Albstadt

Heinz Riediger aus Ebingen berichtet: Tote Jungs wurden aus dem Klassenbuch gestrichen

31.07.2019

Von Holger Much

Heinz Riediger aus Ebingen berichtet: Tote Jungs wurden aus dem Klassenbuch gestrichen

© Holger Much

Lehrer Christoph John, Heinz Riediger, Schulleiter Dr. Christian Schenk und der stellvertretende Schulleiter Axel Bulach (von links) vor der Gedenktafel im Ebinger Gymnasium.

Am 3. August 1944 kamen drei Ebinger Jungs, Schüler des Ebinger Gymnasiums, bei Luftangriffen ums Leben. Am Mittwoch wurden eine Gedenktafel enthüllt, die an dieses schreckliche Datum erinnert. Zeitzeuge Heinz Riediger war damals hautnah dabei und berichtete den Gästen von den Gräueln des Krieges.

Es war so berührend wie erschütternd, wie Heinz Riediger, Jahrgang 1926, von seinen Kriegserlebnissen berichtete. Er gehörte zu den Jungs, die 1944, sozusagen aus dem Unterricht heraus, vom Regime des Dritten Reiches zum Kriegsdienst als Flakhelfer eingezogen wurden. Viele der Kinder starben.

64 Schüler aus Ebingen wurden abkommandiert

Mindestens 64 Schüler der Jahrgänge 1927 und 1928 sind damals von der Schlageter-Oberschule, dem heutigen Gymnasium Ebingen, nach Friedrichshafen als Luftwaffenhelfer abkommandiert worden, darunter auch Heinz Riediger.

Heinz Riediger war hautnah dabei

„Ich habe es hautnah erlebt“, berichtete Heinz Riediger als ehemaliger Klassenkamerad der drei im Krieg getöteten Kinder. Er war dabei, als, so berichtet Riediger bei der Feierstunde zur Enthüllung der Tafel, „noch nicht mal 16-jährige Jungs tödlich verwundet“ im Feld lagen.

Schüler wurden „nur ausgeliehen“

Von 1943 bis 1945 wurden im Dritten Reich rund 200.000 Schüler, als Flakhelfer bei der Flugabwehr eingesetzt. Offiziell, so fasste Riediger den Zynismus der damaligen Befehlshaber in Worte, galten die 15-/16-Jährigen noch als „Schüler“, wurden in Uniformen der Hitlerjugend gesteckt, der Wehrmacht „nur ausgeliehen“.

Nachts gab es oft „Edelweiß“

Ab und zu gab es dann Unterricht auf dem Schlachtfeld, oft genug aber hieß es „Edelweiß“, das Codewort für einen Einsatz, bei dem die Kinder dann Flugabwehrkanonen bedienen mussten – alle paar Sekunden ein Schuss. Oft, so erinnert sich Heinz Riediger, war auch nachts „Edelweiß“ – Gelegenheiten, bei denen sich dann die betreuenden Lehrer aus dem Staub machten.

„Wir waren doch noch Lausbuben“

„Das ist menschlich verständlich“, formuliert der Zeitzeuge heute und fügt an, er mache diesen Menschen keinen Vorwurf. Oft merkt man ihm an, dass er tief durchatmen muss, wenn er von den Erlebnissen berichtet, bei denen viele junge Menschen starben, darunter drei seiner Schulkameraden. „Wir waren doch noch alle Lausbuben“, sagt Riediger.

Die Verluste der Kinder wurden nie offiziell dokumentiert

Da die Kinder nicht offiziell Soldaten waren, berichtet er weiter, wurden ihre Verluste nirgends offiziell dokumentiert.

Heinz Riediger aus Ebingen berichtet: Tote Jungs wurden aus dem Klassenbuch gestrichen

© Holger Much

Zeitzeuge Heinz Riediger berichtete am Mittwoch, wie es damals war, als 15-, 16-jährige Kinder im Krieg dienen mussten.

Sie wurden, erzählte Heinz Riediger den betroffen blickenden Zuhörern, dann einfach irgendwann aus dem Klassenbuch gestrichen. Mit seinen Eltern, verriet Riediger im Gespräch mit den Anwesenden der Enthüllung, habe er nie über seine Erlebnisse gesprochen.

Tiefer Dank für die Zeiten des Friedens

Diese von Kunstlehrerin Liljana Babic gestaltete Tafel, sagte Schulleiter Dr. Christian Schenk bei der Begrüßung, solle daran erinnern, „dass wir dankbar sind für die Zeiten des Friedens, die wir hier erleben und die unseren gefühlten wie tatsächlichen Wohlstand in einer Weise mehren, wie wir sie noch nie gekannt haben“.

Auch stellte er den Bezug der Tafelenthüllung zum 75. Jahrestag des Attentates auf Adolf Hitler durch eine Gruppe von Offizieren um den in Lautlingen beheimateten Claus Graf Schenk von Stauffenberg her.

Wehret den Anfängen

Zudem solle sie zweitens stets gemahnen, „dass wir jeglicher Verharmlosung des historischen Nationalsozialismus’ oder des aktuellen Rechtsradikalismus‘, wie natürlich auch des Linksterrorismus’ in jeglicher staatlicher oder nichtstaatlicher Form“ bereits in den Anfängen wehren.

Impuls, sich mit der eigenen Geschichte zu befassen

Drittens solle die Tafel Impuls und Hinweis zur Notwendigkeit sein, „uns mit unserer Geschichte zu befassen. Denn wer um seine tiefere Herkunft wirklich weiß, reflektiert seine Zukunft unter humanen Prinzipien: Er urteilt differenzierter, handelt überlegter, hat ein Fundament gebildet, ohne aus Angst, Unsicherheit, letztlich Haltlosigkeit in den Fundamentalismus abzugleiten.“

Die Schule war nach einem rechtem Freikorps-Kämpfer benannt

Zu jener Zeit, als die drei Jungen den Tod fanden, hieß das Gymnasium seit sechs Jahren und danach noch bis 1945 „Schlageter-Oberschule“, berichtete Dr. Schenk, benannt nach dem rechten Freikorps-Kämpfer Albert Leo Schlageter, der sich einem rechten Geheimbund der Organisation Heinz angeschlossen hatte.

Schlageter wurde zum Märtyrer erhoben

Er wurde wegen Sprengstoffanschlägen während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und 1923 hingerichtet.

Schlageter wurde in der Weimarer Republik nach seiner Hinrichtung nicht nur von rechten Kreisen zur Märtyrerfigur erhoben, sondern erfuhr insgesamt bei den Deutschen erhebliche Sympathien.

Die Gedenktafel trägt folgenden Text:

„1944-2019 Erinnerung und Mahnung: Schüler der Klassen 9 und 10 der Oberschule (heute Gymnasium) Ebingen wurden 1944 als Luftwaffenhelfer bei der Flak (Flugabwehrkanonen) in Friedrichshafen eingesetzt. Die Jahrgänge 1926-1928 waren betroffen.

Am 3. August 1944 sind bei diesen Einsätzen ums Leben gekommen: Gustav Kemmler (geb. 27.08.1928), Horst Landenberger (geb. 08.11.1928), Herwig Landenberger (geb. 22.02.1928).

Seither sind 75 Jahre vergangen. Seien wir dankbar für die Zeit ohne Krieg. Bildung dient auch der Bewahrung des Friedens.“

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