Die Balinger Graffiti-Künstlerin Anika Heimann im Porträt: Sie sprüht vor Kreativität

Von Benno Schlagenhauf

Man kann kaum durch Balingen gehen, ohne auf ein Werk der Künstlerin Anika Heimann zu stoßen. Für illegale Graffitis hat sie nichts übrig. Sie will aufklären, um die Kunstform aus der Schmuddelecke zu holen.

Die Balinger Graffiti-Künstlerin Anika Heimann im Porträt: Sie sprüht vor Kreativität

Graffiti-Künstlerin Anika Heimann inmitten ihrer fertigen und entstehenden Werke in ihrem Dachboden-Atelier.

Der unverwechselbare Geruch von Sprühfarbe hängt noch leicht im Raum, in den Regalen stapeln sich unzählige von Farbdosen, jeder Zentimeter des Dachbodens ist mit bunten Klecksen bedeckt und zeugt von der Entstehung vorheriger Kunstwerke: Hier, unter dem Dach ihres Elternhauses in Heselwangen hat die Graffiti-Künstlerin Anika Heimann ihr Atelier eingerichtet.

Lehramtsstudentin mit kreativer Ader

Mittlerweile wohnt die 28-Jährige in Tübingen und steckt mitten im Lehramtsstudium, an den Wochenenden ist sie in der Heimat und lebt dort ihre kreative Ader aus.

„Ich habe schon immer viel gebastelt und gemalt“, erzählt die Künstlerin. Das sieht man auch in ihrem liebevoll gestalteten Atelier, das mit Flaschen, in denen Lichterketten liegen, stimmungsvoll beleuchtet wird.

„Als Kind habe ich immer Kritzelkratzel-Bilder gemalt und gesagt, dass ich die mal verkaufe – dass das mal wahr wird hätte keiner gedacht.“

Die Nachfrage nach den bunten Kunstwerken der angehenden Sprayerin war so groß, dass sie schon bald ein Gewerbe anmeldete.

Fast alles macht sie selbst

Mittlerweile stapeln sich die Anfragen nach Auftragsgemälden bei der Künstlerin, die über einen Schulfreund zu Graffitis kam und sich das Sprühen vor rund sechs Jahren selbst beigebracht hat. Auch Website, Online-Shop, Flyer, Plakate und das komplette Drumherum gestaltet sie in Eigenregie.

Bei Ausstellungen und Workshops wird sie von ihren Eltern, Freunden und ihrem Partner unterstützt: „Sie machen Häppchen für die Vernissage, helfen beim Aufhängen der Bilder oder sind bei der Ausstellung einfach nur da – dafür bin ich sehr dankbar“, sagt sie.

Neben dem Studium und der Graffiti-Kunst fotografiert die junge Künstlerin auch noch leidenschaftlich: „Am Wochenende bin ich entweder im Atelier, fotografiere auf einer Hochzeit oder gebe einen Graffiti-Workshop.“ Ganz schön viel zu tun, aber Heimann sagt: „Es ist kein Stress, wenn es Spaß macht.“

Jung und Alt erlernen Graffiti-Kunst

Allein dieses Jahr gibt sie 20 bis 30 Workshops. „Oft sind es Schulklassen, aber auch Unternehmen, die das zum Team-Building machen.“ Auf dem Bisinger Maute-Areal sprühten erst kürzlich über 60 Kinder.

Bei den Haigerlocher Kunst- und Kulturtagen 2018 waren die beiden Workshops ebenfalls bestens besucht „Einige, die am ersten Tag teilnahmen, wollten dann auch gleich noch beim zweiten Kurs mitmachen“, erzählt Heimann.

Viele der Kursteilnehmer bleiben dabei und schicken ihr Fotos ihrer selbstgemachten Werke: „Das freut mich riesig, wenn die Leute Freude an meinen Bildern und Spaß an den Kursen haben. Das ist das größte Lob.“

Aufklärung über illegale Graffitis

Doch nicht nur in der Praxis unterrichtet die Künstlerin Kinder und Jugendliche, sondern auch in der Theorie. Das Thema Aufklärung ist ihr wichtig: „Ich will zeigen, was man mit Graffitis Schönes machen kann, wenn man sich Zeit lässt und sich Mühe gibt.“ Von illegalen Graffitis, die hektisch in Nacht-und-Nebelaktionen gesprüht werden, hält sie nichts. „Das sind meist nur Schmierereien“.

Die Künstlerin möchte das Thema Graffiti aus der Schmuddelecke herausholen. Das Image habe sich in den vergangenen Jahren verbessert: „Das ist auch der Verdienst von Künstlern, die legal sprühen und Aufklärung betreiben“, erklärt Heimann.

Auch die Städte hätten etwas dafür getan: „Es gibt genug Flächen, wo man legal sprühen darf. Es muss keiner riskieren, wegen illegalen Sprayens ins Gefängnis zu kommen.“

Schwarze Schafe gibt es natürlich trotzdem. Vor allem in Großstädten gäbe es noch Graffitigangs, die durch illegale Aktionen ihr Revier markieren. „Das finde ich eigentlich noch schlimmer, als denjenigen, der halt mal mit der Dose aus dem Baumarkt etwas besprüht, denn bei den Gangs ist das organisiert.“

Kunstform hat sich weiterentwickelt

„Klar waren Graffitis ursprünglich immer illegal, aber jede Kunstform entwickelt sich weiter und man muss ja nicht in der Illegalität hängen bleiben“, sagt Heimann, die sich ohnehin nicht wirklich zur Graffitiszene zählt: „Ich mach‘ einfach mein Ding und freue mich, wenn ich damit den Leuten ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann.“

Und das gelingt hervorragend: Überall in Balingen und Umgebung finden sich ihre Kunstwerke: auf Stromkästen, Garagentoren, Hauswänden oder auf Leinwänden in Cafés und Geschäften.

Einen Überblick, wo ihre Werke hängen, hat die 28-Jährige, die im Monat rund 40 Leinwände und neuerdings auch Orient-Teppiche – besprüht, längst nicht mehr: „Ich bin selber manchmal überrascht, wo ich auf meine Bilder stoße, wenn ich durch die Stadt gehe.“

Ausstellungen und Projekte

Anika Heimann war 2015 eine von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern, die Balingens mausgraue Stromkästen in bunte Schmuckstücke verwandelten.

Im vergangenen Frühjahr zeigte Heimann ihre Werke erstmals bei einer eigenen Ausstellung in Bisingen. Über 200 Besucher kamen zur Vernissage: „Der Bürgermeister Roman Waizenegger meinte hinterher zu mir, dass er das Foyer der Hohenzollernhalle noch nie so voll gesehen habe.“ Auch bei den Haigerlocher Kunst- und Kulturtagen wurden ihre Werke ausgestellt.

Weil die Graffiti-Kunst in Bisingen so gut ankam, wurde in Kooperation mit der Gemeinde ein großer Workshop angeboten. Außerdem sollten auch Bisingens Stromkästen in bunten Farben erstrahlen – Heimann übernahm dazu die künstlerische Leitung des Projekts.

Die nächste Ausstellung findet im Böblinger Rathaus statt. Vernissage ist am Freitag, 3. Mai, um 18 Uhr. Weitere Infos gibt es auf zuckerwattepuffreis.com.

Selbstversuch: ZAK-Redakteur Benno Schlagenhauf macht seine ersten Gehversuche an der Spraydose

Oje! Schon bevor ich die Schablone – das sogenannte Stencil – fertig ausgeschnitten habe und die ersten Konturen an meinem Spraypaint-Gemälde sprühen kann, mache ich den ersten Fehler: Ich zerschneide den äußeren Rand der Schablone und lasse das Innere heile – andersrum wäre es besser gewesen.

„Nicht so schlimm“, sagt Anika Heimann, die mich in die Kunst des Graffitisprühens einführt. „Das Schöne am Graffiti ist, dass man alle Fehler ganz leicht korrigieren kann.“

Kurzerhand wird meine Schablone mit Klebeband geflickt und ich kann mit schwarzer Farbe die Umrisse meines Motivs auf die Leinwand bringen, die ich zuvor schon in Kupferfarben grundiert habe.

Dass Graffiti-Sprühen körperlich so anstrengend ist, hätte ich nicht gedacht: Auf dem Dachboden komme ich an diesem heißen Frühlingstag ganz schön ins Schwitzen. Die meiste Zeit verbringe ich beim Sprühen hockend und knieend, die Atmung wird noch durch eine Schutzmaske erschwert, die verhindert, dass ich den Sprühnebel einatme.

Jede Trockenpause zwischen den einzelnen Schablonen, die von Farbschicht zu Farbschicht immer detaillierter werden, ist also auch eine willkommene Gelegenheit, durchzuschnaufen.

Dann passiert mir schon wieder ein Anfängerfehler, als ich versehentlich über das Stencil hinaussprühe. „Tupf einfach noch mal mit ein bisschen Gold drüber“, rät Ani. Jetzt sieht man nichts mehr von meinem Missgeschick.

Nach der zweiten und dritten Farbschicht – erst hell- dann dunkelgrau– kann man schon eher erkennen, was das ganze Bild einmal darstellen soll.

Ich habe mir als Film- und Burgerfan die ikonische Burger-Szene aus Quentin Tarantinos 90er-Kultstreifen „Pulp Fiction“ ausgesucht. Der mampfende Samuel L. Jackson alias Jules Winfield soll einmal mein Esszimmer schmücken.

Noch zwei letzte Stencils, noch ein paar letzte Details mit weiß und zuletzt nochmal mit schwarz und „Jules“ ist fertig – und ich stolz wie Oskar.

Dass ich bei meinen ersten Gehversuchen an der Spraydose so ein cooles Bild hinbekommen würde, hätte ich selbst nicht gedacht. Da gibt’s auch ein Lob meiner Graffiti-Lehrerin.

Zuletzt wird das Kunstwerk noch signiert und muss nun nur noch etwas auslüften. Aber danach bekommt es einen Ehrenplatz über meinem Esstisch.

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