HBW-Trainer Jens Bürkle im Interview: „Wir wollen als Team zusammenarbeiten“

Von Marcus Arndt

Jens Bürkle kennt die Branche: als Spieler und Trainer. Nach Wiederaufstieg und Saisonabbruch startet der HBW Balingen-Weilstetten Anfang Oktober in die neue Runde im Handball-Oberhaus. Die Schwaben spielen gegen den Abstieg mehr ist im 13. Erstliga-Jahr wohl nicht drin.

HBW-Trainer Jens Bürkle im Interview: „Wir wollen als Team zusammenarbeiten“

Ruhig bei der Analyse: Balingens Trainer Jens Bürkle geht mit den „Galliern“ in eine schwere Saison.

Eine intensive Vorbereitung liegt hinter dem Balinger Handball-Bundesligisten, der deutlich früher als die Konkurrenz gestartet ist. „Die Zeit haben wir nach der langen Pause für einen kontinuierlichen Aufbau gebraucht“, betont Jens Bürkle. Der sieht sich nicht nur in den Ergebnissen beim BGV-Cup bestätigt.

Herr Bürkle, beim BGV-Cup reihten sich die „Gallier“ nach einer knappen Finalniederlage hinter den Rhein-Neckar Löwen an zweiter Stelle ein. Wie ordnen Sie die Leistung Ihrer Mannschaft beim Vorbereitungsturnier ein?

Jens Bürkle: Sportlich bin ich sehr zufrieden, weil wir uns von Spiel zu Spiel gesteigert haben und wir viele gute Einzelleistungen gezeigt haben. Wir waren schon sehr eingespielt – und das sah sehr solide aus. Gefühlt haben wir uns während des Turniers noch einmal weiterentwickelt – hatten mehr herausgespielte Chancen und bessere Aktionen über den Kreis. Ich werte das Turnier als sehr positiv, weil wir doch etwas ersatzgeschwächt angetreten sind – und Schoch, Niemeyer und Wiederstein machen uns sicherlich nicht schlechter.

Früher als das Gros der Konkurrenz hat der HBW bereits Anfang Juli wieder den Trainingsbetrieb aufgenommen. Ihr Fazit?

Die mehrmonatige Vorbereitung war sehr wichtig für uns nach der extrem langen Zwangspause. Ich bin sehr dankbar für diesen kontinuierlichen Aufbau. Die ersten Wochen hatten nur wenig Aussagekraft, was die Spielleistung betrifft. Die Art und Weise wie die Spieler mitgezogen und auch in Eigenverantwortung gearbeitet haben, war hervorragend. Ich bin sehr froh, dass wir gesund durchgekommen sind, weil nach dem Saisonabbruch die Vorbereitung doch mit vielen Risiken behaftet war. Deshalb haben wir noch einmal ein paar Tage Urlaub gemacht, ehe die zweite Phase begonnen hat. Auch in dieser haben wir in allen Punkten sorgfältig gearbeitet, die wir auf der Agenda hatten. Wir sind weitestgehend gesund durchgekommen und haben auch Ergebnisse geliefert. Zum Ende hatten wir in vielen Bereichen schon sehr positive Entwicklungen, konnten im Detail arbeiten. Man hat gesehen, dass wir uns in der Abwehr gegenüber der vergangenen Runde verbessert haben – und dies war in fast allen Vorbereitungsspielen trotz der verletzungsbedingten Ausfälle zu sehen. Auch in dieser Konstellation haben wir Lösungen gefunden, welche funktioniert haben.

Ihr Eindruck von den Neuverpflichtungen?

Moritz Strosack ist für mich kein echter Neuzugang – er hat das gemacht, was wir von ihm erwarten konnten. Für ihn war die Integration einfacher als für die Anderen. ‚Fabi‘ Wiederstein fühlt sich langsam heimischer in unserem System, er weiß, was wir wollen. Ihm hätten mehr Spiele in der Vorbereitung gegen Erstligisten sicherlich gutgetan – es hätte mich brennend interessiert, wie er sich schlägt. James Junior Scott muss sich zwar noch an einige Dinge gewöhnen. Er hat bereits ein paar sehr gute Spiele gemacht – und gezeigt, welches Potenzial in ihm schlummert. Positiv überrascht haben mich seine Leistungen in der Abwehr, was im Vorfeld nicht abzusehen war. James leistet auch in der Defensive schon seinen Beitrag. Dass er vorne an einem guten Tag ganz verrückte Dinge machen kann, wird noch einige überraschen.

Kapitän Martin Strobel hat seine Karriere beendet und hinterlässt auf und neben der Platte eine Riesenlücke. Wie möchte der Klub den Abgang kompensieren?

Er ist für uns nicht eins zu eins zu ersetzen. Diese Aufgaben müssen wir auf mehrere Spieler übertragen – sportlich, aber auch neben dem Spielfeld. Durch den Weggang von Martin, der sehr viel Verantwortung getragen hat, entsteht natürlich eine sehr große Lücke. Das bietet aber auch eine Möglichkeit für die, welche nach so einer Chance streben und einen Führungsanspruch haben. Das ist auch eine positive Sache, weil wir die Last nun auf mehrere Schultern verteilen können und es für den einen oder anderen beflügelnd sein kann.

Zurück auf die Platte. Mit Rang zwei beim BGV-Cup überraschte Ihr Team, machte bereits einen sehr homogenen Eindruck. Wie haben Sie die finalen Wochen vor dem Saisonstart gestaltet?

Wir haben nach dem Vorbereitungsturnier in Baden-Württemberg noch einmal einen Athletik-Block gefahren – danach ging es mit Vollgas Richtung Schnelligkeit, mit weniger Umfang, aber mehr Intensität. Wir haben noch einmal viele Kleinigkeiten reingepackt, verschiedene Spiel- und Sondersituationen.

Der HBW hat in der Vorbereitung die Ligarivalen Göppingen und Stuttgart besiegt. Auf die beiden schwäbischen Rivalen trifft Ihr Team in der Englischen Woche Anfang Oktober.

Wie beurteilen Sie das Auftaktprogramm?

Es waren zwei enge Spiele, die nicht wirklich ein Maßstab sind: Die haben nicht alles gezeigt – wir auch nicht. Dennoch war es schön zu sehen, dass wir eine Chance haben. Aber keine Frage: Das werden richtige Knallerspiele zum Start in die Mammut-Saison – auch der Auftakt gegen Melsungen wird richtig schwer. Das ist eine Mannschaft mit Top-Five-Ambitionen. Die MT ist zwar in der ersten Qualifikationsrunde zur European League gescheitert, aber die Begegnungen kamen auch extrem früh und der dänische Vertreter Bjerringbro-Silkeborg war das schwerste Los.

Nach der Aufstockung auf 20 Teams steigen vier Klubs ab. Welche Zielsetzungen halten Sie für den HBW für realistisch?

Das haben wir innerhalb der Mannschaft noch gar nicht diskutiert. Wir wollen als Team zusammenarbeiten, Handball zeigen, der Spaß macht, und Emotionen transportieren. Ich denke, dass wir in Balingen in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine tolle Entwicklung genommen haben und diese wollen wir fortsetzen. Wir sind nicht nur in der vergangenen Runde sehr gut damit gefahren, Schritt für Schritt zu gehen – und das ist nicht nur eine Floskel. Die Erfolge in der Hinrunde haben uns gezeigt, was möglich ist, und wir – mit einer gewissen Siegermentalität – nur schwer zu schlagen sind.

Wie beurteilen Sie die Aufsteiger aus Coburg und Essen?

Wir haben selbst die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, aufzusteigen – und welche Qualität es braucht. Beide Klubs gehen mit einem vernünftigen Kader in die Runde. Coburg hat sich gut verstärkt – Essen setzt auf eine junge, ehrgeizige Truppe.

Und wer steht vorne im Klassement?

Ich erwarte die üblichen Verdächtigen im oberen Tabellendrittel. Natürlich Kiel. Der THW hat sich mit Sander Sagosen sensationell verstärkt. Ich bin gespannt auf die Rhein-Neckar Löwen, die ich in der vergangenen Runde doch stärker erwartet habe. Abzuwarten bleibt, wie Flensburg-Handewitt die verletzungsbedingten Ausfälle kompensiert. Die Füchse spielen bislang eine souveräne Vorbereitung, bekommen mit Fabian Ernst einen Qualitätsspieler zurück und Marian Michalczik aus Minden dazu. Melsungen ist mit dem Kader und mit diesem Budget natürlich ein Kandidat für die Top-Five. Magdeburg komplettiert – aus meiner Sicht – die Spitzengruppe. Abzuwarten bleibt, wo sich das top verstärkte Erlangen einreiht.

Coronabedingt läuft die Runde anders – mit gleichen Voraussetzungen für alle Klubs?

Ich glaube einfach, dass sich vieles nicht kalkulieren lässt, weil immer wieder Infektionen kommen und in wichtigen Spielen Leistungsträger ausfallen können. Melsungen hat es jetzt schon getroffen – und sie sind vielleicht deshalb aus dem Europapokal rausgeflogen. In dieser ausgeglichenen Liga kann das im unteren Tabellendrittel schon entscheidend sein, ob man am Ende 20 statt 22 Punkte hat. Aber diese Konstellation ist für alle Mannschaften gleich – völlig unabhängig, wo sie in der Rangliste stehen. Ich hoffe einfach, dass es sich fair verteilt.

In der Balinger SparkassenArena hat der HBW in den vielen Erstliga-Jahren wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg geholt. Wird Ihnen – zumindest in der ersten Saisonphase – die „Hölle Süd“ fehlen?

Die Mannschaft und ich waren äußert positiv überrascht von der Atmosphäre im Testspiel gegen Göppingen. Unsere Fans werden uns den achten Mann in der „Hölle Süd“ geben – davon bin ich absolut überzeugt. Aber es ist schon etwas anderes, nur vor 500 Zuschauern aufzulaufen. Natürlich gibt es eine gewisse Schieflage, da in anderen Bundesländern mehr Fans in die Hallen dürfen. Wenn es prozentuale Lösungen geben wird, was die Hallenkapazität betrifft, haben wir einen gewissen Nachteil. Aber wir wissen auch: Eine ausverkaufte „Hölle Süd“ ist so laut wie über 10 000 Zuschauer in Kiel – und auch im reduziertem Rahmen haben wir in Balingen eine tolle Stimmung.