Hechingen

Helden ohne Anerkennung: Wie Angestellte in den Arztpraxen die Krise managen

17.11.2020

Von Michael Würz

Helden ohne Anerkennung: Wie Angestellte in den Arztpraxen die Krise managen

© privat

Dr. Ingo Pufke und sein Praxisteam: „Allein die Anzahl telefonischer Anfragen ist unglaublich.“

Die zweite Corona-Welle fordert das Gesundheitswesen – und ganz besonders die Teams der Hausarztpraxen. Wie ergeht es ihnen? „Manche können bald nicht mehr“, sagt Dr. Ingo Pufke, der seit 14 Jahren in Hechingen praktiziert. Er kritisiert: Es gibt in dieser Pandemie eine vergessene Berufsgruppe.

Ein einfaches Danke. Das wäre bereits ein Zeichen, findet der Hechinger Allgemeinmediziner Dr. Ingo Pufke. Von Gesundheitsminister Jens Spahn, oder der Kassenärztlichen Vereinigung. „Aber da kommt einfach nichts“, kritisiert Pufke, dem es gar nicht um seinen eigenen Berufsstand geht. „Es gibt in dieser Pandemie eine vergessene Berufsgruppe im Gesundheitswesen“, sagt er. „Die Medizinischen Fachangestellten.“ Pufke will den Praxisteams eine Stimme geben – und auf ihre Situation aufmerksam machen. Denn sie seien es, die abends sagen: „Wir können bald nicht mehr.“ Das hört er, das hören seine Kollegen im Zollernalbkreis zurzeit immer wieder. Pufke weiß, warum.

Die Krisenmanager

Natürlich sei Corona im Moment das zentrale Thema in den Nachrichten – doch die Informationsflut scheint auch viele zu überfordern: Allein die Zahl der telefonischen Anfragen, die seine Angestellten zu bewältigen hätten, sei unglaublich, schildert Pufke aus dem Alltag seiner Praxis. Wenig hilfreich ist da offenkundig, dass die zweite Welle in den Winter läuft. Jetzt, da die Infekte ohnehin zunehmen, komme es zu einer regelrechten Schwemme an Patienten, wie Pufke sagt. Die Warteschlange vor seiner Praxis – um die 100 Meter lang war sie kürzlich, schätzt er. Und während in den Kliniken etwa aufschiebbare Operationen verschoben werden, sei den Hausärzten wichtig, dass alle drankommen. Pufkes Erfahrung aus der ersten Welle: Einige Patienten musste er davon überzeugen, dass sie trotz der Pandemie in die Praxis kommen. „Wir gucken nach ihnen.“ Damit stecken die Hausärzte in einem Dilemma: Sie wollen Patienten aus guten Gründen nicht ablehnen, zu groß ist die Gefahr übersehener Krankheiten. Doch sie kommen fast nicht mehr hinterher.

Die Erwartungshaltung der Patienten ist groß

Das zu managen, alle Termine unter einen Hut zu kriegen – das ist die Aufgabe der Medizinischen Fachangestellten. In Pufkes Praxis haben sie nun eine sogenannte Infektionskrankheiten-Sprechstunde eingerichtet. „Sie haben wir an das Ende der eigentlichen Sprechstunde gelegt, sodass die Patienten getrennt bleiben.“ Danach wird alles desinfiziert, die Reinigungskraft geht dann auch noch mal durch. Am nächsten Morgen dann sind sie wieder für alle Patienten da. Aus Pufkes Schilderung ist herauszuhören: Sie, die mit ihren Kräften haushalten müssen, leiden auch unter der Erwartungshaltung, die Patienten an sie richten.

„Natürlich wird erwartet, dass in der Praxis immer alle freundlich sind und alles läuft.“ Doch der Druck, der auf den Praxisteams lastet, ist enorm. Das geht Pufke, mehr sympathischer Kumpel-Typ als trockener Mediziner, hörbar nahe. Pufke will für seine Patienten da sein, ein Ohr für alle haben – der Mann brennt für sein Arzt-Dasein. „Wir alle lieben unseren Beruf“, sagt er. Aber auch er weiß: Wer von morgens bis abends für alle da ist, dann noch Hausbesuche macht, gelangt irgendwann an das Ende seiner Kräfte.

„Die Angestellten sind der Prellbock“

Pufke wünscht sich deshalb mehr Verständnis, auch für seine Angestellten. „Sie sind der Prellbock.“ Er fordert aber auch mehr Unterstützung, von der KV, zum Beispiel. „Aber alles, was ich bekomme, sind zum Beispiel Angebote für Online-Fortbildungen“, erzählt er. Und fragt: „Wann soll ich die machen? Wir haben gerade ganz andere Sorgen.“ Er klagt: Die Vertreter seines Berufsstands, die etwa im Fernsehen auftreten, seien „viel zu weit weg von unserer tatsächlichen Arbeit in den Praxen“. Das ficht ihn an. Mehr noch als die Schlagzeilen, für die einzelne seiner Kollegen jüngst gesorgt haben – sie hatten die Aufmerksamkeit der Justiz auf sich gezogen, stehen im Verdacht, Corona-Skeptikern falsche Masken-Atteste ausgestellt zu haben. „Die Patienten unserer Praxis wissen, dass wir ordnungsgemäß arbeiten“, sagt Pufke. Aber gegen die große Politik kann er sich nicht wehren.

„Wieso wird nicht auch über Sonderzahlungen für Angestellte in den Praxen gesprochen?“

Dabei wäre sie es, die nicht nur das Team seiner Praxis motivieren könnte. „Wieso wird über Sonderzahlungen für Klinikbeschäftigte gesprochen?“, fragt er. „Und nicht auch über die Medizinischen Fachangestellten?“ Natürlich sei es richtig, an das Klinikpersonal zu denken, sagt Pufke, es mache schließlich gute Arbeit. Aber richtig sei eben auch: „Jeder Patient, der mit Covid-19 auf der Intensivstation liegt, war davor erst mal unser Patient.“

Stattdessen sieht sich Pufke mehr und mehr „bürokratischem Wahnsinn“ ausgesetzt. Das, findet Pufke, sei nicht nur in der Pandemie ein Unding, sondern werde auch dazu beitragen, dass sich immer weniger junge Ärzte niederlassen werden. Der Ärztemangel auf dem Land – aus Pufkes Sicht ist er auch damit erklärbar. „Wer will sich das denn noch antun? Wir Ärzte wollen uns doch in erster Linie um unsere Patienten kümmern“, sagt er.

Pflegeheime während der Coronakrise nicht mehr abriegeln

Eine Botschaft aber ist ihm besonders wichtig, und sie ist angesichts der zweiten Welle akut: Es dürfe nicht mehr passieren, dass Pflegeheime in der Coronakrise komplett abgeriegelt werden, mahnt er. „Wir Hausärzte sind es, die in die Heime gehen und manche Patienten bis zum letzten Atemzug begleiten“, erklärt er. In der ersten Welle habe sich da Unmenschliches abgespielt. „Ich sage das als einer, der nicht mit dem Aluhut rumläuft, das war nicht gut und darf sich nicht wiederholen“, mahnt Pufke. „Wir müssen andere Lösungen finden.“

Einige Heimbewohner, schildert er, hätten während der ersten Welle schließlich über Wochen nur Pflegepersonal gesehen. „Wir müssen hier einen anderen Spagat zwischen medizinischer Versorgung und Menschlichkeit finden.“

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