Geislingen

Geislingerin findet historischen Schatz im Bücherregal: Herrschaftsgeschichte in zwei Bänden

07.11.2019

Von Rosalinde Conzelmann

Geislingerin findet historischen Schatz im Bücherregal: Herrschaftsgeschichte in zwei Bänden

© Rosalinde Conzelmann

Uschi Amann zeigt auf das oberste Regalfach. Dort hat sie die historischen Jahresgerichtsprotokolle entdeckt.

Zwischen Uta Danella und Isabel Allende schlummerte ein literarisch-historischer Fund im offenen Bücherregal der katholischen Kirche: zwei Bände mit Gerichtsprotokollen von 1661 bis 1730. Entdeckerin Uschi Amann übergab den Schatz ans Stadtarchivar. Wer die Bände dort hingestellt hat, bleibt wohl ein Geheimnis.

Uschi Amann ist kraft ihres Ehrenamtes in der Kolpingsfamilie jede Woche im katholischen Gemeindehaus. Sie bedient sich regelmäßig im offenen Bücherregal und hat dort schon die eine oder spannende Lektüre gefunden.

Die Bücher sehen anders aus

Im Oktober staunte sie nicht schlecht, als die in der obersten Reihe des Bücherregals, das im Vorraum der Sankt-Ulrich-Kirche steht, zwei große Bücher entdeckte, die anders aussahen als der Rest.

Sie zeigte ihren Fund gleich Volker Amann, dem Chef der Kolpingsfamilie. „Ich musste erstmal schlucken und habe gleich gesehen, dass diese Bücher wichtig sind“, erzählt er. Der Geislinger informierte den ehrenamtlichen Stadtarchivar Alfons Koch, der begeistert war von diesem historischen Zeugnis der Geislinger Geschichte.

Neue Bleibe im Stadtarchiv

„Sie gehören ins Stadtarchiv“, sagt der Geislinger. Dort werden sie nun eine Lücke zwischen den anderen Gerichtsprotokollen füllen.

Band eins enthält Aufzeichnungen aus den Jahren 1616 bis 1700; Band zwei von 1708 bis 1730. Alfons Koch hat die Jahresgerichtsprotokolle quer gelesen und viele neue Erkenntnisse gewonnen.

Das Vogtsgericht tagte jährlich

Einmal jährlich tagte das Vogtsgericht, um sich den zugetragenen Fälle anzunehmen. Geislingen war zu dieser Zeit geteilt und wurde von den Herren von Stotzingen und dem Adelsgeschlecht von Pürschütz regiert. „Beide Herrschaften haben das Vogtsgericht abgehalten“, erzählt Koch. Es war ein wichtiges Instrument, um den Frieden in der Stadt zu erhalten.

Schmäh- und Scheltworte

Gerügt wurden Schmäh- und Scheltworte und auch das Fluchen. So findet sich ein Eintrag über einen Mann, der verbotenerweise „Tabak getrunken“ hatte, wie zu jener Zeit das Rauchen auch genannt wurde. Er musste 30 Kreuzer als Strafe bezahlen.

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Beide Herrschaften haben das Gericht abgehalten. Alfons Koch, ehrenamtlicher Stadtarchivar

Ich habe gleich gesehen, dass diese Bücher wichtig sind. Volker Amann, Chef der Geislinger Kolpingsfamilie

Weitere Fälle, über die das Gericht verhandelte, waren beispielsweise die Klage einer Schwester, dass die Kinder nicht in die Schule gehen oder die Beschwerde eines Bürgers, dass sein Nachbar auf einem fremden Acker Gemüse angebaut hat. Ebenso wurde das parteiische Verhalten eines Feldschützes angezeigt.

Vielfach beschäftigten sich die Richter mit Zank, Streit und Schlägereien. Auch die Besetzung von neuen Ämtern wurde protokolliert.

1661 wird das Karzerhaus gebaut

Einen interessanten Hinweis findet Koch in einem Protokoll von 1661. In diesem ist vermerkt, dass eine neue Halsgerichtsordnung gekauft und ein Karzerhaus gebaut werden soll. „Das war der Anfang des Gefängnisses“, so Koch.

Karzer kommt von Kerker. Für den Historiker haben die Bände eine besondere Bedeutung: „Die ganze Geislinger Herrschaft spiegelt sich wider.“

Die Obrigkeit wechselt

Im Jahr 1698 gibt es Veränderungen in der Obrigkeit, auch das steht in den Protokollen. „Jetzt kommt Johann Wilhelm Schenk von Stauffenberg ins Spiel“, berichtet Koch. Ein Adliger, der sich für Geislingen sehr eingesetzt habe.

Ebenso ist die „Huldigungsgeschichte“ aufgeschrieben. Im Jahr 1727 verweigerten die Untertanen ihrem Fürsten die Huldigung. Die Strafandrohung genügte, dass sie die Obrigkeit dann doch anerkannten.

Geislingerin findet historischen Schatz im Bücherregal: Herrschaftsgeschichte in zwei Bänden

© Rosalinde Conzelmann

Alfons Koch mit den zwei Bänden der Gerichtsprotokolle, die wertvolle Erkenntnisse über die Stadtgeschichte liefern.

Den Aufzeichnungen, die in Deutscher Schrift verfasst sind, ist auch zu entnehmen, dass der Gemeinde eine Turmstrafe lieber war als eine Geldstrafe. „Weil die Kassenlage eher mau war“, sagt Koch, der von der ungewöhnlich schönen und gleichmäßigen Handschrift eines der Schreiber mit dem Namen Rumpf schwärmt.

Es gab ein Spatzengeld

Für heutige Verhältnisse enthalten die Protokolle auch Aufschriebe, die verwundern. So gab es damals zum Beispiel ein „Spatzengeld“, das der Ausrottung der Vögel dienen sollte und es gab Regeln für das Wäsche- oder Graseinholen.

Die Obrigkeit hielt entweder im Schloss oder im Amtshaus, dem heutigen Bürger- und Vereinshaus Harmonie, Gericht.

Bände sind schimmelfrei

Die Bände sehen zwar leicht mitgenommen aus, sind aber noch gut erhalten. „Schlimmer wäre Schimmel“, sagt Alfons Koch, der mit ihnen eine Lücke im Stadtarchiv schließt. „Das ist wirklich ein Glückstreffer“, meint er freudestrahlend.

Koch treibt die Frage um, wer ihm und der Stadt dieses Geschenk gemacht hat. Er mutmaßt, dass die Bände auf einer Bühne gelagert waren und vergessen worden sind und nun durch irgendwelche Zufälle ans Licht kamen.

Auf alle Fälle ist er dem „Spender“ und den aufmerksamen Kolpingfreunden dankbar. Denn die wertvollen Geschichtsbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert hätten auch im Müll landen können. Insgeheim hofft er, dass vielleicht noch weitere Bände auftauchen.

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