Geislingen

Ein Gedicht wird zum Lebensbegleiter: Agathe Köbele aus Geislingen blieb sich treu

30.08.2019

Von Rosalinde Conzelmann

Ein Gedicht wird zum Lebensbegleiter: Agathe Köbele aus Geislingen blieb sich treu

© Rosalinde Conzelmann

Im Nachschlagewerk über Geislinger Weiberschlacht, das 2011 eine Projektgruppe erstellt hat, sind ach die Gedichte über den Aufstand.

Ihr fester Glaube führte Agathe Köbele durch die Nazizeit. Eine Haltung, die für die mutigen Frauen der Geislinger Weiberschlacht von 1941 steht. Die gebürtige Geislingerin bewahrte das Gedicht über die Vorgänge ihr Leben lang auf.

Sie ging in die sechste Klasse, ein kleines Mädchen, dass es schon damals nicht mit seinem Glauben vereinbaren konnte, dem Bund Deutscher Mädel beizutreten. Und dies auch seinem Lehrern und den Mitschülern deutlich sagte.

Ein ungewöhnliches Verhalten für ein Kind. Mit dieser Haltung hat Agathe Köbele, die in Geislingen als Agathe Roth geboren wurde und dort mit drei Geschwistern aufwuchs, die Nazizeit überstanden.

Schulfrei nicht für alle

Ohne Murren ging sie mit den anderen Kindern, die sich ebenfalls weigerten, den Naziorganisationen beizutreten, jeden Samstag zur Schule ins Schloss – eine Art Bestrafung, denn die nazitreuen Kinder hatten schulfrei.

Ihrem Lehrer hat die heute 96-Jährige, die viel liest und schreibt, längst verziehen. Das entspricht ihrem Wesen, ihrer katholischen Erziehung und steht auch für die Haltung der mutigen Frauen der Weiberschlacht, an die am Sonntag beim Antikriegstag in Geislingen erinnert wird (der ZAK berichtete bereits).

Agathe Köbele war nicht dabei, als der Aufstand der rund 200 Geislingerinnen, die sich im Dezember 1941 weigerten, ihre Kinder den braunen Schwestern im Kindergarten anzuvertrauen, mit Gewalt niedergeschlagen wurde, aber sie hat die Stimmung mitbekommen.

Das damals junge Mädchen bekam von einer Mitsängerin im Kirchenchor ein Gedicht über die Weiberschlacht. Und hat es bis heute aufgehoben.

Das Begräbnis war schlicht

In dem Gedicht steht in der zweiten Strophe, dass die Schwester Oberin zwei Tage vor dem Aufstand beerdigt wurde: „Die Begräbnisfeier war einmalig und schlicht; hell brannte der Schwestern ihr Kerzenlicht.“ Und daran erinnert sich Agathe Köbele noch gut, die die Haltung der Frauen bewunderte. „Es wurde nicht viel darüber geredet, aber die Solidarität in der ganzen Stadt war groß.“

Das Gedicht hat sie in den vergangenen Jahren immer wieder gelesen, weil es ihrer Überzeugung entspricht. Der Glaube habe ihre Mutter, die sich über elf Enkel und fünf Urenkel freuen darf, durchs Leben getragen, erzählt ihre Tochter.

Eine Stelle beim Machthaber

Agathe Köbele blieb sich und ihren Grundsätzen treu. Auch als ihr Lehrer ihr gedroht habe, dass sie keine Stelle bekommen werde, wenn sie sich weiter weigere, dem BDM beizutreten.

Die junge Frau bekam dennoch eine Stelle. Ironie des Schicksals: Sie arbeitete von 1940 bis 1946 bei der Bahnmeisterei und dann als Reichsbahngehilfin. Dank Beziehungen fand sie diese Arbeit.

So war es ihr möglich, ihren schwer verletzten Bruder Paul aus einem Lazarett an der ungarischen Grenze heimzuholen – mit der Bahn, sie hatte ja einen Freischein. „Man wird durch das Leben geführt, wenn man an Gott glaubt“, sagt die 96-Jährige, die überzeugt ist, dass auch die mutigen Geislinger Frauen ihre Kraft aus dem Glauben schöpften.

Starr und einseitig eingestellt

Das passt zur Bemerkung des Landrats, der schrieb: „Die Bevölkerung Geislingens ist auch sonst auf kirchlichen Gebiet absolut starr und einseitig eingestellt.“

Zeitzeugin ist da

Maria Schmid, die ehemalige Geislingerin „Harmonie“-Wirtin, ist heute 99 Jahre alt. Sie hat 1941 das Telefonat mit der Kreisleitung geführt, um sich über das Verhalten der Obrigkeit zu beschweren. Die Zeitzeugin ist morgen bei der Gedenkveranstaltung, die um 9.30 Uhr mit einem Gottesdienst in der St. Ulrichkirche beginnt, dabei.

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