Die unerwartete Verbalattacke: Wirtschaftsministerin bricht mit ungeschriebenem CDU-Gesetz

Von Klaus Irion

Ein bewusste Attacke, die zusätzliche Stimmen bringt? Oder doch ein verbaler Schuss, der am Wahltag nach hinten los geht? Beide Szenarien sind möglich, nach dem Vorwahlkampf-Angriff von CDU-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut auf den grünen Kabinettschef und Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

Die unerwartete Verbalattacke: Wirtschaftsministerin bricht mit ungeschriebenem CDU-Gesetz

Im Vorwahlkampf-Attacke-Modus befand sich Wirtschaftsministerin Nicole-Hoffmeister-Kraut bei der Nominierungsversammlung in Frommern.

Es war die Szene des Abends bei der Nominierung der CDU-Landtagskandidatin Nicole Hoffmeister-Kraut in der Frommerner Turn- und Festhalle. Soeben hatte sie, die baden-württembergische Wirtschaftsministerin, ihren Kabinettschef, Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen, als „Bremser, Zauderer und Zögerer in der Corona-Krise“ bezeichnet. Und gleich darauf die 128 Anwesenden noch wissen lassen, dass es Zeit sei, dass Winfried Kretschmann in den „wohlverdienten Ruhestand“ geschickt werde.

„Die nette Nicole“

Darf Sie das? Natürlich darf Sie das! In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit, und in Baden-Württemberg wird in einem dreiviertel Jahr gewählt. Vorbei die Zeit, in der ein Redakteur in der Süddeutschen Zeitung seinen Bericht über die Teilnahme an einer Auslandsreise der Wirtschaftsministerin mit den schlichten Worten „Die nette Nicole“ betitelte.

Erstauntes Raunen

Und dennoch: Die Sekundenbruchteile, bei denen man eine Nadel auf den Hallenboden hätte fallen hören können; danach das allgemeine, erstaunte Raunen der anwesenden CDU-Mitglieder und schließlich der fast ein wenig verschämt wirkende Applaus auf diese sicherlich im Vorfeld wohlüberlegten Sätze: All das zeigt, dass hier mehr passiert war, als eine verbale Attacke, wie man sie in Wahlkampfzeiten, wahlweise aber auch in Aschermittwochsreden, zuhauf vernimmt.

Ungeschriebenes übergangen

Hoffmeister-Kraut hatte es schlicht gewagt, ein ungeschriebenes Gesetz, das man sich einst innerhalb der Landes-CDU selbst auferlegt hatte, zu brechen. Bislang galt: Kritik am grünen Koalitionspartner ja, persönliche Angriffe auf Ministerpräsident Kretschmann nein. Denn die Unionsmitglieder und -anhänger wissen nur zu gut, um die nach wie vor große Beliebtheit des Landesvaters aus Sigmaringen-Laiz, der mit seiner Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit, aber auch mit seinen Einlassungen zur Wirtschaftspolitik längst grün-schwarze Grenzen verschwinden lässt.

Persönliche Kritik

Und nun kommt mit Hoffmeister-Kraut ein CDU-Kabinettsmitglied und streitet mit ihm nicht über Sachthemen, wie am selben Tag bereits die CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann in punkto Schulöffnung in Coronazeiten. Sondern kritisiert massiv seinen persönlichen Führungsstil in der Pandemie, garniert mit einem Seitenhieb auf sein fortgeschrittenes Alter.

Zwei Tabubrüche auf einmal

Nennt ihn dann noch, wenn er so weitermache, einen möglichen „Bernie Sanders der Grünen“. Zwei Tabubrüche auf einmal sind zu viel des Guten, mag manch einer in der Frommerner Turn- und Festhalle spontan gedacht haben. Die bereits beschriebenen zaghaften Reaktionen lassen nur diesen Schluss zu.

Streit um staatliche Hilfen

Gründe für die persönliche Attacke der hiesigen CDU-Abgeordneten scheint es mehrere zu geben. Das ist zum einen die Frage der Corona-Hilfe des Landes. Anfang April hatte Hoffmeister-Kraut darauf hingewiesen, dass es für bestimmte Berufsgruppen und Soloselbstständige finanzielle Lücken geben könnte, weil die Hilfe des Bundes und die Hilfe des Landes nicht vollständig ineinandergreifen.

Eine Retourkutsche?

Im Rahmen einer Regierungspressekonferenz hatte Kretschmann daraufhin Hoffmeister-Krauts Ministerium, aber auch dem Finanzministerium, das seine grüne Parteikollegin Edith Sitzmann leitet, Anweisungen erteilt. Die Stuttgarter Zeitung schrieb seinerzeit, Kretschmanns „Hausaufgaben“ hätten die Wirtschaftsministerin „wie eine schlampige Schülerin“ aussehen lassen. War der Montagabend in Frommern hierfür die Retourkutsche?

„Nicht die Zeit für Hahnenkämpfe“

Der FDP-Fraktionschef im Landtag, Hans Ulrich Rülke, hatte seinerzeit die Gunst der Stunde genutzt, um via Pressemitteilung grün-schwarz folgende Sätze ins Stammbuch zu schreiben: „ Es ist nicht die Zeit für Hahnenkämpfe, sondern für ein konstruktives Miteinander, um die Herausforderungen zu meistern.“ Einen vorgezogenen Landtagswahlkampf brauche in der aktuellen Situation niemand.

Angriff als beste Verteidigung

Genau einen solchen, vorgezogenen Wahlkampf hat die frisch wiedergekürte CDU-Wahlkreisabgeordnete aus Balingen nun aber vom Zaun gebrochen. Getreu dem alten Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Denn zu verteidigen hat Hoffmeister-Kraut nicht mehr, aber auch nicht weniger als ihr Direktmandat.

Kretschmann-Bonus nötig

Dass ihr Balingens Gemeinderat Erwin Feucht oder Albstadts Kreisrat Ulrich Kohaupt für die Grünen dieses Mandat am 14. März kommenden Jahres vor der Nase wegschnappen könnten, ist nicht abwegig. Allerdings bedürfte es hierzu auch dieses Mal wieder des Kretschmann-Bonus‘, denn ganz so grün, wie das Wahlergebnis der letzten Landtagswahl es aussagt, ist der Wahlkreis Balingen dann doch (noch) nicht.

Nutzen oder Schaden?

Ob der montägliche Frontalangriff auf Kretschmann der CDU-Ministerin nützt, wie erste Reaktionen bei Facebook nahelegen, oder ob sie der Angriff auf den Landesvater Stimmen kosten wird, weiß heute noch niemand verlässlich zu sagen. Übrigens: Kretschmann und Eisenmann haben ihren Schulöffnungsstreit am Dienstag beigelegt und ihren Vorwahlkampf vorerst gestoppt.