Balingen

Er war einer der Überlebenden des Erzinger KZ: Jan de Vaal ist mit 98 Jahren gestorben

19.04.2021

von Redaktion

Er war einer der Überlebenden des Erzinger KZ: Jan de Vaal ist mit 98 Jahren gestorben

© Privat

Jan de Vaal in seiner Wohnung in Hoofdoorp am 7. Oktober 2014. Der ehemalige Häftling im KZ Erzingen ist vergangenes Jahr gestorben.

Der Arbeitskreis Wüste Balingen erfuhr erst jetzt aus Holland, dass Jan de Vaal –Skippy genannt – im vergangenen Jahr mit 98 Jahren verstorben ist. Er war der letzte noch lebende Häftling des KZ Erzingen, der in vier Wochen 99 Jahre alte geworden wäre. Erzingen und die Region haben einen besonderen Bezug zu dem Überlebenden der NS-Gräueltaten, der den niederländischen Widerstand mit Waffen beliefert hat: Ein stilisierter Häftling auf der Stele trägt seine Häftlingsnummer.

Das Nacht-und-Nebel-Lager Erzingen war im Juni 1944 als Außenlager von Natzweiler-Struthof errichtet worden. Jan (Johannes) de Vaal gehörte dem ersten Transport mit 200 Männern an, hatte die Nummer 4454.

Diese Nummer verwendete der Arbeitskreis Wüste, um die Häftlingsfigur bei den 2014 und 2015 in Frommern, Erzingen und Engstlatt errichteten Stelen als politischen Häftling mit rotem Dreieck zu charakterisieren.

Er war einer der Überlebenden des Erzinger KZ: Jan de Vaal ist mit 98 Jahren gestorben

© Klaus Irion

Die Stele in Erzingen zeigt einen stilisierten KZ-Häftling, der Jan de Vaals Häftlingsnummer trägt.

Jan de Vaal war sehr früh nach Natzweiler gekommen, nachdem er schon 1942 als Widerstandskämpfer verhaftet worden war. Warum aber war er inhaftiert worden?

Mit Waren wurden auch Waffen für Widerstand transportiert

Skippy bedeutet Hähnchen – ein Übername, den er deshalb bekam, weil seine Eltern ein Geschäft für Geflügel und Kaninchen in Amsterdam betrieben. Mit seinem Fahrrad lieferte er die Waren aus dem elterlichen Geschäft aus, transportierte aber auf diese Weise auch Waffen für den niederländischen Widerstand. Er wurde dabei verraten und verhaftet.

Als politischer Häftling kam er schließlich über verschiedene andere Lager nach Erzingen, wo er bis zur Evakuierung des Lagers im April 1945 blieb.

Als er im Oktober 2014 in Hoofdoorp bei Amsterdam von einem Mitglied des Wüste-Arbeitskreises besucht wurde, sagte er: „Ich weiß noch, dass ich klein war.“ Gemeint waren sein Alter und seine Bedeutung als „Kleiner“ in der Lagerhierarchie des Lagers Erzingen.

Stets Teil der niederländischen Delegation an Gedenkfeiern

Jan de Vaal gehörte bei den jährlich stattfindenden Gedenkfeiern in Natzweiler-Struthof bis ins hohe Alter immer der niederländischen Delegation an.

Er war einer der Überlebenden des Erzinger KZ: Jan de Vaal ist mit 98 Jahren gestorben

© Privat

Jan de Vaal mit seiner Tochter in Natzweiler bei der Gedenkfeier 70 Jahre Kriegsende in Natzweiler-Struthof im April 2015.

Er ist als letzter noch lebender, ehemaliger Erzinger KZ-Häftling am 26. Juli 2020 im Alter von 98 Jahren gestorben. Der Arbeitskreis Wüste hat wie bereits eingangs erwähnt erst jetzt von seinem Tod erfahren.

Über das Unternehmen Wüste

Das Unternehmen Wüste entlang der Bahnlinie Tübingen – Rottweil war ein „aberwitziges Projekt nationalsozialistischer Verblendung (...) mit dem Ziel, Schieferöl zur Deckung des ungeheuren Mineralölbedarfs des deutschen Kriegsapparates zu gewinnen; und bei dem in kaum nennenswertem Umfang Öl produziert wurde“, schrieb Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn im vergangenen Jahr zum Jubiläum der KZ-Befreiung. Weit mehr als 3500 Menschen wurden bei diesem irrsinnigen Vorhaben in den letzten Kriegsjahren innerhalb eines Jahres zu Tode geschunden, informiert der Arbeitskreis (Ak) auf seiner Internetseite.

Die „Wüste“-Lager in der Region waren sieben Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof, die zuletzt 1945 in Bisingen, Dautmergen, Dormettingen, Erzingen, Frommern, Schömberg und Schörzingen existierten.

Bis heute gibt es bauliche Zeitzeugen

Zwei Ölschieferwerke des Unternehmens „Wüste“ befanden sich laut Arbeitskreis in Erzingen. Zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs errichtete die SS-eigene Firma Deutsche Schieferöl GmbH im Mai 1944 auf dem Hungerberg zudem ein Barackenlager für mehr als 2000 russische Kriegsgefangene und gegenüber dem Bahnhof ein kleineres Lager für Häftlinge des KZ Natzweiler-Struthof, ist auf der Ak-Website zu lesen. Auf Erzinger Gemarkung gibt es heute noch bauliche Überreste des Unternehmens „Wüste“.

Auf Wiesen und in zwischenzeitlich bewaldetem Gebiet sind unter anderem noch der Schiefermeiler, ein Generatorenhaus und ein Transformatorengebäude zu finden.

Fotostrecke
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Bauliche Überreste der KZ-Gebäude sind noch auf Erzinger Gemarkung zu finden, wie das ehemalige Transformatorenwerk auf einer Wiese nahe dem Hungerberg.

© Klaus Irion

Mitten im Wald zwischen Erzingen und Domäne Bronnhaupten steht bis heute das ehemalige Generatorenhaus.

© Klaus Irion

Beklemmende Orte als Zeitzeugen des Erzinger Konzentrationslagers.

© Klaus Irion

Eine Infotafel gibt einen Überblick über die Standorte der "Wüste"-Lager.

© Klaus Irion

Der Beginn der Todesmärsche und der Abtransport mit dem Zug aus den südlichen Konzentrationslagern im April 1945 jähren sich dieses Jahr zum 75. Mal. Die Erinnerung an diese dunklen Jahre der KZ-Hölle im heutigen Zollernalbkreis wird durch den Arbeitskreis „Wüste“ wach gehalten.

Ziel der engagierten Mitglieder ist das Erinnern, Informieren und die Aufklärung über die NS-Zeit und die Gräueltaten der Nazis, die auch im Südwesten verübt wurden.

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