Balingen

Gelungener Spagat zwischen Hochbarock und Hip-Hop in der Balinger Stadthalle

05.01.2020

Von Thomas Meinert

Gelungener Spagat zwischen Hochbarock und Hip-Hop in der Balinger Stadthalle

© Thomas Meinert

Free Vivaldi: Four Seasons meet Streetdance heißt die Inszenierung von Manuel Druminski, die in der Balinger Stadthalle zu sehen war, zum Beispiel das getanzte Vogelgezwitscher.

Ist es möglich Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mit einer neuen Form zu verbinden. Diese Frage beantwortete Manuel Druminski mit seinem Streetdance-Projekt, präsentiert vom ZOLLERN-ALB-KURIER.

Im Alter von 47 Jahren veröffentlichte der italienische Priester, Geigenvirtuose und Komponist Antonio Vivaldi 1725 sein Opus 8: 12 Violinkonzerte unter dem Titel „Das Wagnis von Harmonie und Erfindung“. Vier der je dreisätzigen Violinkonzerte sind bis heute unter dem Titel „Die Vier Jahreszeiten“ weltbekannt.

Das Besondere der hochbarocken Kompositionen: Es handelt sich um Programm-Musik, bei der Vivaldi genau angegeben hat, welche Szenen und Inhalte die einzelnen Sätze darstellen sollen. Ein zeitgenössisches „Wagnis von Harmonie und Erfindung“ schuf der in München lebende Violonist und Komponist Manuel Druminski mit dem 2013 konziperten Projekt „Vivaldi meets Street-Art“, das nun in einer aktualisierten Fassung unter dem Titel „Free Vivaldi“ in der Balinger Stadthalle aufgeführt wurde.

Free Vivaldi

Ermöglicht wird das Projekt durch die Zusammenarbeit Druminskis – von 2009 bis 2017 Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Freiburg – mit der Freiburger Tanzschule „MAK-Company“, bei der das Kürzel „MAK“ sowohl für den Dreiklang aus Motivation, Ambition und Knowledge steht, als auch für den Namen Maryam Anita Khosravi-Piozolo als Geschäftsführerin der Tanzschule.

Free Vivaldi arbeitet mit vier Elementen: Mit Playbacks und einer Stimme vom Band, die die Inhalte des Programms erläutert oder durch zeitgenössische Prosa ergänzt, mit dem Live-Spiel von Manuel Druminski auf seiner Violine, mit den modernen Tänzen, ausgeführt von Mitgliedern der MAK-Company in wechselnden Kostümen und Besetzungen, und mit der Bühnenbeleuchtung, die durch warme und kalte Farben in Verbindung mit Kunstnebel für die jeweils passende Hintergrundstimmung sorgt.

Vier Tänze

Die Vorstellung beginnt zunächst mit vier Tänzern; nach dem Breakdance-Auftakt gesellen sich Manuel Druminski im Jogging-Anzug und mit seiner Violine sowie drei weitere Tänzerinnen hinzu. Gemeinsam verkörpern sie den ersten Satz von „La primavera“, der programmatisch Vogelgezwitscher, sanfte Winde und Quellen darstellt. Im zweiten Satz werden schlafende Hirten dargestellt, begleitet von Blätterrauschen und fernem Hundegebell.

Der dritte Satz beschreibt den Tanz von Nymphen und Schäfern. Im Wechsel mit den sieben Tänzerinnen und Tänzern erscheinen drei weitere Tanzsolisten – die Ausschnitte aus den Jahreszeiten werden durch Einspielungen zeitgenössischer Hip-Hop-Musik ergänzt, und die moderne Körpersprache der Tänzerinnen und Tänzer verbindet die Elemente aus alter und neuer Musik zu einem getanzten Einklang.

Energiegeladen

„L’estate“, der Sommer, beschreibt zunächst die sengende Hitze des Sommers, dann die sich allmählich entwickelnden Zephyrwinde, die einen müden Schäfer aus dem Schlaf schrecken lassen, und schließlich den eisigen Nordwind Boréas, der sich im Kampf mit dem milderen Südwind in einem heftigen Gewitter entlädt. Entsprechend energiegeladen sind die Choreografien der Tanzcompany, gekennzeichnet durch eine nahezu perfekte Synchronität und virtuose Solo-Einlagen, die immer wieder Szenenapplaus hervorrufen.

Auch Manuel Druminski, der den Sommer in einem Fransenhemd verkörpert, lässt sich vom Temperament der Handlung einfangen, wird Geige spielend ebenfalls zum Tänzer und gestaltet die Dramatik des Inhalts nicht nur durch virtuoses Instrumentalspiel, sondern auch durch ganzen Körpereinsatz. Dass er dabei kurz vor der Pause stürzt und sich ein Band anreißt, erfahren die Zuschauer am Ende der Pause durch Stadthallen-Geschäftsführer Matthias Klein. Doch Druminski lässt sich den Schmerz nicht anmerken und setzt das Programm fort, erhält einen Sonderapplaus des Publikums.

Modernes Pas-de-deux

Nach der Pause beschreibt eine kurze Tanzeinlage den Übergang zwischen Spätsommer und Frühherbst, die von der Stimme aus dem Off als „fünfte und schönste Jahreszeit“ bezeichnet wird. „L’autunno“, der Herbst, beginnt mit einem Trinklied, und die Tanzcompany stellt mit sich steigernder Extase zunächst die zunehmende Wirkung des Alkohols dar, um dann in einen sanften Schlaf zu fallen, gefühlvoll in einem modernen Pas-de-Deux dargestellt.

Der dritte Konzertsatz beschreibt Jagdszenen, und die Tänzer stellen sowohl die temperamentvolle Jagd dar, als auch das Aufbäumen und schließlich den Tod des gejagten Tieres.

Stürmischer Applaus

„L’inverno“ – der Winter – handelt zunächst von der eisigen Kälte, gegen die sich die Menschen mit Fußstampfen, Zittern und Zähneklappern wehren. Kontrastierend dazu beschreibt der Mittelsatz des Konzertes die behagliche Wärme am offenen Kamin – die Tänzer werden in roten Kostümen zu tanzenden Flammen. Im Schlusssatz beschreibt Vivaldi zunächst die Kreise eines Eisläufers, die sich zu waghalsigen Piruetten steigern, die schließlich das Eis zum Brechen bringen.

Der Winterwind Scirocco beendet den Schlusssatz der vier Konzerte. Ebenso stürmisch ist der Applaus des Publikums, das sich begeistert von den Stühlen erhebt und von den gut gelaunten Ausführenden mit einer Zugabe belohnt wird.

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