Balingen

„Forsthütte“ war Schützenhaus: Balinger Verwaltung reagiert auf FDP-Anfrage und ZAK-Recherche

22.04.2023

Von Nicole Leukhardt

„Forsthütte“ war Schützenhaus: Balinger Verwaltung reagiert auf FDP-Anfrage und ZAK-Recherche

© Paul Braun

Der Wegweiser ins Engelestäle.

Es hakte angeblich wegen eines fehlenden Häkchens: Wie aus einer „Forsthütte“ im Balinger Engelestäle ein stattliches Wohnhaus und später die Villa der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut werden konnte, wollte die FDP-Fraktion von der Balinger Verwaltung wissen. Die Recherchen der Stadt dazu sind aufgrund „eines Irrtums“, wie es seitens der Verwaltung heißt, erst seit Freitag öffentlich. Sie zeigen: Die vielzitierte „Forsthütte“ war zwischen den beiden Weltkriegen bereits ein dreigeschossiges Schützenhaus.

Ein forstwirtschaftliches Gebiet mit daraus resultierendem niedrigen Bodenrichtwert, das gleichzeitig aber mit einem stattlichen Anwesen bebaut ist – in den vergangenen Wochen hat die vermeintlich ungerechte Besteuerungsgrundlage für das Grundstück der Balinger Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut für Wirbel gesorgt. Denn wo einst, so hieß es, eine „Forsthütte“ stand, steht heute ein großes Wohnhaus. Die FDP-Fraktion im Balinger Gemeinderat wollte es nun genau wissen.

Ein Video hatte im Februar den Stein ins Rollen gebracht: Unter dem Pseudonym „Wasteland Wildfire“ hatte ein offenbar ortskundiger Youtuber das Grundstück der Ministerin genau unter die Lupe genommen. Er hatte in seinem Video moniert, dass das bebaute Anwesen der Ministerin im Gegensatz zu den umliegenden Flächen gerade einmal einen Bodenrichtwert von 60 Cent aufweise. Die Daten hatte er dem öffentlich einsehbaren Bodenrichtwertinformationssystem, kurz BORIS, entnommen.

Die Legende von der Forsthütte

Eine Behauptung, die durchaus verifizierbar war. Recherchen bei der Balinger Verwaltung hatten ergeben, dass das Grundstück, auf dem das Haus von Hoffmeister-Kraut steht, als forstwirtschaftliches Gebiet ausgewiesen ist, was den geringen Bodenrichtwert von 60 Cent erklärt. Eine Wohnbebauung ist bei dieser Kategorie Land jedoch eigentlich ausgeschlossen. Doch auch dafür fand sich eine Erklärung: „Auf diesem Gelände stand vor vielen Jahren bereits eine Forsthütte der Familie Kraut“, hatte Balingens Bürgermeister Ermilio Verrengia erklärt. Diese sei im Lauf der Jahre nach und nach zum Wohnhaus ausgebaut worden.

Und genau dieser Punkt ließ der Balinger FDP-Fraktion keine Ruhe. „Diese Auskunft überrascht“, hatte Fraktionssprecher Dr. Dietmar Foth der Verwaltung geschrieben. „Nach der Erklärung der Stadt drängten sich die von uns gestellten Fragen auf, wie eine Forsthütte später als Wohnhaus genehmigt werden konnte. Wir wurden darauf auch aus der Bevölkerung angesprochen“, schreibt Foth, dessen Fraktion sich nicht scheute, bei der Verwaltung nachzubohren. „Der Gemeinderat als Kontrollorgan der Verwaltung“, wie Foth in seinem Anschreiben formuliert.

Mit Wohlwollen allein nicht zu erklären

In seiner Anfrage an die Verwaltung schreibt er: „Rechtlich kann eine wohl kleinere Forsthütte nicht die Grundlage für eine großdimensionierte Villa sein“, dies würde das Baugesetzbuch auch bei „Ausschöpfung allen Wohlwollens nicht hergeben“.

Die Liberalen wollten von der Verwaltung folglich wissen, wer die Baugenehmigung wann beantragt hatte, wann sie von wem erteilt worden war, wann der Umbau von einer Forsthütte zu einem stattlichen Wohnhaus erfolgt ist und warum dies möglich war. Auch hakten sie nach, ob der damalige Gemeinderat von dem Umbaugesuch in Kenntnis gesetzt worden war, wie er reagiert hatte und ob die Maßstäbe heute noch dieselben wären, wie damals.

Kurzfassung öffentlich, Langfassung nicht

Fragen, die Balingens Baudezernent Michael Wagner durchaus beantwortete, wenn auch etwas schmallippig. So ließ er das Ratsgremium in der Gemeinderatssitzung Ende März in knappen Sätzen wissen, dass Recherchen der Verwaltung zum Umbau der Hütte ergeben hätten, „dass baurechtlich alles mit rechten Dingen zugegangen ist“. Jene Recherchen allerdings, auf die Wagner sich bezogen hatte, blieben der Öffentlichkeit vorenthalten. Im Gegensatz zu der Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion zum Programmbeirat beispielsweise, die im Anschluss an die Sitzung in ausführlicher Länge dem Protokoll beigefügt worden war.

Erst die ZAK-Nachfrage vom Freitag brachte Bewegung in die Sache. Grund für die Nichtöffentlichkeit der ausführlichen Antwort, die durchaus Interessantes über die Geschichte des Gebäudes beinhaltet, sei lediglich ein fehlendes Häkchen im Auskunftssystem gewesen, erklärte Wagner. „Es gibt nichts zu verbergen oder zu verheimlichen“, wie er betonte. Schließlich sei Transparenz gerade in diesem Fall besonders wichtig „wegen der in der Vergangenheit wiederholt vorgebrachten Verdächtigungen der Ungleichbehandlung“.

Die Hütte war ein Schützenhaus

Und so ist die bewegte Historie des Gebäudes im Engelestäle seit Freitagnachmittag für die gesamte Öffentlichkeit nachzuvollziehen. Bei der Lektüre der gut zweiseitigen Antwort wird klar: Das einzige, was die heutige Villa wohl nie war, ist eine Hütte, auch keine Forsthütte.

Das Grundstück gehörte einst dem Balinger Portlandzementwerk und wurde 1929 an Privat verkauft. „Der neue Eigentümer stellte dieses in der Folge dem damaligen Veteranenverein, bzw. der Schützenkameradschaft Balingen zur Verfügung, um darauf eine Schießbahn einschließlich Schießstand zu errichten“, heißt es in der Antwort der Verwaltung. Die Baugenehmigung für das dreigeschossige Gebäude mit Aufenthaltsräumen und einer Grundfläche von 9,9 auf 7,3 Metern sowie der zugehörigen Schießbahn mit einem 50-Meter- und einem 100-Meter-Stand wurde am 28. Dezember 1929 erteilt.

Heutige Kubatur wurde 1945 genehmigt

Einige Jahre später, am 24. Februar 1941, wurde der Umbau des Schützenhauses zu einem Einfamilienhaus genehmigt. Seine heutige Kubatur erhielt das Gebäude durch einen Bauantrag von 1945, der drei Jahre später, im Januar 1948, genehmigt wurde. Das Gebäude wurde nach Norden erweitert und um ein Vollgeschoss aufgestockt. Diese Genehmigung sei auf der Rechtsgrundlage der Württembergischen Bauordnung vom 8. August 1910 erfolgt, die noch keine Unterschiede zwischen Innen- und Außenbereich vorsah. „Mit der Umsetzung dieser bereits vor 75 Jahren erteilten Baugenehmigung verfügte das Gebäude über die auch heute noch maßgebliche Kubatur als Einfamilienhaus mit einer Länge von 16,2 und einer Breite von 7,3 Metern mit zwei Voll-, einem Unter- und einem Dachgeschoss“, heißt es in der Antwort weiter.

1971 wurde der Ausbau des Dachgeschosses, 2005 wurden Um- und Ausbaumaßnahmen innerhalb des Hauses genehmigt. Die jüngste Baugenehmigung datiert aus dem Jahr 2018, sie war zur Erweiterung und Nutzung des Dachgeschosses notwendig geworden.

Es gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz

Wagner fügt an: „Die Baurechtsbehörde der Stadt Balingen legt Wert darauf, dass bei gleichgelagerten Bauvorhaben jeweils der Gleichbehandlungsgrundsatz zur Anwendung kommt. Die Vorgehensweise bei den Baugenehmigungen aus den Jahren 1971, 2005 und 2018 wären so jeweils auch bei anderen Wohngebäuden im Außenbereich angewandt worden. Maßgeblich war jeweils, dass sich die Kubatur und Erscheinung des Bestandgebäudes nicht über einen in der allgemeinen Rechtsprechung gegebenen Bestandsschutz hinaus erweitert oder verändert.“

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