HBW-Coach Jens Bürkle vertraut der Entwicklung: Gemeinsam aus Fehlern lernen

Von Marcus Arndt

Jens Bürkle erwischte mit dem HBW Balingen-Weilstetten in der Handball-Bundesliga einen schwachen Saisonstart. In fünf Spielen kassierten die „Gallier“ fünf Niederlagen. Der Sportwissenschaftler weiß um die Schwierigkeiten der Schwaben. Diese sind erklärbar.

HBW-Coach Jens Bürkle vertraut der Entwicklung: Gemeinsam aus Fehlern lernen

Jens Bürkle ist mit der Leistung seiner Mannschaft eigentlich nicht unzufrieden. Mit den Ergebnissen dagegen schon.

Natürlich hat sich der Kreisstadt-Klub den Re-Start im Oberhaus anders vorgestellt. Nicht grundlos – in der Vorbereitung arbeitete der letztjährige Aufsteiger akribisch und lieferte Ergebnisse. In der Runde bringen die Balinger ihr Potenzial allerdings nur bedingt auf die Platte.

„Wir wussten, dass es so kommen kann“, sagt der erfahrene Trainer unaufgeregt und fügt die Begründung gleich hinzu: „Unsere junge Mannschaft hat aktuell noch einen Nachteil.“ Auch der kleine Kader ist die erwartet große Hypothek für die Talentschmiede von der Schwäbischen Alb. Diese stellt mit Lukas Saueressig und Tim Nothdurft zwei Jung-Nationalspieler, welche es in den erweiterten DHB-Kader geschafft haben. „Der Lohn für harte Arbeit“, betont Bürkle, welcher trotz des Fehlstarts zur Ruhe mahnt: auf und neben der Platte.

Herr Bürkle, wie beurteilen Sie – unabhängig vom Punktestand – die Leistung Ihrer Mannschaft?

Jens Bürkle: Das ist das Ärgerliche, dass wir nach wie vor ohne zählbaren Erfolg sind. Wir hatten in vier von fünf Spielen die Chance, Punkte mitzunehmen – mit Ausnahme der Partie in Essen, wo wir mit Abstand die schwächste Saisonleistung gezeigt haben, auch von der Bereitschaft, dieses Duell gegen einen direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt anzunehmen. Aber das war ein Spiel, ansonsten hatten wir in jeder Begegnung den Moment, etwas zu holen. Wir sind bislang über alle Zahlen gegangen, die man im Wettkampf irgendwie aufnehmen kann – und sind in allen Bereichen gleich oder besser als in der vergangenen Runde. Das ist das Verrückte, zumal wir uns nicht verschlechtert und im Gegenstoß sogar verbessert haben. Wir spielen schneller nach vorne, erzielen mehr Tore innerhalb von fünf Pässen und kommen zu mehr Abschlüssen. Trotzdem haben wir keine Punkte.

Nach den guten Leistungen in der Vorbereitung gestaltet sich die erste Saisonphase schon ein wenig zäh. Haben Sie das erwartet?

Wir wussten, dass es kommen kann, weil wir nach dem Umbruch im Sommer doch viele junge Leute in der Mannschaft haben, die teilweise über sehr wenig oder keine Bundesliga-Erfahrung verfügen. Das wird auch 2020 ein Problem bleiben – und wir werden wohl weiter Lehrgeld zahlen. Das haben wir nun schon viermal erlebt, aber das sind Erfahrungswerte, welche wir sammeln werden. Ich hatte bereits beim BGV-Cup mehrfach den Eindruck, dass wir viele Dinge einfach kassiert haben oder der Gegner noch nicht so weit war. Der hat oft den Kreis übersehen oder die Schusschance ausgelassen. Das ist nun anders – und unsere Fehler in der Abwehr werden konsequent bestraft. Beim Vorbereitungsturnier wirkte unsere Verteidigung stabiler, die Liga zeigt uns die Realität auf.

Ihre Mannschaft präsentiert sich nichtsdestotrotz auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, kann einen Vorsprung aber nicht allzu lange halten. Ihre Analyse?

Es gelingt uns noch nicht, Spieler für bestimmte Momente zu finden. In der Vorsaison haben wir durch Martin Strobel die nötige Ruhe in solchen Situationen gefunden oder mit Juan de la Pena im Eins-gegen-Eins Akzente gesetzt. Es ist natürlich auch ein Thema, dass wir die Führungen, welche wir alle so im Bereich von 20 Toren hatten, viel zu leicht hergeben. Da sind 90 weitere Sekunden absolviert und wir sind statt drei vorne, einen Treffer im Rückstand. Da müssen wir uns einfach bremsen. Wenn ich an die Partie gegen Friesenheim zurückdenke, hat man das ganz deutlich gesehen. Die Eulen spielen im Zweifel einen zwei Minuten langen Angriff, während wir nach 15 Sekunden ein extrem hohes Risiko gehen. Da müssen wir lernen, geduldiger zu werden, sonst werden wir diesen Moment immer wieder erleben, wo eine Partie schnell in die andere Richtung kippt.

Lässt sich das trainieren?

Wir gehen in den Übungseinheiten ganz gezielt auf solche Situationen ein, indem wir die Spieler die Chancen und Risiken in bestimmten Szenen abwägen lassen und ganz bewusst Hektik rausnehmen. Gegen die Eulen machen wir über 60 Minuten nur fünf technische Fehler – das ist eigentlich eine super Zahl. Wenn man die Situationen aber genau analysiert, sieht man, wie brutal diese sind, weil es jedes Mal direkt in den Gegenstoß geht oder unser Tor leer ist. Das gibt sofort minus zwei Tore, da müssen wir einfach fokussierter und konsequenter, aber auch vorsichtiger sein. Das gilt es auch im Training umzusetzen, dass wir die richtigen Würfe mit Überzeugung nehmen und die Erfolgswahrscheinlichkeit richtig abwägen.

Was unterscheidet Ihr Team in solchen Momenten von der Konkurrenz im unteren Tabellendrittel – wie zuletzt Ludwigshafen?

Wahrscheinlich gar nichts, vielleicht die Torhüterparaden im entscheidenden Moment. Skof nimmt uns natürlich drei, vier wichtige Bälle weg. Aber nicht nur das. Wir spielen die gleiche Handlung wie Ludwigshafen, aber die Eulen gehen viermal ins Eins-gegen-Eins, während wir bei einer Halbchance den Abschluss suchen. Das ist das kleine bisschen, das uns noch fehlt. Wir sind schon in der Lage, gegen solche Mannschaften mitzuhalten, aber noch nicht so weit, um in letzter Konsequenz die Punkte zu holen. Das müssen wir uns eingestehen.

Dennoch hatten sich die Balinger Protagonisten auf und neben der Platte mehr erhofft. Wie ist die Stimmung?

Selbstkritisch, weil alle gesehen haben, wieso wir verloren haben. Ich habe auch ein, zwei Dinge gemacht, die ich im Nachhinein anders machen würde. Es sind so Geschichten, wo wir gemeinsam daraus lernen müssen, dass wir die Fehler, welche wir produzieren, auch abstellen – und das schnell. Nach dem BGV-Cup hat es sich der eine oder andere vielleicht ein wenig einfacher vorgestellt. Das glaubt inzwischen niemand mehr – und es kann in dieser langen Saison noch viel passieren. Da bin ich ein wenig bei Dalai Lama, welcher vor vielen Jahren gesagt hat: ‚Menschen die in ihrem Leben viel Belastungen erlebt haben, haben einen stabileren Stand.‘ Ich glaube, dass auch wir viel er- und durchlebt haben . . . Wir haben jetzt noch 33 Spiele – der Weg ist noch lang.

Und steinig – nicht zuletzt aufgrund der Verletzungsproblematik . . .

In der Vorbereitung hat uns der Niemeyer-Ausfall unglaublich wehgetan, aber wir haben in dieser Phase auch Lösungen gefunden, welche in diesem Moment gut waren. Aber man sieht einfach, dass es auf Erstliga-Niveau anders ist. Aber die lange Pause von Marcel hat anderen Spielern die Möglichkeit gegeben, an längere Einsatzzeiten zu kommen. Fabian Wiederstein hat viel Spielzeit bekommen und Tobias Heinzelmann mehr als einen Schuh in der Tür. Aber es sind eben keine gestandenen Erstliga-Spieler auf diesem Level und das merkt man dann auch. Auch die Verletzung von Björn Zintel tut uns natürlich weh, weil wir im zentralen Rückraum die eine oder andere Aktion noch gebraucht hätten.

Das Klassement hat bereits konkrete Konturen. Wie fällt ihre persönliche Bilanz nach der ersten Saisonphase aus?

Klar, die üblichen Verdächtigen stehen vorne – dahinter ein breites Tabellenmittelfeld. Aber ich schaue im Moment nur auf uns – und dass wir unsere Fehler reduzieren und emotional wieder in die Spiele reinfinden. Man merkt schon, wie uns das Heimpublikum fehlt, aber auch die Fans in den anderen Hallen. Es ist schon eine Umstellung, wenn du vor leeren Hallen spielst. Ganz offensichtlich kommen andere Teams im Moment besser damit klar als wir. Wir haben es in der SparkassenArena geschafft, gegen Melsungen und Friesenheim Emotionen auf die Platte zu transportieren. In Essen ist es uns nicht gelungen. Diese Situation ist schon speziell, aber auch hier müssen wir Lösungen finden und die Spannung von innen heraus aufbauen. Das muss die Mannschaft hinkriegen, dass sie die spielentscheidenden Momente zu unseren Momenten macht. Das haben wir bislang nicht geschafft.

Weg von der Liga. Hat Sie die Nominierung von Lukas Saueressig und Tim Nothdurft für den erweiterten DHB-Kader überrascht?

Mich hat eher überrascht, dass der Bundestrainer Jona Schoch nicht auf die Liste gesetzt hat, wenn ich ehrlich bin. Tim hat eine unfassbare Entwicklung ge- und das Duell mit Oddur Gretarsson auf Linksaußen angenommen. Man sieht, dass er in den vergangenen Jahren extrem fleißig gearbeitet und sich diese Chance verdient hat. Ich bin absolut überzeugt davon, dass Tim in diese deutsche Auswahl vorstoßen kann. Auch ‚Luki‘ kann einer für die Zukunft sein. Ihm fehlt aufgrund von Patellasehnenproblemen noch ein wenig das Vertrauen in sich und seinen Körper, damit er wieder das spielt, was er schon gezeigt hat. Dass er einer der Kandidaten für den Rückraum ist, steht für mich außer Frage.