Balingen

Dieter Nuhr beklagt sich in Balingen über Politik, Gendern und ein Land kollektiven Verhinderns

02.05.2023

Von Jasmin Alber

Dieter Nuhr beklagt sich in Balingen über Politik, Gendern und ein Land kollektiven Verhinderns

© Jasmin Alber

Braucht nicht viele Requisiten: Dieter Nuhr in Aktion.

Die von ihm angemahnte Humorpolizei hätte so manchen Einsatz gehabt beim Gastspiel von Dieter Nuhr in Balingen. „Man braucht gar keinen Anlass mehr für schlechte Laune“, stellte er fest. Er gab dem Publikum in der vollbesetzten Volksbankmessehalle aber viele Gründe für sehr gute Laune – polarisierend wie immer, aber stets mit dem Finger in der richtigen Wunde. Und vor allem authentisch.

Als Dieter Nuhr am Freitag sein Programm „Kein Scherz – Update 2023“ in der Messehalle begann, war es draußen noch hell. „Muss wohl der Klimawandel sein“, kommentierte er. Und war damit schon mittendrin in seinen Ausführungen und Ansichten zu den aktuellen Krisen.

Seine Meinung zu Themen, die viel zu sehr in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt seien, tat er in Nuhr‘scher Manier kund. Die Zuschauer – ja, obwohl auch viele Frauen im Publikum saßen, aber mit beim Gendern macht er bewusst nicht mit, wie er in aller Ausführlichkeit erklärte – quittierten’s mit vielen Lachern und Szenenapplaus. Trotz der Seitenhiebe aufs Landleben, wo ÖPNV „bei Vollmond in die Stadt und im Herbst wieder zurück“ bedeute.

Nuhr hat die Shitstorms satt

Genderwahnsinn, Veganismus, ... Achtung, Humorpolizei! Insgesamt habe Nuhr die Shitstorms satt, weshalb er alles herausgenommen habe, weswegen irgendjemand beleidigt sein könnte, wie er verkündete. Stirnrunzeln. Stille. „Das war’s dann von meiner Seite aus.“ Doch so leicht gibt sich ein Dieter Nuhr nicht geschlagen, und befasste sich fortan mit dem Thema des Abends: dem „Irrsinn unserer Zeit“. Und freute sich über jeden, jede, jedes, jedens, ..., der zu seiner Show gekommen war. „Ich freue mich sogar über alte weiße Männer.“

So kam er vom Gendern, für ihn nichts weiter als Ideologie, über gelernte weibliche Brüste in Freibädern und Phallussymbole in den Stadtbildern der Großstädte dieser Welt zu seinem Steckenpferd: Politik.

Den Zeitgeist persiflierte Nuhr gewohnt bissig, dennoch in sich ruhend, und lief dabei zur Höchstform auf. Corona spielte dabei nur eine kleine Rolle, „interessiert keine Sau mehr“. Ganz auf den Rückblick auf die Pandemie, sein letztes Gastspiel in Balingen, seine Meinung zu Querdenken und die Impfthematik verzichtete er jedoch nicht.

Zunehmende Rechts-Links-Schwäche in der Politik

Doch zwischenzeitlich ist allerhand passiert, was Nuhr und irgendwie auch alle bewegt und beschäftigt. Da ging es um die Work-Life-Balance von deutschen Bundeswehrsoldaten, E-Panzer und Gigabitanschluss im Schützengraben. Und dass seiner Einschätzung nach die Russen – von hier aus liege Russland gleich hinter Berlin – mangels Verteidigungsfähigkeit wieder in der Bundeshauptstadt auflaufen werden. „Außer da klebt jemand ...“

Wobei: Die Politik arbeite daran, „das Land in einen Zustand zu bringen, in dem es niemand mehr überfallen will“. Da gebe es linke und rechte Putinversteher, er stelle zudem eine zunehmende Rechts-Links-Schwäche fest, für ihn das „Sahra-Wagenknecht-Syndrom“.

Wo sind die Klimawandel-Untoten?

Apropos Politik: Er prangerte den real existierenden Dilettantismus an. „Jeder darf heute alles. Vielleicht werde ich Wirtschaftsminister“, sinnierte er. Qualifikation spiele keine Rolle. „Habeck ist wenigstens kein Fachidiot. Vom Fach isser nicht.“

Deutschland verbleibe in seinem Anspruch, Vorbild sein zu wollen. Doch Vorbild zu sein, richte noch nichts aus. So spannte er den Bogen zurück zum Klimawandel, den er zwar nicht kleinreden wolle, aber denen den Spiegel vorhielt, die mit ihren Anstrengungen dagegen vorgehen wollen. Immerhin gebe es statistisch eine große Anzahl an Untoten, die aus der Differenz zwischen Hitze- und Kältetodesopfern resultieren.

Und überhaupt: Übermütter, fehlende Erziehung und die Evolution von Fahrradgepäckträgersitzern – jede Anforderung gelte als unmenschlich. „Wir feiern das Mittelmaß und wundern uns, dass nichts Großartiges dabei herauskommt“, echauffierte er sich.

Ein Land des kollektiven Verhindern

Viele Probleme werden erst zu welchen gemacht, weil sie von Menschen thematisiert und gepusht werden – in der Regel seien das nicht mal die Betroffenen selbst. Deutschland sei zu einem Land des kollektiven Verhinderns geworden. „Oh, etwas Neues. Wir verhindern es!“ Die Quintessenz seiner knapp anderthalbstündigen Betrachtungen: „So war das. Wenn man zu blöd war, starb man. Es war nicht alles schlecht ...“

Anstelle der klassischen Zugabe, die das Publikum forderte, gab er eben jenem das Fragerecht. Böhmermann? Den kenne er nicht. Das Interesse beruhe nicht auf Gegenseitigkeit, antwortete er. Und dem selbsterklärten Werder-Bremen-Fan aus Rottenburg erwiderte er mit einer Gegenfrage: „Wann ist denn das passiert?“

„Des war sauguat“, kommentierte eine Besucherin beim Verlassen des Saals. Und war mit dieser Einschätzung des Abends ganz gewiss nicht alleine.

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