Freie Wähler: Kandidat Klaus Wirthwein steht für frischen Wind im Landtag

Von Gudrun Stoll

„Wir sind die am breitesten aufgestellte Partei“, sagt Klaus Wirthwein selbstbewusst. Der Landesvorsitzende der Partei der Freien Wähler tritt in den Wahlkreisen Balingen und Wangen als Kandidat an. Der 63-Jährige will Stimmen sammeln, vor allem aber die Partei in Land und Region als eine neue Kraft der Mitte etablieren.

Freie Wähler: Kandidat Klaus Wirthwein steht für frischen Wind im Landtag

Der Unternehmer und Metzgermeister Klaus Wirthwein besuchte die Metzgerei Heck in Haigerloch-Stetten.

Wahlkampf in besonderen Zeiten erfordert besondere Maßnahmen. Die etablierten Parteien müssen ihre Wähler ebenso auf neuen Wegen erreichen wie die kleineren Bewerber, zu denen auch die Partei der Freien Wähler zählt. Sie musste Unterschriften sammeln, um zur Wahl zugelassen zu werden und tritt im Wahlkreis Balingen mit einem Kandidaten an, den niemand kennt und der obendrein im südlichen Zipfel des Landkreises Ravensburg wohnt.

Elefantenrunde vor Publikum fehlt

Da muss man Präsenz zeigen, mit den Leuten ins Gespräch kommen. Das fällt dem leutseligen und bodenständigen Klaus Wirthwein nicht schwer. Doch in Corona-Zeiten sind Kontakte an der Haustüre ebenso ausgeschlossen wie die Teilnahme an einer öffentlichen „Elefantenrunde“ mit Publikum im Saal.

Präsenz zeigen die Freien Wähler jeden Mittwoch mit virtuellen Podiumsdiskussionen. Nahe der weiß-blauen Grenze gibt‘s auf den Wochenmärkten prominente Unterstützung aus Bayern, wo die Freien Wähler längst etabliert sind und mit Hubert Aiwanger den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister stellen.

Wahlkampf wird wohl in die Geschichte eingehen

Klaus Wirthwein zieht als Landesvorsitzender der Freien Wähler die Fäden in einem Wahlkampf, der „wohl in die Geschichte eingehen wird“. Wir versuchen uns in Facebook, Twitter und Instagram, so gut es geht, zu präsentieren“, sagte der 63-jährige Metzgermeister beim Kurzbesuch in Haigerloch Anfang Februar.

Zurück zu regionaler Versorgung

Klaus Wirthwein verdient sein Geld seit vielen Jahre als Fleischhändler, macht sich aber stark für Handwerk und Mittelstand. Das Sterben der Innenstädte und die Landflucht bereiten ihm mit die größten Sorgen. „Wir müssen die regionale Versorgung“ stärken, mahnt der 63-Jährige zur Umkehr, ohne blauäugig „die gute alte Zeit“ zu beschwören. Aber Metzger, Bäcker, der Lebensmittelhändler um die Ecke und das Stammgasthaus gehören ins Dorf. Ohne dieses Lebenselixier bluten die Ortskerne aus, stemmt sich Wirthwein gegen einen Trend, der schwer zu bremsen ist.

Quarantäne im Heimatort

Die Freien Wähler wollen bei der Landtagswahl 2021 zum ersten Mal den Sprung in den Landtag von Baden-Württemberg schaffen und haben 69 von 70 Wahlkreise mit eigenen Kandidaten besetzt. Klaus Wirthwein zählt mit zu den Bewerbern, die in zwei Wahlkreisen antreten. Das Landtagswahlgesetz lässt dies ausdrücklich zu. Sein Konterfei ist auf den Wahlplakaten abgebildet, die allerorten im Zollernalbkreis am Straßenrand hängen. Wirthwein hatte aber auch vor, Wochenmärkte zu besuchen, wollte Flyer verteilen. Doch seit in seinem Heimatort Achberg an einer Grundschule eine Corona-Infektion ausgebrochen ist, stehen im 1600-Seelen-Ort 194 Bewohner unter Quarantäne.

Gute Kontakte nach Haigerloch

Der Unternehmer baut auf die Unterstützer aus der Region. Er pflegt freundschaftliche Beziehungen zu der kommunalen Freien Wählervereinigung im Gemeinderat Haigerloch, im Besonderen zu deren Fraktionschef Matthias Deppert. Der Kommunalpolitiker aus dem Haigerlocher Teilort Stetten ebnet der Landespartei mit den Weg, damit sie Fuß fassen kann im Zollernalbkreis.

Treten nicht gegen die kommunalen Gruppen an

Womit sich die Türe öffnet zu einer Diskussion, die vor wenigen Tagen in den Zollernalbkreis übergeschwappt ist. In Albstadt und Balingen hagelte es Kritik von Stadt- und Kreisräten der kommunalen Freien Wählervereinigung, die Freien Wähler würden sich als Trittbrettfahrer gerieren.

Den Schuss von Rechts nicht gehört

Deren Landeschef reagiert gelassen. Die Partei wolle nirgends gegen kommunale Freien Wähler antreten, sagt Wirthwein, gibt sich dann aber doch kämpferisch: „Wir wollen die kommunalen Probleme im Landtag ansprechen und für die Kommunen im Land da sein. Mehr und besser wie die etablierten Parteien. Das ist unser Ziel“. Das Machtgehabe von Einzelnen sei unsäglich und schade denen nur selbst. „Die haben den Schuss von Rechts nicht gehört. Sie verlieren gegen die AfD und boykottieren diejenigen, die ihnen helfen könnten“, gibt’s einen heftigen verbalen Seitenhieb.

Wer zieht nun den Karren?

Beim Verband der Freien Wählervereinigungen handle es sich lediglich um rund zehn Prozent der Freien-Wähler-Gruppen in Baden-Württemberg, also um 120 von 1100 Gruppen, untermauert Wirthwein seine Aussage mit Zahlen. „Da frage ich mich, wer den Karren zieht und wer auf dem Trittbrett steht. Wir haben rund 30 Prozent kommunale Freie Wähler, die für uns als Kandidaten in den Wahlkampf ziehen“.

Fühle mich wie auf der Titanic

Er fühle sich wie auf der Titanic, hat Klaus Wirthwein die SWR-Frage beantwortet, was ihm die Corona-Pandemie aufzeige. Keine Naturkatastrophe und keine kriegerische Auseinandersetzung habe so schnell und grundlegend unser gesamtes System in allen Bereichen existenziell wie sozial auf den Kopf, ja in Frage gestellt. Das Virus hat ihn durch den Ausbruch in Achberg aktuell auch persönlich in die Schranken gewiesen.

Der Kandidat im Steckbrief

Also stellt sich der Kandidat im Steckbrief vor: 63 Jahre alt, geboren in Darmstadt, aufgewachsen und gelebt in Wolfskehlen (Südhessen) geschieden, zwei erwachsene Kinder, zwei Enkel, Metzgermeister, selbstständig seit 1978 mit der Einzelfirma Wirthwein-Fleischhandel. Seit 2007 wohnt er in Achberg. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Gemeinde bis 1969 zum Oberamt Sigmaringen gehörte, man fuhr stolz mit SIG-Kennzeichen durch Ravensburg.

Den Schultes herausgefordert, im Gemeinderat gelandet

Wirthwein kam durch Zufall in den Ort, da ihm die Gegend im Argental gut gefallen hat und er ein schönes Haus kaufen konnte. Politisch ambitioniert, trat er 2013 als Bürgermeisterkandidat gegen den damals seit 16 Jahren amtierenden Rathauschef an und erzielte 26 Prozent der Stimmen. Er wurde 2014 mit eigener Liste in den Gemeinderat Achberg gewählt, trat 2015 den Freien Wählern bei und wurde 2016 zum Landesvorsitzenden gewählt. Die Wiederwahl in den Gemeinderat erfolgte 2019 mit der Partei der Freien Wähler.

Wahlkreis brauchte einen Kandidaten

Der Antritt zur Landtags- und Bundestagswahl im Jahre 2016 diente ihm nach eigenen Worten zum Kennenlernen der politischen Mechanismen - und war „sehr lehrreich“. Und wie gut kennt Wirthwein die Schwäbische Alb? Er habe hier mehrere Freunde wohnen, die er über den Skisport kenne, erzählt der 63-Jährige. Pragmatisch fügt er hinzu: Der Wahlkreis Balingen war nicht besetzt, daher habe er sich zur Verfügung gestellt.

Partei hat ein breites Spektrum

Doch wo steht er politisch ? Wo grenzen sich die Freien Wähler ab zu den etablierten Parteien in Baden-Württemberg? „Wir belegen eine Position, die ein ganz breites Spektrum abbildet“, beantwortet Wirthwein die Frage. „Wir haben in unseren Reihen auch ehemals Grüne, SPD-Leute, CDU-Leute und auch von den gemäßigten aus der AFD. Keine Flügelleute. Somit kann man uns mit Fug und Recht als die am breitesten aufgestellte Partei sehen“, gibt sich der Landesvorsitzende überaus selbstbewusst.

Wir könnten mit CDU und FDP

Da drängt sich die Frage förmlich auf, mit welchen Parteien im Land die Freien Wähler ein Bündnis eingehen könnten. „Reden können wir mit allen demokratischen Parteien“, sagt Kandidat Wirthwein. Ein Bündnis mit SPD und/oder Grünen schließe er jedoch kategorisch aus: „Für uns kommen somit CDU und FDP in Frage“.

In Bayern „sind wir grüner als die Grünen“

Obwohl der Landesvorsitzende sich klar abgrenzt von den Grünen, positioniert er sich ebenso deutlich für den Ausbau der erneuerbaren Energien und lenkt den Blick über den Gartenzaun: „In Bayern tun wir enorm viel“, sagt Klaus Wirthwein. Das „Wir“ steht dabei für die bayerischen Freien Wähler. „Diese haben es geschafft, 50 Prozent aller in Deutschland verbauten Stromspeicher für Photovoltaik-Anlagen zu fördern“. Diese Bilanz könne kein einziges Grünen-Bundesland vorweisen. „Hier sind wir grüner als die Grünen. Wenn wir die Chance erhalten, werden wir den „frischen Wind auch in den Landtag bringen“, wechselt er in den Wahlmodus.

Partei setzt sich für Familien ein

Aber warum sollten ein Zollernälbler, ein Jungwähler oder eine Frau seine Partei wählen? „Weil wir uns für die Familien und für freie Kita-Plätze einsetzen“ sagt der Kandidat - und für bezahlbaren Wohnraum, „was die Etablierten propagieren, aber niemals angegangen sind“.

Und wie stets mit dem Altersspektrum – vorwiegend männlich und Silverager? Die Jungen Freien Wähler seien am Entstehen, sagt der Landeschef. Und in einigen Wahlkreisen könne die Partei auf sehr engagierte Frauen setzen. Die Quote dürfte bei 25 Prozent liegen.

Zwei Direkmandate wären keine Spinnerei

„70 Wahlkreise für sieben Prozent“, lautet der Slogan der Partei. Doch wie schätzt Klaus Wirthwein die Chancen ein? „Wir sind in 69 Wahlkreisen aufgestellt. Die sieben Prozent sehen wir als realistisch an. Dazu wären zwei Direktmandate tatsächlich keine Spinnerei“.

Zu der Einschätzung, dass die Freien Wähler überraschend stark zulegen und den Einzug in den Landtag schaffen könnten, kommt auch der Stuttgarter Parteienforscher Dietmar Schaad.

Da Baden-Württemberg seit Jahrzehnten ein Ein-Stimmen-Wahlsystem hat, können die Wähler, anders als bei der Bundestagswahl, nicht ihrem bevorzugten Kandidaten vor Ort die Erststimme, aber gleichzeitig eventuell einer anderen Partei ihre Zweitstimme geben. Das bedeutet, dass der Wähler bei der Landtagswahl auch automatisch das Programm des Kandidaten mitwählt, dem er seine Stimme gibt. Grund genug für die ZAK-Redaktion, einen zusammenfassenden Blick auf das zu werfen, was die jeweilige Partei, in diesem Fall die Partei der Freien Wähler, sich vorgenommen hat.

Zielsetzung Die Freien Wähler wollen bei der Wahl 2021 zum ersten Mal den Sprung in den Landtag schaffen und konkretisieren ihre Ziele in einem 75 Seiten umfassenden Programm.

Werte Die Partei versteht sich als wertorientierte, liberale und bürgerliche Bewegung in der Mitte der Gesellschaft. Die Partei möchte Bewährtes erhalten und auf dieser Grundlage die Voraussetzungen für die Gestaltung einer modernen Gesellschaft in einer globalisierten Welt schaffen.

Bürgerrechte Die Freien Wähler treten für Bürgerrechte und damit für die Freiheit des Einzelnen ein und wollen die Demokratie stärken, indem sie die Bürger mehr als bisher in die politischen Entscheidungsprozesse einbeziehen.

Stil Die Partei betont in ihrem Programm, sie stehe im Landtag für eine sachbezogene Politik ohne Parteiideologie und wolle für alle die Rahmenbedingungen schaffen, die jedem eine faire Chance in einem Leben in Eigenverantwortung bieten.

Themen Fragen des Klimaschutzes, der Energiewende, des nachhaltigen Wirtschaftens und des Erhalts der natürlichen Lebensgrundlagen erachten die Freien Wähler als elementar. Hierzu zählen der Schutz der knappen Ressourcen, eine dezentrale Energieversorgung und die Förderung von alternativen Energien. Die Politik müsse jedoch mit Augenmaß handeln und dürfe nicht von ideologischem Dirigismus geleitet werden.

Schwerpunkte Für Industrie, mittelständisches Gewerbe, Handwerk und IT-Branche müssten Grundlagen für eine zukunftsorientierte Entwicklung gelegt werden. Einen klaren Standpunkt vertreten die Freien Wähler auch in der Schulpolitik und fordern die Rückkehr zu G 9, mehr Lehrer, Geld für die Digitalisierung und integrierte Gesamtschulen anstatt Gemeinschaftsschulen.

Regionalität Die Partei setzt sich außerdem für regionale Vermarktungsstrukturen in der Landwirtschaft ein, erachtet den Ausbau der Bahnstrecken für ebenso notwendig wie ein gut funktionierendes Straßennetz.

Selbstverständnis Vor allem bei den Themen Bildung, Energie, Wirtschaft und Verkehr wollen die Freien Wähler punkten. Sie verstehen sich als Alternative zu den etablierten Parteien, als Fürsprecher des Mittelstandes und sprechen sich für den Erhalt kleiner, regionaler Kliniken aus.

Geschichte Seit 2018 stellen die Freien Wähler in Bayern die Regierungskoalition gemeinsam mit der CSU. In Baden-Württemberg treten sie erstmals flächendeckend mit eigenen Kandidaten an. Lediglich der Wahlkreis Schwäbisch Gmünd bleibt unbesetzt. Nach eigenen Angaben hat die Partei aktuell 330 Mitglieder in Baden-Württemberg.