Geislingen

Ein Schaukelpferd für Tiago: Nach den turbulenten Tagen freut sich die Familie auf Weihnachten

23.12.2019

Von Rosalinde Conzelmann

Ein Schaukelpferd für Tiago: Nach den turbulenten Tagen freut sich die Familie auf Weihnachten

© Rosalinde Conzelmann

Der kleine Tiago (hier auf dem Arm seiner Cousine Lara) ist der Mittelpunkt der Familien de-Freitas, Hafner und Schellhammer, die am Dienstag gemeinsam Weihnachten feiern.

„Familie ist das Wichtigste“, sagen die Eltern des kleinen, schwerkranken Tiago. An Heiligabend feiern alle zusammen. Sie wollen sich erholen von den anstrengenden Wochen. Nach der Nachricht, dass die Krankenkasse die Millionenspritze nicht bezahlt, haben sich Tiagos Eltern gefangen. Aufgewühlt hat sie dann aber die Nachricht, das Novartis weltweit 100 Dosen des Medikaments verlost.

Es ist eine emotionale Achterbahn, die Stephanie de Freitas und Jens Hafner in der vergangenen Woche hoch und runter geschleudert hat.

Für die Eltern des schwerkranken 23 Monate alten Jungen bedeuten die Feiertage eine kleine Auszeit im Kampf für die Behandlung Tiagos mit der Millionenspritze.

Familie ist das Wichtigste

„Ohne unsere Familie würden wir das nicht durchstehen“, sagt Stephanie de Freitas einen Tag vor ihrem 31. Geburtstag erfahren hat, dass die AOK die Behandlung nicht zahlt.

Das Türchen, das die Kasse noch offen lässt , bedeutet zwar einen Hoffnungsschimmer für die Familie, aber die niederschmetternde Nachricht steht noch immer im Raum.

Zeit zum Durchschnaufen blieb keine, zwei Tage später sorgte Novartis für Schlagzeilen, die die ganze Familie aufwühlte: Der Pharmakonzern verlost weltweit 100 Dosen des horrend teuren Medikaments.


Weihnachten 2018 war für die Familie noch unbeschwert. „Wir wussten, dass etwas nicht stimmt, aber wir hatten noch keine Diagnose“, erzählt Stephanie de Freitas.

Das Fest der Liebe

Dieses Jahr steht das Fest der Liebe unter einem ganz besonderen Stern. Alle hoffen von ganzem Herzen, dass es doch noch ein Weihnachtswunder geben wird.

Die kleine Familie feiert Heiligabend traditionell bei Armin und Silke Schellhammer mit ihren Kindern Lara und Nina, die gleich um die Ecke wohnen. Silke Schellhammer ist die Schwester von Jens Hafner und die Patentante von Tiago.

Bei seiner Cousine Lara fühlt er sich wohl

Ihre Töchter Lara und Nina sind ganz verrückt nach ihrem Cousin Tiago. Und der kleine Kerl verzaubert alle. Vor allem bei der 16-jährigen Lara fühlt sich Tiago sehr wohl. Mit ihr spielt er stundenlang. „Er ist halt der Sonnenschein der ganzen Familie und hält alle auf Trab“, meint seine Mutter lächelnd.

Auch wenn er noch ein bisschen wortfaul ist und bis jetzt vor allem nur die Worte Wauwau, Danke, Mama, Papa und Auto sagt, bekommt er seinen Willen durchgesetzt.

Mit am Tisch im wunderschön dekorierten Wohnzimmer sitzen natürlich auch Tiagos Omas, Renate Hafner und Ilda de Freitas, die aus Portugal angereist ist. Beide Frauen sind Witwen und genießen die Feiertage im Kreise ihrer Lieben.

Es gibt Blaukraut und Rouladen

Auf Wunsch von Lara gibt es Rindsrouladen und Blaukraut. Silke Schellhammer wird bei den Vorbereitungen von ihrer Mutter unterstützt. Ob die Familie den Heilig-Abend-Gottesdienst besucht, ist noch offen. Eher nicht, weil es für Tiago zu anstrengend ist, sagt seine Mama.

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Es ist derzeit ein unglaubliche Dynamik in der Geschichte, deshalb habe ich ein gutes Gefühl. Silke Schellhammer, Patentante von Tiago

Er ist halt der Sonnenschein der Familie und hält alle auf Trab. Stephanie de Freitas, Tiagos Mutter

Nach dem Essen ist die Bescherung. Natürlich wird Tiago als das jüngste Familienmitglied im Mittelpunkt stehen. Von seinen Eltern bekommt er ein Schaukelpferd, von der Dote und der Oma Dinos, Lego und ein Feuerwehrauto.

Denn der kleine Lockenkopf liebt alles, was mit der Feuerwehr zu tun hat. Und weil am Dienstag Heiligabend ist, darf Tiago so lange spielen, wie er möchte. Sonst ist er spätestens um halb neun im Bett.

Diagnose war ein Schock

Für seine Dote Silke Schellhammer, die als Erzieherin im Kindergarten arbeitet, war die Nachricht der Diagnose im ersten Moment ein Schock. Sie hat in ihrer langen Berufszeit auch immer wieder mit behinderten Kindern gearbeitet. „Aber wenn es einen selbst trifft, ist alles anders“, sagt sie.

Auch für sie ist es keine Frage, weiter zu kämpfen. „Es ist derzeit eine unheimliche Dynamik drin, ich habe ein sehr gutes Gefühl“, sagt sie.

Die Omas helfen, wo es nur geht

Auch ihre Mutter Renate bangt um das Leben ihres jüngsten Enkelkindes und hilft der kleinen Familie nach Kräften. „Sie versuchen alle, das Mögliche und Unmögliche zu erreichen“, sagt Stephanie de Freitas, die derzeit auch von ihrer Mutter Ilda Entlastung erfährt.

Es seien viele Kleinigkeiten, die ihnen den Alltag mit ihrem behinderten Sohn erleichtern würden. „Die Omas haben schon gekocht, wenn wir von der Klinik erschöpft heimkommen“, sagt die 31-Jährige. Oder die Wäsche liegt gebügelt im Schrank.

Die Portugiesin Ilda de Freitas gehört zwischenzeitlich zu der schwäbischen Familie und fühlt sich wohl. „Es wird nur schwierig, wenn alle durcheinander reden“, sagt sie. Aber sonst versteht sie Schwäbisch schon ganz gut.

Anwalt glaubt an ein Happy End

Mittlerweile haben die Menschen über 400.000 Euro für die Behandlung gespendet. Und Johannes Kaiser, der Anwalt der Familie,arbeitet mit Hochdruck im Hintergrund. Seine Weihnachtsbotschaft macht Mut: „Ich glaube an ein Happyend für alle.“

Hier nochmals die Spendennummer:

Empfänger: Deutsche Muskelstiftung

IBAN: DE70 6602 0500 0008 7390 05

BIC: BFSWDE33KRL

Verwendungszweck: Tiago

KommentarDer jüngste Novartis-Coup, 100 der horrend teuren Zolgensma-Injektionen zu verlosen, setzt der derzeit hitzig geführten Debatte um das Schicksal des schwerkranken Jungen Tiago aus Binsdorf die Krone auf. Der Schweizer Pharmakonzern lehnt die Aufforderung des deutschen Gesundheitsministeriums ab, ein Härtefallprogramm aufzulegen, um die kostenlose Behandlung der an Muskelschwund erkrankten Kinder in Deutschland zu ermöglichen und verschenkt nun aus heiterem Himmel 200 Millionen Euro. Weil Weihnachten ist? Dieses Geschachere ist nicht nur unethisch , es ist auch in höchstem Grade unmoralisch, weil es auf dem Rücken verzweifelter Eltern ausgetragen wird.


Das versteht keiner. Weder die vielen Menschen, die mit der Binsdorfer Familie mithoffen und spenden, noch die Eltern des kleinen Knirps‘, die nicht mehr zur Ruhe kommen und verzweifeln. . Mit dieser PR-Masche disqualifiziert sich der Pharmakonzern!

Eigentlich müsste Novartis die Prügel beziehen, die die AOK bekommt. Auf Facebook rufen Freunde und Unterstützer der Familie dazu auf, aus der AOK auszutreten. Weil sie hoffen, so den Druck zu erhöhen. Aber die AOK muss sich an Regeln halten. Allein ums Geld geht es dabei nicht. Denn Tiago wird bereits mit dem seit 2017 bei uns zugelassenen Medikamt Spinraza behandelt. In Fachkreisen heißt es, dass die jährlichen Therapiekosten dafür bei einer halben Million Euro liegen. Bei einer lebenslangen Behandlung – Tiagos Lebenserwartung liegt ohne Zolgensma bei 25 Jahren – käme eine weit größere Summe zusammen.

Ablehnung und Zusage hängen am Paragrafen 2 Absatz 1a des Sozialgesetzbuches V. Für Tiago bedeutet dies, dass ein Mediziner zum Schluss kommen muss, dass eine Behandlung mit Spinraza nicht ausreicht und eine Behandlung mit Zolgensma dringend geboten ist. Das ist dann die Grundlage für die gerichtliche Entscheidung im Eilverfahren. Johannes Kaiser ist am Zug!

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