Gute Neuigkeiten, aber noch kein Aufatmen für Tiago: Medikament kann in Europa zugelassen werden

Von Lea Irion

Die teure Gentherapie des Pharmakonzerns Novartis hat eine Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur, kurz EMA, erhalten, auf die normalerweise innerhalb von 60 Tagen eine Zulassung erfolgt. Was bedeutet das für den schwerkranken Tiago aus Binsdorf?

Gute Neuigkeiten, aber noch kein Aufatmen für Tiago: Medikament kann in Europa zugelassen werden

Tiago beim Malen mit Fingerfarben. Derzeit geht es für den Kleinen schrittweise bergauf.

Nicht ganz unerwartet war die Nachricht für Stephanie de Freitas, die sie am Wochenende erreichte. Die Mutter des an Muskelatrophie Typ 2 erkrankten Tiago aus Binsdorf hatte bereits damit gerechnet, dass das für ihren Sohn lebensverlängernde Medikament Zolgensma in Europa zugelassen werden könnte. Die Gentherapie erhielt zuvor nur in den USA eine Marktzulassung, das soll sich in den kommenden 60 Tagen ändern.

„Zuerst hieß es ja, die Zulassung erfolge Ende des Jahres 2019“, sagt Stephanie de Freitas im telefonischen Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER. Das sei aber nicht eingetreten, stattdessen habe man eine Zulassung für den Frühling 2020 erwartet. „Wir haben immer mal wieder was gehört, aber bis jetzt hat es nie geklappt“, führt sie aus.

Ärztliche Zweitmeinung weiterhin benötigt

Tiagos Eltern verknüpfen die mehr oder weniger plötzliche Zulassung des weltweit teuersten Medikaments nicht unbedingt an die kürzlich erschienene Studie zu Zolgensma, die dessen Wirkung bei Muskelatrophie Typ 2 bestätigt. Es habe viele Anfragen von anderen Familien gegeben, deren Kinder auch an Muskelatrophie erkrankt seien, was wiederum Druck auf die Europäische Arzneimittelagentur ausgeübt habe.

Die Nachricht selbst, dass Zolgensma nach monatelanger Unsicherheit nun doch auf den europäischen Markt kommen kann, erreichte Stephanie de Freitas über Facebook. Dort wurde die Nachricht mehrfach geteilt, auch von vielen Familien wurde das Binsdorfer Dreiergespann über die Neuigkeit informiert.

Keine Neuigkeiten zum Prozess mit Krankenkasse

„Wir waren natürlich überglücklich, aber das dauert alles noch, bis es letztendlich zugelassen wird“, antwortet de Freitas auf die Frage, wie die kleine Familie auf die Nachricht reagiert hat. Normalerweise werde der Zeitrahmen von 60 Tagen, in denen die Zulassung letztendlich erfolgen soll, auch eingehalten. Aber für Kinder wie Tiago, deren Krankheitsverlauf gleichzeitig ein stetiger Wettlauf gegen die Zeit bedeutet, sei die Nachricht zwar gut, bedeute aber noch kein endgültiges Aufatmen.

In Tiagos Fall verlangt die Krankenkasse eine ärztliche Zweitmeinung. Eine erste hat der Zweijährige schon von seinem Kinderarzt erhalten. In diesem Gutachten spricht sich der Mediziner klar für die Verwendung von Zolgensma aus: „Nach Prüfung der erreichbaren Datenlage und Literatur ist davon auszugehen, dass Tiago von einer Behandlung mit Zolgensma deutlich profitieren würde.“

Unklar, bis wann Tiago Zolgensma bekommt

Die Krankenkasse verlangt aber zudem eine Einschätzung eines Mediziners, der sich mit Neuropädiatrie, also Nervenkrankheiten von Kindern, auskennt. Die Zulassung von Zolgensma ist demnach eine positive Nachricht für Tiago, aber am Ziel ist die kleine Binsdorfer Familie noch nicht. Mehr könne man zum fortlaufenden Prozess mit der Krankenkasse derzeit nicht sagen, so de Freitas.

Am Freitag erhielt Tiago das Testergebnis eines Bluttests, der feststellen sollte, ob der Zweijährige eine potenzielle Immunität gegen Zolgensma hat. Der Test fiel negativ aus, was bedeutet, dass zumindest aus medizinischer Sicht der Verabreichung der teuren Gentherapie nichts im Wege stünde.

Zeitfenster ist unsicher

Unklar ist für die Familie derzeit, welches Zeitfenster Tiago zur Verabreichung noch bleibt. Denn die Wirkung des Medikaments ist für erkrankte Kinder nicht lebenslang möglich, sondern muss bis zu einem gewissen Alter erfolgen. Weder Tiagos Eltern, noch deren Anwalt sind sich derzeit im Klaren darüber, bis wann Zolgensma noch injiziert werden kann, damit es bei dem Kleinen wirkt.

„Aufatmen können wir noch nicht wirklich“, sagt de Freitas. Man bleibe am Ball, dass Tiago Zolgensma noch vor der offiziellen Zulassung über andere Wege erhält. „Dass das Ergebnis des Bluttests negativ ausgefallen ist, ist schon mal richtig gut“, führt Tiagos Mutter aus.

Was mit den Spenden passiert, falls die Krankenkasse nun doch zahlt, ist nach wie vor unverändert. Das gesammelte Geld würde für zwei Jahre für Tiagos Eltern zugänglich bleiben, um krankheitsbedingte Anschaffungen wie Rollstühle zu finanzieren.

Als Nächstes kommt erst mal Spinraza

Unter einem Facebook-Post auf Tiagos Seite bleibt die Solidarität der Bürger weiterhin in großem Ausmaß erhalten. Am 28. März verkündeten die Eltern des Kleinen die Neuigkeiten zu Zolgensma und dem weiteren Vorgehen. Dutzende Menschen freuten sich mit den Binsdorfern über die Nachrichten und sprachen ihr Mitgefühl aus. „Wir lesen immer jeden Kommentar und jede Nachricht, wenn Tiago im Bett ist“, sagt de Freitas. Der anhaltende Zuspruch bestärkt die kleine Familie.

Für Tiago steht als Nächstes am Montag, 6. April, eine weitere Verabreichung von Spinraza an. Der Zweijährige und seine Eltern werden nicht wie gewohnt zweimal im behandelnden Krankenhaus übernachten, sondern nur von Montag auf Dienstag, um die Ansteckungsgefahr von Covid-19 für Tiago so gering wie möglich zu halten.