Eine irre Verhandlung: Beschuldigter mit langer Anklageliste steht vor dem Balinger Amtsgericht

Von hai

Penible Polizeikontrollen am Eingang, eine nicht enden wollende Anklageliste und ein Angeklagter, der sich mit seinem Pflichtverteidiger in die Wolle bekommt – was am Montag vor dem Balinger Amtsgericht passierte, dürften selbst langjährige Juristen noch nicht oft erlebt haben.

Eine irre Verhandlung: Beschuldigter mit langer Anklageliste steht vor dem Balinger Amtsgericht

Am Amtsgericht Balingen wird seit Montag einem 60-Jährigen der Prozess gemacht.

In der Mittagspause hatte sich der Angeklagte ein neues T-Shirt angezogen. Vorne der Schriftzug „Unbeugsam“, auf dem Rücken die Zeilen „Mein Leben, Meine Regeln.“ Ob er damit eine Botschaft an das Gericht senden wollte? Auf jeden Fall beschrieb das Outfit recht treffend das Rechtsverständnis des 60-jährigen Balingers, dem am Montag der Prozess gemacht wurde.

Lange Anklageschrift

Die Anklageschrift umfasste acht Punkte, die meisten davon in viele einzelne Tatvorwürfe unterteilt. Meist ging es dabei um Beleidigung, fast immer gegen Polizeibeamte. Oft kam dann auch noch Bedrohung hinzu, in Einzelfällen auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und – weil sich der Mann bei der Festnahme heftig wehrte und Tritte und Schläge gegen die Beamten austeilte – Körperverletzung.

Zudem soll er beim Motorradtreffen in Geislingen einen Mann ohne Grund mit der Faust gegen den Kopf geschlagen haben und mehrfach unter Alkoholeinfluss und ohne gültige Fahrerlaubnis Auto gefahren sein. In zwei Fällen verursachte er dabei Unfälle mit Sachschäden und machte sich aus dem Staub.

Angeklagter ist der Polizei bestens bekannt

Die Taten, die verhandelt werden, erstrecken sich über einen Zeitraum von Ende 2017 bis Sommer 2018 – doch der Angeklagte ist den Polizeibeamten, die am Montag als Zeugen aussagten, schon seit längerer Zeit bestens bekannt.

Auch über die zu verhandelnden Tatvorwürfe hinaus, beschäftigte er die Polizei immer wieder. „Die neueste Anklage wurde Ihnen noch gar nicht zugestellt“, erklärte die Vorsitzende Richterin zu Beginn. Diese sollte deshalb zunächst noch gar nicht verhandelt werden – der Angeklagte stimmte aber zu, dass sie spontan in die Verhandlung aufgenommen wird.

Zu den Vorwürfen wollte sich der Angeklagte nicht äußern, von seinem Pflichtverteidiger ließ er eine Erklärung verlesen, dass er alle Taten einräume. Für die Beleidigungen entschuldigte er sich und erklärte, dass diese in seinem Rocker-Vokabular schneller und häufiger verwendet werden.

Nachdem der Angeklagte die Vorwürfe einräumte, war das Gericht darum bemüht, den Prozess, der auf zwei Verhandlungstage mit insgesamt 32 Zeugen angesetzt war, etwas abzuspecken.

Streit zwischen Angeklagtem und seinem Verteidiger

Während sich Staatsanwalt und Richterin einig waren, welche Zeugen für den Prozess noch notwendig waren, entbrannte parallel zwischen dem Angeklagten und seinem Pflichtverteidiger eine weitaus spannendere Auseinandersetzung.

Der Angeklagte hatte nicht nur die Zeugenaussagen der Polizisten mit Kopfschütteln, Gelächter, Zwischenlauten und Kommentaren quittiert, sondern auch permanent dazwischengeredet, wenn er nicht gefragt wurde und auf seinen Pflichtverteidiger eingeredet, der ihn im Verlauf des ersten Prozesstages zunehmend unwirsch abwimmelte.

Das Ganze gipfelte darin, dass der Angeklagte seine Hand um die Schulter des Verteidigers legte, um ihm erneut etwas ins Ohr zu flüstern. Dieser schlug die Hand weg. Nach einer anschließenden Prozesspause erkundigte sich der Angeklagte, ob er seinen Verteidiger noch austauschen könne. Die Richterin verneinte.

Geisteszustand wichtig für Sachverständigen – und das spätere Urteil

Bei den Zeugenvernehmungen ging es aufgrund der Geständigkeit weniger um den Ablauf, als vielmehr um den Geisteszustand des Beschuldigten bei den Taten. Schließlich soll ein Sachverständiger noch beurteilen, ob der Mann in einem manischen Ausnahmezustand gehandelt hat oder nicht.

Mehrere Polizeibeamte beschrieben ihn bei den zu verhandelnden Taten, aber auch aus ihren Erfahrungen aus früheren Aufeinandertreffen als von sehr wechselhaftem Gemüt. Manchmal habe man sich normal mit ihm unterhalten können, manchmal habe er aber in einer ganz anderen Welt geschwebt.

Zudem attestierte ihm einer der Polizisten, die als Zeugen geladen waren, ein allgemeines Problem mit Autoritäten, vor allem mit jungen Polizisten. Er selbst war als „Grünschnabel“ bezeichnet worden – und das war noch eine der harmloseren Beschimpfungen. Der Angeklagte reagierte darauf mit Kopfschütteln und Gelächter.

Einige Male ermahnten ihn sein Pflichtverteidiger, die Richterin und der Staatsanwalt zur Ruhe. „Ich war jetzt so lange geduldig mit Ihnen, aber so langsam reißt mir die Hutschnur“, sagte der Staatsanwalt.

Der Beschuldigte wiederum pflaumte seinen Verteidiger an. Der hatte den Angeklagten angesprochen, als dieser gerade von der Richterin belehrt wurde. „Ich lasse mir das gerade von der Richterin erklären, nicht von Ihnen“, herrschte er ihn an und fügte hinzu: „Haben Sie etwas Respekt vor dem Gericht.“

Bei diesem Satz aus dem Munde des Angeklagten, musste dann auch der ein oder andere Prozessbeobachter schmunzeln.

Info Am Dienstagmorgen wird der Prozess um 8.30 Uhr vor dem Balinger Amtsgericht fortgesetzt.