieren im Online-Modus

Um so mehr freuen sich die beiden WPP-Kuratorinnen Martha Echevarria und Yi Wen Hsia, dass die Exponate in der Balinger Stadthalle präsentiert werden können. Keine Selbstverständlichkeit in einem Jahr, „in dem unsere Jury erstmals in der Geschichte dieses Awards nur digital tagen konnte“, berichtete Hsia. In einem Jahr, in dem sich sie und ihre Kolleginn Echevarria ebenfalls ausschließlich per Videoschalte aus den Niederlanden hatten „aktiv“ am Gestalten der Ausstellung im Großen Saal der Stadthalle beteiligen können.

Emotional angefasst

Und doch haben die Ausstellungsmacher um Ottmar Erath, dem Leiter der Balinger Volkshochschule, und seiner Vhs-Projektleiterin Nicole Mayer, eine Ausstellung kuratiert, die einen gleichzeitig fasziniert und auch emotional tief anfasst.

Härte und Hoffnung

Leben pur in all seiner Härte und Brutalität ist da häufig zu sehen. Aber strahlend im Mittelpunkt auch Nissens Werk „Die erste Umarmung“, die so viel Hoffnung ausstrahlt, wie es in diesen Pandemiezeiten nur möglich ist.

Erath war sich mit Balingens Oberbürgermeister Helmut Reitemann und ZAK-Verleger Daniel Welte einig: „Man muss jedes einzelne Bild der Ausstellung in Ruhe auf sich Wirken lassen.“ Es sei keine leichte Kost, aber die Vhs komme gerade damit eben auch ihrem Bildungsauftrag nach.

„Ein gelungener Gegenpol“

Für Verleger Welte ist die WPP-Ausstellung ein gelungener Gegenpol zur „wahnsinnigen Bilderflut, die in Hochgeschwindigkeit täglich über uns hereinbricht“.

Ermöglicht wurde die dreiwöchige Fotoschau auf Höchstniveau auch dank der lokalen Sponsoren und Förderer, „denen geradeso mein besonderer Dank gilt, wie der Volkshochschule und dem ZOLLERN-ALB-KURIER“, betonte Oberbürgermeister Reitemann.

Fotografen verdienen den Zuspruch

Nun ist die WPP-Ausstellung offiziell eröffnet, in bestmöglicher Coronakonformität. Ob die Werke auch in diesem Jahr wieder 8000 Menschen oder gar mehr in ihren Bann ziehen, wird sich zeigen. Einen solchen Zuspruch wie vor zwei Jahren hätten Mads Nissen und seine vielen Fotografenkollegen weltweit, deren Bilder in der Stadthalle zu sehen sind, allemal verdient.