Hechinger Arzt: „Für unsere Praxisteams hat sich niemand auf den Balkon gestellt und geklatscht“

Von Julia Siedler

Der Hechinger Hausarzt Dr. Ingo Pufke hatte sich Ende 2020 im ZOLLERN-ALB-KURIER stark für die Medizinischen Fachangestellten gemacht: Als „Prellbock“ von Politik und Patient waren sie nicht nur dauerhaft überarbeitet, sondern auch Zielscheibe einigen Unmutes. Sein Appell hatte seinerzeit viel Aufmerksamkeit erzeugt. Was ist seither geschehen?

Hechinger Arzt: „Für unsere Praxisteams hat sich niemand auf den Balkon gestellt und geklatscht“

Eine Medizinische Fachangestellte bei der Arbeit (Symbolfoto).

Medizinisch ausgebildete Multitalente, seelische Unterstützung in allen Belangen und kürzlich noch erste Anlaufstelle für die Erlangung gesundheitlicher Informationen aller Art: Die Corona-Pandemie war für Medizinische Fachangestellte (MFA) eine bittere Pille. Sie konnten sich nur noch selten auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren und waren vermehrt mit telefonischen Anfragen verunsicherter Patienten beschäftigt. Anstatt Vertrauen zu diesen aufzubauen und ihre wichtige Vorarbeit in den Hausarztpraxen zu leisten, wurden die MFA zum Blitzableiter der großen Politik.

Und wie ist die Lage heute?

Wenn es um ein Fazit zur Lage „nach“ Corona geht, ist Pufke nicht gerade um eine Antwort verlegen: „Passiert ist gar nichts – wir wurden einfach vergessen!“ Seine Kritik richtet sich in erster Linie an die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. „Alles, was wir durften, war das: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Geld aus dem eigenen Geldbeutel zu geben – das war’s dann auch!“ Pufke kreidet nicht nur die fehlende finanzielle, sondern auch die fehlende mentale Unterstützung für Medizinische Fachangestellte an: „Für die MFA hat sich während der ganzen Zeit niemand auf den Balkon gestellt und applaudiert!“ Und das – dem Hausarzt ist seine bittere Enttäuschung deutlich anzumerken – „wo doch 95 Prozent der Corona-Patienten bei uns Hausärzten versorgt wurden.“

„Einige Kollegen überlegen sich, ihre Zulassung zurückzugeben“

Das Dankeschön, das sich Pufke bereits damals, 2020 im Interview mit dem ZAK gewünscht hätte, sei bis heute nicht gekommen. Mittlerweile rumore es schon, dass „sich einige Kollegen – wir sprechen hier von ganzen Landstrichen – überlegen, ihre Zulassung wieder zurückzugeben. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir vor 15 Jahren mit der Kampagne des Medizinverbandes schon einmal standen.“ Der einzige Unterschied? „Wir Ärzte sind seitdem viel näher zusammengerückt – die Kampagne scheiterte seinerzeit vor allem an der Uneinigkeit innerhalb unseres Berufsstands.“

Doch bevor auch in Hechingen ans Aufhören gedacht wird: Wie könnte es gelingen, die Medizinischen Fachangestellten effektiv zu entlasten? Pufke hat viele Ideen in petto: Da wäre natürlich das, womit derzeit nur sehr wenige Arbeitgeber erfolgreich sind: auf die Schnelle neue Mitarbeiter zu finden. Der Begriff des Fachkräftemangels drängt sich auch hier förmlich in den Vordergrund: „Wir haben bereits alles versucht – nicht einmal auf unsere Zeitungsannonce haben wir eine Reaktion erhalten.“ Wenn man sich nicht selbst um alles kümmert: Für Pufke und sein Team gab ein erfolgreiches Gespräch mit der Ärztekammer den Startschuss für, nun ja: Hilfe zur Selbsthilfe. „Komplett fachfremde Personen können bei uns nun zur MFA ausgebildet werden – ganz ohne Abschlussprüfung.“

Quereinsteiger erleichtern den Praxisalltag

Wenn Interessierte sauber in die typischen Aufgaben eingewiesen wurden und diese sicher beherrschen, so der Hausarzt, werden sie offiziell zur ausgebildeten MFA ernannt. Wie das in der Praxis genau abläuft? Pufke lacht: „Das kann ich Ihnen dann erzählen, wenn es so weit ist – wir haben gerade selbst einen solchen Fall.“ Selbst, wenn Quereinsteiger keine klassischen MFA-Tätigkeiten übernehmen, würden sie dennoch eine große Erleichterung in der Hechinger Praxis darstellen: „Unsere kaufmännische Angestellte legt vielleicht kein EKG an, aber sie hält der entsprechenden MFA erfolgreich den Rücken frei, die genau das gelernt hat.“

Sieht der praktische Arzt noch andere Möglichkeiten zur Unterstützung? Der wichtigste Schritt sei, den Beruf attraktiver zu machen und generell aufzuwerten: „Angestellte in diesem Bereich werden bisher nicht nur unattraktiv vergütet – auch die Arbeitszeiten können aufgrund der Sprechstunden schwierig sein.“

Kita-Öffnungszeiten sind ein Problem, findet Dr. Pufke

Hierbei würde nicht nur eine Finanzspritze seitens der Kassenärztlichen Vereinigung im Sinne eines Zusatzfonds oder eine Gehaltserhöhung ein wichtiges Zeichen setzen, es müsste dem Doktor nach auch dringend an anderer Stelle angesetzt werden: „Die Kita-Öffnungszeiten sind total antiquiert – die MFA brauchen zum Beispiel oft eine Betreuung von 17 bis 20 – da hat keine Kita mehr auf, das macht das Arbeiten für viele direkt unmöglich.“ Dasselbe gelte zum Beispiel in extremerem Ausmaß auch für Berufe in der Gastro: „Nicht jeder hat Großeltern für die Kinderbetreuung in der Nähe.“ Pufke sieht auch hier dringenden Handlungsbedarf für mehr Flexibilität.

Long Covid ist ein großer gesundheitlicher und wirtschaftlicher Aspekt

Auch jetzt, in der scheinbaren Post-Corona-Zeit, seien die MFA „weiterhin auf 120 Prozent“. Die Menschen meinen, jetzt liefe alles wieder in geordneteren Bahnen wie vor der Pandemie ab – doch das sei nicht der Fall. „Wir hatten nun einen Winter ohne Maske – was grundsätzlich richtig ist – doch daran muss sich das Immunsystem erst einmal wieder gewöhnen. Da wurden die Menschen schon drei, vier Mal von ordentlichen Infektionen niedergebügelt.“

Auch von Long-Covid-Fällen in seiner Praxis berichtet der Arzt. Das sei nicht nur ein großer gesundheitlicher Aspekt, sondern natürlich auch ein wirtschaftlicher Schaden, den viele nicht auf dem Schirm hätten. Hinzu komme neben den ganzen Erkältungskrankheiten auch die stetige Aufarbeitung aufgeschobener Operationen sowie die Nachsorge, die lange zu kurz gekommen sei. „Ich ziehe wirklich den Hut vor meinen Mitarbeiterinnen!“, so Pufke.

„Die MFAs machen einen Riesenjob!“

Erschwerlich hinzu komme, dass die Patienten wegen der finanziellen Schieflage in Krankenhäusern früher entlassen werden. „Deshalb sind sie ja aber – leider – nicht früher gesund“, so der Hechinger Hausarzt. Die Laborkontrolle und die Wundversorgung müssten dennoch reibungslos laufen – auch das sei Job der MFA. „Sie machen wirklich einen Riesenjob! Und trotzdem: Es ist weiterhin keine Unterstützung von außen erkennbar.“ Besonders brisant für Pufke: Die Kassenärztliche Vereinigung sei selbst für eine garantierte Versorgung der Versicherten durch die Vertragsärzte zuständig, komme aber einfach nicht in die Umsetzung.

„Wir versuchen hier, einen toten Schimmel in die Apotheke zu ziehen“

Pufke, der auch als Prüfer an der Berufsschule Derendingen tätig ist, berichtet, dass Auszubildende bereits von den Praxen in die Krankenhäuser wechseln würden: „Das sind bei weitem keine Einzelfälle!“ Die Fachangestellten würden dort deutlich besser verdienen. „Man kann es ihnen nicht verübeln – schließlich muss jeder schauen, wie er seine Miete bezahlt.“ Der Reformbedarf im Gesundheitssystem sei groß und dieses „schon lange am Bröckeln. Wir versuchen hier, einen toten Schimmel in die Apotheke zu ziehen.“ Doch die derzeitigen Reformvorschläge gingen in die falsche Richtung.

Den Wunsch nach mehr MVZs kann der Mediziner nicht nachvollziehen

Den Wunsch nach mehr Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) kann der Mediziner nicht nachvollziehen: Der persönliche Kontakt zum Patienten und die daraus entstehenden Vorteile gingen verloren, wenn die Behandlung von immer anderen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt würde. „Ich kenne meinen Hausarzt und mein Hausarzt kennt mich“, dieses Konzept gehöre dann weitestgehend der Vergangenheit an.

Zumindest eine gute Nachricht? „Manche Patienten sind zwar noch immer ziemlich ungehalten“, so der Hausarzt, „doch im Großen und Ganzen hat sich der Umgang mit den MFA wieder normalisiert.“ Schön sei auch, dass in den Praxen mittlerweile auch „Menschen eine Chance geboten wird, die meinten, sie hätten gar keine mehr.“

„Nach wie vor regeln die Praxen unsere Grundversorgung hervorragend!“

So beschäftigt Pufke eine Mitarbeiterin, die aus der Altenpflege kam, ihren Beruf allerdings nicht mehr ausüben könne. Körperlich schwere Arbeiten wie Pflegen und Lagern seien in der Praxis nicht gegeben, weshalb die Arbeit als MFA für viele eine unglaubliche und vor allem unerwartete Chance darstelle.

„Wenn meine Mitarbeiterinnen morgens lachen, wenn sie ins Geschäft kommen und ihnen das Lachen bis abends nicht vergangen ist, merke ich, dass es trotz aller Widrigkeiten einfach ein toller Job ist!“ Während der Corona-Hochphase sah dies noch ganz anders aus. „Ich muss sagen: Nach wie vor regeln die ganzen Praxen unsere Grundversorgung auch weiterhin hervorragend!“, lobt Pufke.