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Geislinger Integrationslauf: Mit den Siegern der Herzen ins Ziel

Von Rosalinde Conzelmann

Der Geislinger Halbmarathon ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie einfach Integration im Sport gelingen kann. 

Eine Freundschaft begann. Die behinderten Läufer bewundern Pascal Brobeil für seine Erfolge.

Der fünffache Sieger Pascal Brobeil berichtet, wie aus anfänglicher Unsicherheit Freundschaften entstanden sind. Die Läufer mit Handicap erzählen uns, wie sehr sie den Applaus der Zuschauer genießen und wie wichtig dieses Miteinander für sie ist.

Nein, es war keine Liebe auf den ersten Blick. Als der gebürtige Geislinger Pascal Brobeil zum ersten Mal mit behinderten Sportlern in Kontakt kam, war er zunächst verunsichert. „Ich hatte zuvor keinerlei Berührungspunkte mit behinderten Menschen.“ Dann startete er 2013 beim Volkslauf der Geislinger Leichtathletikabteilung. Er siegte haushoch und spontan entschloss sich der Topläufer dazu, seinen Pokal an „seine Sieger der Herzen“ zu verschenken.

Deren Freude war riesengroß und das Eis gebrochen. Heute denkt sich Pascal Brobeil gar nichts mehr dabei, wenn er sagt, ich gehe zu den „Behindis“. Respektvoll, ehrlich und keine Spur herabwürdigend. Der Tonfall ist locker, so wie man unter Freunden spricht. Und Freunde sind der Extremsportler und die behinderten Läufer längst geworden. Man sieht sich vier- bis fünfmal im Jahr, trainiert gemeinsam und startet zusammen bei Integrationsläufen.

Der Stifter dieser menschlich anrührenden Partnerschaft ist der Geislinger Halbmarathon beziehungsweise die Menschen, die dahinter stehen. Wie Thomas Arndt, der im Jahr 2005 als HGV-Chef die Idee zu dem sportlichen Event hatte und den Startschuss für den ersten HGV-Halbmarathon gab. Oder der Marathonläufer Franz Koch, der gemeinsam mit Arndt den dritten Geislinger Lauf für Menschen mit Behinderung öffnete und so der sportlichen Großveranstaltung bis heute ein Alleinstellungsmerkmal verpasste.

Auch der Sonderschullehrer Dr. Martin Sowa, der viele Jahre zum beständigen Partner der Leichtathleten und Mitorganisator der Integrationsläufe wurde, ist Teil dieser Erfolgsgeschichte. Ebenso wie der TSV-Vorsitzende Jürgen Koch und der Leichtathletikchef Armin Teichmann. Beide können sich den Geislinger Lauf ohne die Freudentränen und stürmischen Umarmungen der behinderten Teilnehmer nicht mehr vorstellen.

Dann sind da noch die vielen freiwilligen Helfer aus Geislingen, die (auch im Stillen) davor sorgen, dass es am Wettkampftag rund läuft. Sei es als Streckenposten, in der Küche, bei der Zeitmessung oder im Verpflegungszelt. Und schließlich das Publikum, das allen Läufern Respekt zollt für die erbrachte Leistung. Ob mit oder ohne Behinderung.

Seit einigen Jahren gehen auch beim Geislinger Volkslauf im Herbst behinderte Läufer an den Start und – um den Inklusionsgedanken noch mehr in den Vordergrund zu rücken – laufen seit der neunten Auflage des Halbmarathons die Schüler gemeinsam mit den Menschen mit Handicap.

Erst vor wenigen Tagen hat Pascal Brobeil seine Freunde in Bad Urach wieder beim Training besucht. Die Männer und Frauen mit geistiger Behinderung und zum Teil auch körperlichen Einschränkungen arbeiten in den Werkstätten der Bruderhaus-Diakonie. Sie erzählen, was Sport für sie bedeutet und wie sie die Freundschaft mit dem erfolgreichen Sportler sehen.

Dabei äußert sich auch Gerhard Kühn zu Wort. Er ist der „Auslöser“ für Brobeils Engagement. Denn der 31-Jährige machte bei den ersten Geislinger Wettkämpfen immer zu viel Tempo und verausgabte sich total. Erschöpfung und Tränen waren die Folge. Aus Sorge um die Gesundheit des jungen Mannes nahm ihn Brobeil quasi an die Hand und half ihm so, den richtigen Laufrhythmus zu finden.

Kühn sagt, dass er sehr gerne nach Geislingen kommt. Er spielt noch Fußball und meint, dass ihm oft die Puste ausgeht, weil er behindert ist. Auch würde er gerne Tischtennis spielen. Sein Rücken macht aber nicht mit. Er findet es gut, dass er jetzt mit den Schülern an den Start gehen darf: „Da ist mehr los.“ Sein schönster Moment: „Der Applaus ist das Beste in Geislingen.“

Sven Ludwig arbeitet auf einem Biolandhof und steht jeden Morgen um vier Uhr auf. Offen bekennt er, dass es ihm in Geislingen immer viel zu kalt ist und er so gerne einen Ironman laufen würde, was aber aufgrund seiner Behinderung nicht möglich ist. Auch er trainiert mehrmals pro Woche und hat an der Seite von Pascal Brobeil schon einmal einen Zehnkilometerlauf absolviert.

Der 38-Jährige mag Pascal, weil dieser sich immer seinem Tempo anpasst und nicht davonzieht. Lachend meint er: „Pascal ist eine coole Sau.“ Auch für Ludwig zählen der Applaus und die freundlichen Menschen, die ihm zujubeln, zu den schönsten Augenblicken in Geislingen.

Dorothee Eisele ist nicht so ehrgeizig wie ihre Kollegen. Sie arbeitet in der Dettinger Werkstatt und trainiert nur einmal in der Woche. Sie hat nicht das Gefühl, dass ihre Behinderung sie hemmt, Dinge zu tun, die sie gerne tun würde. „Das passt so“, sagt die 27-Jährige, die Pascal als nett und lustig beschreibt. Ihre Eltern unterstützen sie beim Sporttreiben und sie betont, dass sie sich beim Geislinger Lauf besonders über die Urkunde freut, die ihr Bürgermeister Oliver Schmid überreicht. „Aber eigentlich ist alles schön“, ergänzt sie.

Pascal Brobeil freut sich auf jedes Treffen mit seinen „Behindis“, denn dank dieser Freundschaften hat sich auch sein Blick auf die Welt verändert. „Ich bin dankbar, dass ich einen gesunden Körper habe“, sagt er. Dass sich dies jederzeit ändern kann, sei ihm bewusst. Es macht ihm Freude, die eigene Erfahrung weiterzugeben und er will zeigen, dass Sport nicht nur mit Verbissenheit zu tun hat. „Es geht um den Spaß und die Bewegung“, betont er.

Noch immer registriert er mit Erstaunen und auch Verwunderung, wie die behinderten Sportler mit ihrer Freude und ihrer Enttäuschung umgehen. „Sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf, das war anfangs sehr ungewohnt für mich“, erzählt er. Die Anerkennung sei ihnen sehr wichtig. „Wenn wir gemeinsam die Hymne 'So sehen Sieger aus' anstimmen, bekomme ich noch immer Gänsehaut“, bekennt er offen.

Er hat zwischenzeitlich auch gelernt, dass Trost sehr wichtig ist für seine Lauffreunde. Die Bewunderung für seine eigene Person ist ihm manchmal unangenehm. Er kann aber damit umgehen und hat keinerlei Berührungsängste mehr – und lässt sich nach jedem Sieg herzen und drücken.

Der fünffache Geislinger Halbmarathonsieger misst dem Integrationslauf eine große Bedeutung bei: „Die Teilnahme an den Wettkämpfen bedeutet Teilnahme an der Gesellschaft.“ Und für sich selbst zieht er diese Erkenntnis: „Jeder Integrationslauf erdet mich und ich sehe nicht mehr alles so verbissen.“ Deshalb spricht er den Geislingern auch ein Lob aus, dass sie den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und so Vorbilder für andere Sportvereine sein können.

Der 14. VR-Halbmarathon ist für Brobeil ist nur ein Warmlaufen für eine weiteres Event: Im Mai begleitet der 32-Jährige mit 14 ehrenamtlichen Betreuern 29 behinderte Sportler zur Special Olympics nach Kiel. Vom 14. bis 18. Mai finden dort für 4600 Athleten die nationalen Sommerspiele für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung statt. Dafür nimmt der Geislinger, der seit sechs Jahren intensiv Sport betreibt, eine Woche Urlaub.

Info

Geislingen 21 Der 14. VR-Halbmarathon findet am Samstag, 21. April, statt. Start und Ziel sind bei der Schlossparkhalle. Der Startschuss für den gemeinsamen Schüler-/Integrationslauf fällt um 12 Uhr. Die behinderten Läufern und die Kids würden sich über viele Zuschauer freuen. Der Hauptlauf startet um 14 Uhr. Weitere Informationen auf geislingen.21.de.