Rums nach Mitternacht: Seismologen melden Stärke 4 auf der Richterskala

Von Michael Würz und Hardy Kromer

Um 0.25 Uhr ist die Ruhe für viele Zollernälbler vorbei: Ein kräftiges Erdbeben erschüttert in der Nacht zum Dienstag die Region. Viele berichten von umgefallenen Gegenständen und heruntergefallenen Bildern, manche auch von kleineren Rissen in Hausfassaden und Decken.

Rums nach Mitternacht: Seismologen melden Stärke 4 auf der Richterskala

Das Epizentrum lag bei Jungingen (rechts).

Einige hören einen Schlag, laut wie eine Explosion. Bei anderen fallen Gegenstände um – und Bilder von den Wänden. Am Morgen dann wird klar: Das Erdbeben hat auch an manchen Häusern sichtbare Spuren hinterlassen. Kleinere Risse an Fassaden oder in Decken, etwa, wie sie Bürger aus Albstadt und Balingen melden. Experten des Landeserdbebendienstes im Regierungspräsidium Freiburg werten derweil die Daten aus. Die Stärke des Bebens: 3,9 auf der Richterskala. Der Schweizerische Erdbebendienst gibt sie mit 4,0 an. Geologen und Seismologen sprechen von einem leichten Erdbeben. „Größere Schäden sind hierbei nicht zu erwarten“, erklärt Dr. Stefan Stange, Chef des Landeserdbebendienstes im Gespräch mit unserer Zeitung. Allerdings muss am frühen Morgen die Straßenmeisterei nach Bisingen-Steinhofen ausrücken. Möglicherweise aufgrund des Erdbebens hat sich hier ein Teil der Fahrbahn abgesenkt, berichtet ein Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen.

„Ich war gerade am Einschlafen“, sagt Oliver Simmendinger, Bürgermeister der Gemeinde Jungingen, dem Epizentrum des Bebens. „Ich dachte echt, es wäre jemand ins Haus reingefahren. So hat sich’s angefühlt.“ Als erdbebenerfahrener Killertäler aber ist Simmendinger schnell klar, was die Ursache für den Rums war. Eindrückliche Schilderungen wie die des Junginger Bürgermeisters gehen noch in der Nacht Hunderte ein, etwa auf der Facebookseite des ZOLLERN-ALB-KURIERS. Mehr als 2000 Meldungen aus der Bevölkerung zählt auch der Landeserdbebendienst am Dienstagmorgen – sie helfen den Fachleuchten dabei, die Ausbreitung des Bebens zu verstehen. Demnach sei das Erdbeben weithin zu spüren gewesen – in der Mitte Baden-Württembergs, im Rheingraben von Freiburg bis Karlsruhe und auch im Bodenseegebiet.

Stärkstes Alb-Beben seit 2003

Das Fachportal erdbebennews.de errechnet einen Schütterradius von rund 130 Kilometern, berichtet auch von Schilderungen aus der Schweiz und dem Raum Straßburg. Deutschlandweit ist das Erdbeben das stärkste seit 2014, auf der Alb seit 2003. Bis zum Morgen misst der Landeserdbebendienst 13 sehr schwache Nachbeben, darunter nur ein Nennenswertes um 2.59 Uhr mit einer Stärke von 2,0. Als Auslöser des kräftigen Rucklers in der Nacht machen die Experten auch diesmal die sogenannte Albstadt-Scherzone aus – jenes Gebiet, das Experten des Landeserdbebendienstes im Sommer 2019 erforschten, als es dort zu mehreren Erdbebenschwärmen gekommen war. Und das immer wieder für deutlich spürbare Beben auf der Alb verantwortlich ist – so wie im November vergangenen Jahres, als die Seismografen eine 3,8 auf der Richterskala gemessen hatten.

Forscher wollen die Albstadt-Scherzone besser verstehen

„Damals lag das Epizentrum bei Tailfingen“, erklärt Stefan Stange vom Regierungspräsidium Freiburg. „Diesmal hingegen etwas nordöstlicher.“ Beim Landeserdbebendienst wollen sie die Albstadt-Scherzone noch besser verstehen, ihre Beziehung zum Hohenzollerngraben, zu dem sie mehrere Kilometer tiefer quer verläuft. Klar ist hingegen: Die deutlich spürbaren Erdbeben, die teilweise massiven nächtlichen Ruckler machen vor allem in Albstadt vielen Angst, der sie in den sozialen Medien Ausdruck verleihen. Allerdings: Ein Hinweis auf ein möglicherweise schweres Erdbeben sind kräftige Rüttler wie der in der Nacht zum Dienstag nicht. Nein, sagt Stange, Erdbeben ließen sich nicht voraussagen. Entsprechende Spekulationen kursieren freilich dennoch vielfach in den sozialen Netzwerken – wissenschaftlich haltbar sind sie nicht. Die Erfahrung lehrt aber auch: Stärkere Nachbeben zumindest treten auf der Alb häufig erst nach einigen Tagen auf.

Das Trauma von 1978 ist in Albstadt immer präsent

Die Katastrophe 1978 sitzt vielen Albstädtern noch im Hinterkopf. Das Erdbeben, das sich am 3. September zum 42. Mal jährte, hatte eine Stärke von 5,7. Die Angst vor einem verheerenden Beben wie jenem beunruhigt stets viele, wenn der Landeserdbebendienst – wieder einmal – Erdstöße in der Region registriert.

Das Gefahrengebiet Geht es um Erdbeben in der Region, ist meist die Rede vom bekannten Hohenzollerngraben. Interessant für die Forscher ist hingegen die tieferliegende Albstadt-Scherzone, die den bekannten Graben kreuzt. Nicht nur die drei großen Erdbeben (1911, 1943, 1978) gehen auf ihr Konto.

Vorhersage In Baden-Württemberg beobachtet das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) mit seinem Landeserdbebendienst in Freiburg permanent die Erdbebenaktivität. Eine seriöse und zuverlässige Vorhersage ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft jedoch nicht möglich.