Fotos, die noch lange nachhallen: „Stern“-Legende Hans-Jürgen Burkard in Balingen

Von Michael Würz

Er ist der Stargast im diesjährigen Rahmenprogramm der World-Press-Photo-Ausstellung: „Stern“-Legende Hans-Jürgen Burkard hinterließ am Sonntag in Balingen bleibenden Eindruck.

Fotos, die noch lange nachhallen: „Stern“-Legende Hans-Jürgen Burkard in Balingen

Hans-Jürgen Burkard, der als einer der großen deutschen Reportagefotografen gilt, „reitet“ durch Jahrzehnte seines fotografischen Schaffens – eingebettet in die Balinger „Fortschrittfotos“, die derzeit in der Zehntscheuer ausgestellt sind. Rechts im Bild: Moderator Thomas B. Jones.

Er hat über Goldgräber im Amazonas berichtet, über Mafiosi in Italien, über königliche Schildkröten in der Südsee und die turbulenten Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion. Wer ist der Mensch hinter den Fotos, die über Jahrzehnte hinweg, zuerst in „Geo“, dann im „Stern“, mitunter weltweit Beachtung fanden? Die den Deutschen Einblick gewährten in sonst verschlossene Welten. Fotos, für die Hans-Jürgen Burkard selbst mehrfach im Rahmen der World Press Photo Awards ausgezeichnet worden war. Und die er am Sonntag den Gästen im Rahmenprogramm ebendieser Ausstellung präsentierte.

Ein dreistündiger Ritt durch das Lebenswerk

Dass Burkard auf Einladung des ZOLLERN-ALB-KURIER nach Balingen gekommen war, sei ausdrücklich nicht der Grund, wieso er direkt zu Beginn ein flammendes Plädoyer auf den Lokaljournalismus hielt. Burkard, der sich selbst als „Dinosaurier der Medien“ sieht, sagt: „Jeder müsste eine Zeitung abonniert haben oder regelmäßig ein Magazin kaufen. Denn sonst gibt es uns einfach nicht mehr.“

Burkard meint Menschen wie sich. Berichterstatter, die für ihre Arbeit brennen, auch nach Jahrzehnten, in denen Burkard „jeden Dreck der Erde gesehen habe“, wie er einmal sagte. Und Burkard, heute 70, lässt sich auch vom Bahnchaos zwischen Hamburg und Balingen nicht in die Knie zwingen – dass er demnächst eine Operation vor sich hat, ist einem Sturz vom Panzer im Tschetschenien-Krieg geschuldet. Die Bahn aber kriegt ihn nicht müde: Drei Stunden lang vollzieht Burkard am Sonntag gemeinsam mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern einen wilden Ritt durch sein fotografisches Lebenswerk. Ein unvergleichliches Meisterwerk.

Das es nicht geben würde, lernen die Besucher am Sonntag, hätte Burkards Kunstlehrer damals nicht seine Hasselblad gezückt und dieses eine Foto von ihm geschossen. Die bis dahin angestrebte Karriere als Biologe, die Träume vom Max-Planck-Institut – „ich habe mich sehr für Genetik interessiert“ – alles verpufft, mit einem einzigen Foto. Burkard verkauft sein Mofa und ordert seine erste Kamera. Statt Genetik widmet er sich im Studium nun der Visuellen Kommunikation, dann schickt ihn die „Geo“-Redaktion zehn Jahre lang rund um den Erdball, ehe er als einer der ersten akkreditierten Journalisten aus dem Westen aus der ehemaligen Sowjetunion berichtet. Für den Stern schießt er fortan jene Fotos, für die er heute vor allem bekannt ist.

Russische Elitesoldaten, Hakenkreuze auf den Armen

Von russischen Elitesoldaten, und solchen, die Hakenkreuze auf dem Arm tragen. Burkard präsentiert Aufnahmen, die im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ganz besonders nachhallen. Und die stellenweise nur schwer zu ertragen sind. Gerade dann nämlich, wenn in Moskau von der angeblichen „Entnazifizierung der Ukraine“ die Rede ist. Dort, in Moskau, hat er auch heute noch ein paar Schlafsäcke liegen. Allein, sie geben ihm kein Visum mehr. „Ich will aber auch gar nicht mehr hin“, sagt Burkard, der in Balingen auch seine jüngsten Werke präsentiert, in denen er Deutschland neu entdeckt. Nichts hat diesen Mann jemals aufgehalten. Auch kein Moderator: Sein Auftritt endet erst, als er gerade noch den Zug nach Hamburg erwischt.

Aus dem „WPP“-Nähkästchen geplaudert

Bahnchaos Er hat die halbe Welt gesehen und zuletzt Deutschland fotografisch unter die Lupe genommen. Doch als Hans-Jürgen Burkard am Samstag mit reichlich Verspätung gegen 21.15 Uhr mit dem Zug in Balingen ankommt, hält der 70-Jährige inne: „Das ist ja auch nicht schlecht hier, das müsste man sich mal näher anschauen.“ Die „Stern“-Legende entdeckt den neu gestalteten Bahnhofsvorplatz, und wer weiß? Vielleicht kehrt Burkard eines Tages zurück und Balingen findet Eingang in seine künftigen Werke aus Deutschland.

Promibesuch In den Genuss eines exklusiven Treffens mit dem Meister kamen am Samstag bereits Teilnehmer des vom ZOLLERN-ALB-KURIER veranstalteten Reportage-Workshops. Der ZAK-Redakteur führte Burkard und Hobbyfotografen zusammen, und obwohl völlig geschafft von Bahn-Chaos und Workshop, hielten alle Beteiligten bis in die Nacht hinein auf der Terrasse einer Balinger Gaststätte durch. Dort lauschten dem Vernehmen nach nicht nur die Hobbyfotografen gebannt Burkards Erzählungen, auch am ein oder anderen Nebentisch soll man sich verwundert die Augen gerieben haben. Typen wie ihn gibt’s eben nicht alle Tage in der Stadt. Besonders schön, wenn sie so bescheiden daherkommen wie Burkard, dem Hobbyfotografen und Lokaljournalismus näher scheinen als die mitunter eitle Kunstszene. Eine Haltung, die sich bis heute durch sein Lebenswerk zieht: „Ich will, dass meine 97-jährige Mutter jedes Foto versteht.“