Balingen

Ein junger Arzt für Balingen: Hartmut Swoboda übernimmt die Praxis des Vaters

30.12.2020

Von Michael Würz

Ein junger Arzt für Balingen: Hartmut Swoboda übernimmt die Praxis des Vaters

© privat

Wolfgang Swoboda (links) mit Sohn Hartmut.

In der hiesigen Ärztelandschaft ist er eine Institution, doch nun ist Schluss: Dr. Wolfgang Swoboda hört auf. Sein Nachfolger steht bereit: Sohn Hartmut. Der 37-Jährige ist damit einer der jüngsten niedergelassenen Ärzte im Kreis – und ein Glücksfall für die Eyachstadt.

Nein, sagt Wolfgang Swoboda. Die Erwartung, dass sein Sohn eines Tages in seine Fußstapfen tritt, habe er nie gehabt. „Davon habe ich mich immer freigemacht.“ Doch dann kommt eins zum anderen: Sohn Hartmut (37) studiert Medizin, seine Begeisterung gilt dem breiten Feld der Allgemeinmedizin. Er arbeitet mehrere Jahre lang als Assistenzarzt in Kliniken. Dort, in Biberach und Laupheim, rennen sie ihm schnell die Bude ein, wie Vater Wolfgang es formuliert. „Vier Praxen hätte er übernehmen können.“ Auf dem Land herrscht Ärztemangel, junge Mediziner werden händeringend gesucht. Doch Sohn Hartmut, inzwischen selbst Vater eines Sohns und einer Tochter, zieht es zurück nach Balingen, auch der Familie wegen.

„Ich muss meine Patienten nicht alleine lassen“

Und so kommt es, dass Vater Wolfgang die Praxis in der Balinger Bahnhofstraße zum Jahreswechsel seinem Sohn übergibt. „Ich freue mich natürlich riesig“, sagt Wolfgang Swoboda. Der nun, mit 70, guten Gewissens den Ruhestand antritt. „Die Situation ist jetzt ganz wunderbar, da ich meine Patienten nicht alleine lassen muss.“ Immerhin 38 Jahre lang praktiziert Vater Wolfgang in Balingen. Manche seiner Patienten hat er bereits im Kindesalter kennengelernt. Heute bringen sie ihren eigenen Nachwuchs mit in die Balinger Praxis. Unterdessen habe sich das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten in den vergangenen Jahren stark verändert, sagt Swoboda. „Viele sind informierter, auch durch das Internet.“

Den Halbgott in weiß gibt‘s nicht mehr

Was das bedeutet? „Sie kommen in die Praxis, um einen fachlichen Rat zu bekommen, sie sehen in ihrem Arzt heute eher einen Berater.“ Der berühmte Halbgott in weiß, der über einen bestimme – ihn gebe es nicht mehr, sagt Swoboda. Und man nimmt ihm ab, dass er diese Entwicklung begrüßt: „Ich finde, es ist ein schönes Arbeiten, wenn Patienten Dinge auch hinterfragen, wenn der Patient mit in die Verantwortung geht.“ Swoboda sagt, Arzt und Patient begegnen sich heute auf Augenhöhe. „Das war für mich der wesentlichste Wandel in den vergangenen Jahrzehnten.“

Swoboda erlebt aber auch, wie die Medizin Jahr für Jahr „auf allen Gebieten gigantische Fortschritte“ macht. „Man denke nur an die minimalinvasive Chirurgie“, sagt er. Ganz generell gebe die evidenzbasierte Medizin einem Haus- und Familienarzt wie ihm „sehr gutes, konkretes Werkzeug“ an die Hand. Für Mediziner bedeutet wissenschaftlicher Fortschritt aber freilich auch: ständige Weiterbildung.

Der Schicksalsschlag

Doch es ist genau diese Nähe zur Wissenschaft, das Vertrauen in die Schulmedizin, das Swoboda 2007 durch seine schwersten Stunden bringt, als seine Frau Gisela eine Hirnblutung erleidet. Wochenlang liegt sie, selbst Ärztin und bis dato Partnerin in der gemeinsamen Praxis, im Koma. Als Mann vom Fach weiß Swoboda: Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist gering. Es ist ein Schock, der aus heiterem Himmel kommt: „Wir waren ja in der Blütezeit, hatten unsere Klinik und die Praxis am Laufen“, blickt Swoboda zurück.

Doch das uneingeschränkte Vertrauen in die Intensivmediziner in Tübingen macht sich am Ende bezahlt: Sie sind es, die Gisela Swoboda retten, denen schließlich auch sie ihr ganzes Vertrauen schenkt. „Wir hatten vermutlich eine andere Einstellung zur medizinischen Behandlung als manch anderer“, sagt Wolfgang Swoboda. Und auch wenn der Schicksalsschlag das Leben des Ärztepaars auf den Kopf stellt – „meine Frau hatte ja Operationen mit dem Laser gemacht, diese Feinmotorik war danach weg“ –, hat die Geschichte Wolfgang Swoboda in seiner Einstellung bestärkt: „Man kann der evidenzbasierten Medizin vertrauen.“

Die neue Berufung: Opa

Mit diesem guten Gefühl hängt er nun, am Jahresende, den Arztkittel an den Nagel. Und mit einer neuen Aufgabe im Rücken, auf die er sich besonders freut: das Großvater-Dasein. Welche Geschichten und Erlebnisse es sein werden, die der Opa einmal den Enkeln erzählen wird, wenn sie nach seinem Beruf fragen? „Da gibt es eine Menge“, sagt Swoboda. An die für ihn eindrücklichste erinnert er sich gut: An jenem Tag sitzt eine Frau, 30, 40 Jahre alt, in Swobodas Praxis. Sie hatte diverse Schicksalsschläge erlitten, schüttet dem Doktor ihr Herz aus. „Aber wie kann ich Ihnen nun helfen?“, fragt Swoboda. „Sie haben mir schon geholfen“, entgegnet die Frau. „Sie haben mir zugehört.“

Ein junger Arzt für Balingen: Hartmut Swoboda übernimmt die Praxis des Vaters

© privat

Übernimmt Praxis und Patienten seines Vaters in Balingen: Hartmut Swoboda.

Patienten zu Wort kommen zu lassen, sie nicht zu unterbrechen: So versteht Swoboda den Arzt-Beruf, dem er große Veränderungen voraussagt. Eine Praxis-Übergabe von Vater an Sohn wie bei den Swobodas ist schließlich längst eine Seltenheit. „Die meisten Ärzte in der Region sind über 60 und wollen irgendwann aufhören“, weiß Swoboda. „Dass es Nachfolger gibt, bezweifle ich“, sagt er. Und ergänzt ernüchtert: „Das wird dann schon eine dramatische Situation.“ Zwar gebe es inzwischen von der Politik auferlegte Programme, um junge Menschen ins Medizinstudium und aufs Land zu locken. Doch Swoboda sagt: „Es wurde viel zu spät reagiert.“ Denn Studium und Facharztausbildung dauern viele Jahre. Swoboda glaubt: Die Zeit wird nicht reichen.

Gibt es künftig wieder Landärzte, die von Dorf zu Dorf fahren?

Doch was dann? „Möglicherweise wird es eines Tages wieder Landärzte geben, die von Dorf zu Dorf fahren.“ Swoboda kennt das aus seinen Lehrjahren: „Früher kam der Arzt auch schon mal in die Kneipe und hat im Nebenzimmer Patientengespräche geführt.“ Und habe dann, sagt er schmunzelnd, „von jedem einen Schnaps angeboten bekommen. Da musste man standhaft bleiben.“ Geschichten, die Sohn Hartmut nur aus Erzählungen kennt – und dessen Patienten sich freuen, dass die Balinger Praxis bestehen bleibt.

Vater und Sohn: Die Laufbahn der Swobodas

Vater Wolfgang Swoboda stammt aus Mosbach im Odenwald. Er studiert in Heidelberg Medizin, arbeitet im Rahmen seiner Dissertation am Deutschen Krebsforschungsinstitut in der Grundlagenforschung. Als Assistenzarzt im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz lernt er als Assistent des Chefarztes ranghohe Militärs und Politiker kennen. Später ist er in einer Praxis in der Eifel tätig, an der Hautklinik der Uni Heidelberg und im Kreiskrankenhaus Schwetzingen. 1984 eröffnet er zusammen mit seiner Frau Gisela, die aus Balingen stammt, eine Praxis in der Balinger Friedrichstraße. 1995 folgt der Umzug: In der Bahnhofstraße 34 gibt es mehr Platz für die Patienten. 2000 eröffnet die Klinik für ästhetisch-kosmetische Medizin. Gisela Swoboda betreibt sie bis zu ihrer Erkrankung gemeinsam mit Ottmar Bogenschütz.

Sohn Hartmut Swoboda studiert an der Uni Göttingen Medizin, das Staatsexamen schließt er mit der Note 1,66 ab. Er promoviert an der dortigen Klinik für Gastroenterologie und Endokrinologie. Als Assistenzarzt ist er später unter anderem in den Sana-Kliniken in Biberach und Laupheim tätig, sammelt Erfahrung in der Orthopädie, Chirurgie und der „Inneren“. Seit September 2019 arbeitet er in der Balinger Praxis seines Vaters mit, die er mit Beginn des neuen Jahres übernimmt. Erfahrung hat er auch im Rettungsdienst: Als Rettungsassistent fuhr er einst für das DRK im Zollernalbkreis und das DRK in Hannover. Der 37-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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