Albstadt

Ein schmaler Grat, aber: Pandemie-„Flüchtige“ sind kein Maßstab für Wandertourismus

26.01.2021

Von Klaus Irion

Ein schmaler Grat, aber: Pandemie-„Flüchtige“ sind kein Maßstab für Wandertourismus

© Volker Bitzer

Trotz des derzeit pandemiebedingten Ausflügler-Ansturms: Die wahren Albliebhaber werden auch in Nach-Corona-Zeiten in die Albstädter Naturidylle zurückkehren.

Die einen suchen einen Tag Erholung im Schnee. Die anderen sind genervt von dem, was sich direkt vor ihrer Haustüre derzeit an den Wochenenden abspielt. Die Stadt Albstadt erlebt dieser Tage Freud und Leid im Winterwunderland. Ein Kommentar.

Wie viel Tourismus verträgt die Stadt Albstadt? Diese Frage ist nicht neu. Seit Jahren bemühen sich die Verantwortlichen der größten Stadt des Zollernalbkreises, das Image der einstigen großen Textilkommune auf der Schwäbischen Alb Stück für Stück in Richtung Wandermekka zu verändern. Keine Frage, Albstadt war durch den Niedergang eines Großteils der dortigen Textilindustrie quasi gezwungen, sich neu zu erfinden.

Image schon konkurrenzfähig

Und genau das tun Kulturamtsleiter Martin Roscher und sein gesamtes Team inzwischen mit wachsendem Erfolg. Die alljährliche Resonanz auf den Auftritt der Stadt Albstadt während der großen Stuttgarter Urlaubsmesse CMT spricht für sich. Die Albstädter Touristiker haben nicht zuletzt dort die Albstadt umgebende Landschaft, was deren Image betrifft, fast schon auf eine Stufe mit der großen Konkurrenz im Land, dem Schwarzwald und der Bodenseeregion, gehoben.

Ein langer Weg

Und mal Hand aufs Herz: Die Westalb ist sommers wie winters tatsächlich ein Erholungsfaktor par excellence. Wir alle, die wir hier leben, dürfen uns glücklich schätzen, ganzjährig direkt vor der eigenen Haustür eine Umgebung vorzufinden, für die andere weite Anreisen in Kauf nehmen, um dieses Erlebnis wenigstens mal einen Tag lang genießen zu können.

Touristischer Aufbruch

Einen nicht zu unterschätzenden Unterschied weist Albstadt dann aber doch gegenüber Schwarzwald und Bodenseeregion auf. Während bei beiden Letztgenannten der Tourismus bereits seit vielen Jahrzehnten ein wirklich großer Teil der Gesamtwirtschaftskraft darstellt, ist Albstadt, ist der gesamte Zollernalbkreis erst auf dem langen Weg dorthin. Die Traufgang-Wanderwege – gepaart mit den Traufgänge-Gastgebern und bald auch noch den Vesperhütten – sind sicht- und erlebbares Zeichen dieses touristischen Aufbruchs.

Die Anwohner mitnehmen

Der Auf- und Ausbau dieser erwanderbaren Infrastruktur muss aber auch zwingend diejenigen mitnehmen, die in Albstadt wohnen, aber selbst nicht direkt vom Tourismus profitieren. Zuvorderst diejenigen, die nahe der beliebtesten Zollernalb-Ausflugsziele, wie Raichberg oder Böllat, zuhause sind. Und die derzeit Wochenende für Wochenende erleben, was es heißt, wenn sich eine Region quasi über Nacht vom touristischen Fast-Noch-Geheimtipp zum massenhaften Tagesausflugs-Fluchtpunkt für all diejenigen aus dem Unterland wandelt, denen der Schnee vor der eigenen Haustür fehlt und die Corona-Decke auf den Kopf fällt.

Respekt für Roschers Einsatz

Dafür kann die Stadt Abstadt nichts, dafür können Martin Roscher und sein Team schon gar nichts. Im Gegenteil: Es ehrt den Kulturamtsleiter , wenn er sich, wie vergangenen Sonntag geschehen, selbst an die Straßensperren und damit den Betroffenen stellt, die über das nicht (direkte) Erreichen ihres Winterwunderland-Traumes sicherlich alles andere als erfreut waren.

Ordnungsstrafen angebracht

Was derzeit vor allem in Onstmettingen und Burgfelden abläuft, ist, keine Frage, absolut extrem. Und das rücksichtslose Verhalten einiger der Ausflügler gegenüber den dortigen Bewohnern ist auch nicht durch den nachvollziehbaren Wunsch der Anreisenden, die uns doch alle nervende Pandemie für ein paar Stunden im Schnee hinter sich zu lassen, zu rechtfertigen. Hier sind Ordnungsstrafen mehr als angebracht.

Kein dauerhafter Schaden

Ordnungsstrafen, die das Gesamtimage der Stadt und ihrer Traufgänge nicht dauerhaft beschädigen werden. Denn die (Tages-)Touristen, die die Zollernalb wirklich schätzen, verhalten sich zum Großteil erfahrungsgemäß rücksichtsvoller. Und sie kommen auch in Nach-Pandemie-Zeiten wieder, wenn die jetzigen „Neu-Naturliebhaber“ längst wieder andere „Locations“ in nah und fern vorziehen und wieder anderen Freizeitaktivitäten frönen, als mit Kind, Kegel und Schlitten oder Bob über die Höhen der Zollernalb zu ziehen.

Gebühren helfen nicht weiter

Ob diese Kurzzeit-Winterfrischler aus den Landkreisen Tübingen, Esslingen, Böblingen oder Stuttgart von einer eilig konzipierten Parkplatzgebühr wirklich abgeschreckt wären, sei mal dahingestellt. Und was die derzeit auch vielfach diskutierte Loipengebühr betrifft, so würde diese doch überwiegend einheimische Langläufer treffen. Könnte das die Stadt Albstadt wirklich wollen? Wohl eher nicht. Auch die (Winter-)Traufgänge benötigen Pflege, soll man sich deren Betreten dann also auch noch bezahlen lassen?

Auswüchse bald verschwunden

Man kann die Diskussionen um Parkplatz- und Loipengebühren sicherlich führen, sollte aber dabei bedenken, dass diese massiven (und in ihrer Konstellation wohl einmaligen) Tourismus-Auswüchse schon in wenigen Wochen ebenso verschwunden sein werden, wie die derzeitigen Schneemassen. Kurzfristig hilft wohl nur Augen zu und durch. Mittel- und langfristig ein Gesamtkonzept, das die Interessen der wahren Albliebhaber wie der Einheimischen in gleicher Weise überzeugt.

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