Meßstetten

Relikte aus mehreren Zeiten: Die Tieringer graben in ihrer Vorgeschichte

21.08.2019

von Jörb Berbalk

Relikte aus mehreren Zeiten: Die Tieringer graben in ihrer Vorgeschichte

© Privat

Wilfried Schübel und Jörg Berbalk (rechts) gehen ihrer ehrenamtlichen Aufgabe mit Leidenschaft nach. Auf dem Bild befinden sie sich in einem Graben, welcher für ein Fundament vorbereitet wurde. Dies ist ein bevorzugter Fundplatz für Scherben.

Wo gebaut wird, fördern Bagger oftmals Relikte aus längst vergangenen Zeiten zu Tage. Dann schlägt die Stunde der ehrenamtlichen Mitarbeiter der Landesdenkmalpflege. In Tieringen wurden in den vergangenen Monaten sehr viele Funde gemacht. Jörg Berbalk und Wilfried Schübel gewähren Einblicke.

Da bei Baumaßnahmen und landschaftsbaulichen Projekten oft auf die denkmalschutzrechtlichen Belange nicht ausreichend Rücksicht genommen wird oder kann, stützt sich das Landesamt für Denkmalpflege seit langem auf die Arbeit von ehrenamtlichen Mitarbeitern vor Ort.

Schnell vor Ort

Diese bewältigen in enger Abstimmung mit den Denkmalschutzbehörden und im Rahmen des Denkmalschutzgesetzes den Interessenkonflikt zwischen denkmalpflegerischen Belangen und wirtschaftlichen Interessen von Bauträgern, indem sie schnell und meist ohne die Baumaßnahmen zu beeinträchtigen, Befunde dokumentieren und Funde sichern.

Zudem ist es die laufende Aufgabe dieser Mitarbeiter, bekannte Fundstellen in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren und Veränderungen zu dokumentieren. Weiter beobachten sie Veränderungen der Landschaft, um unbekannte Bodendenkmale zu lokalisieren und informieren von Zeit zu Zeit die Öffentlichkeit über ihre Arbeit.

Wilfried Schübel und Jörg Berbalk sind zwei von vier offiziell ernannten ehrenamtlich Beauftragten in der archäologischen Denkmalpflege im Zollernalbkreis. Wilfried Schübel ist in dieser Funktion seit über 25 Jahren im Unteren Bezirk des Zollernalbkreises mit Schlichemtal, Kleinem Heuberg und dem Raum Balingen tätig. Jörg Berbalk betreut seit drei Jahren gemeinsam mit Wilfried Schübel den Bereich der Gesamtstadt Meßstetten mit Obernheim und Nusplingen.

Genaues Hinsehen lohnt sich

Dass sich genaues Hinsehen lohnt, zeige sich aktuell in Tieringen, informiert Jörg Berbalk. Die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiter der Denkmalpflege haben innerhalb eines Jahres die archäologischen Altfunde des Ortes, die zumeist aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stammen, beträchtlich erweitert und dadurch neue Erkenntnisse für die Orts- und Lokalgeschichte gesichert.

Erkenntnisse zur Lokalgeschichte

So lokalisierten sie auf den Höhen um Tieringen eine gänzlich unbekannte Höhensiedlung, die sich unzweifelhaft der mittleren Bronzezeit zuordnen lässt. Zudem konnten in der näheren Umgebung der bronzezeitlichen Siedlung mehrere Grabhügel neu eingemessen werden und weitere, unbekannte Grabhügel gesichert werden.

Relikte aus mehreren Zeiten: Die Tieringer graben in ihrer Vorgeschichte

© Jörg Berbalk

Im Profil eines Fundamentgrabens für den Neubau der Kindertagesstätte in Tieringen sind die Pfostenlöcher und Feuerstellen als schwarze bzw. rötliche Schicht deutlich zu erkennen. Diese stammen von einem alemannischen Grubenhaus.

Die beiden stießen bei ihren Begehungen aber auch auf den Verlauf eines wohl mittelalterlichen Fahrwegs. Sie sammelten auch Hinweise für die Existenz von mindestens zwei mittelalterlichen und nicht mehr existierenden und völlig vergessenen Siedlungsplätzen auf der heutigen Ortsmarkung.

Kitabaustelle birgt Schätze

Doch nicht nur auf den Höhen und außerhalb des heutigen Ortes sind die beiden fündig geworden. Vor allem innerhalb des Ortes stellten sich interessante Funde ein. Eines von mehreren frühen Zentren des heutigen Dorfes lag unzweifelhaft im Bereich des heutigen Kindergartens. Auf dem Areal laufen für den Neubau der Kita umfangereich Bauarbeiten. Aufgrund der großflächigen Erdbewegungen in den vergangenen Monaten wurden „eindeutige Siedlungsspuren in Form von Keramikscherben, Eisenschlacken , Feuerstellen und Pfostenlöchern von Gebäuden nachgewiesen“, berichtet Jörg Berbalk.

Besiedelt seit der Bronzezeit

Sie beweisen eine großflächige Besiedlung seit mindestens der Bronzezeit über die römische und alemannische Epoche hinaus und bis weit in das sich anschließende Mittelalter. Ein weiterer gesicherter Kristallisationspunkt der heutigen Gemeinde Tieringen lag, den neuesten Funden nach, an der Schlichem im Bereich der Schlichemstraße.

Vorgeschichtliche Scherben und solche, die sich dem 12. Jahrhundert nach Christus zuordnen lassen, aber auch Eisenschlacken deuten auch hier unzweifelhaft auf eine alte Siedlungsfläche hin. Diese neuen Scherben können bestens in einen Kontext zu den Altfunden aus dem dortigen Bereich gebracht werden und bestätigen diese.

Scherben erzählen Geschichten

Ein dritter möglicher Siedlungsbereich lag am Ursprung der Bära im Bereich der heutigen Paradiesstraße. Dort konnten im Erdaushub vorgeschichtliche Scherben sichergestellt werden. Neben der Betreuung ihrer Reviere leisten die beiden Ehrenamtlichen noch zusätzliche Sonderaufträge für das Denkmalamt. So kontrollieren sie laufend und flächendeckend die Burgstellen im Zollernalbkreis auf Oberflächenfunde.

Enges Netzwerk zu Fachleuchten geknüpft

Die beiden ehrenamtlichen Denkmalpfleger beschränken sich bei ihrer Arbeit nicht nur auf die Auswertung und Dokumentation von Bodendenkmalen. Zusätzlich zu diesen ziehen sie archivalische Quellen heran und bringen diese in einen Kontext, der oft bis in die Gegenwart reicht.

Um diese Ergebnisse abzusichern, stehen Schübel und Berbalk nicht nur die technischen Möglichkeiten und die uneingeschränkte Unterstützung der Denkmalbehörden zur Verfügung, sondern auch ein enges Netzwerk von anerkannten Fachleuten.

Grundlage für Dissertationen

Die so gesicherten Erkenntnissen stellen sie im Anschluss verschiedenen Fachgremien zur Verfügung. So werden diese Ergebnisse dann nicht selten zur Grundlage für Dissertationen sowie heimatgeschichtlichen Publikationen und Fachbeiträge. Hierbei sind die beiden ehrenamtlichen Archäologen grundsätzlich an der Zusammenarbeit mit den Gemeinden interessiert.

Sie kommen unangemeldet

Die vom Landesamt für Denkmalpflege (LDA) ernannten und autorisierten ehrenamtlichen Mitarbeiter tauchen meist zufällig bei Bauarbeiten auf, um archäologische Hinterlassenschaften schnell zu sichern und zu dokumentieren bevor das LDA weit zeit- und kostenintensiver reagieren kann. So werden die Bauunterbrechungen möglichst gering gehalten, da oft das Eingreifen des LAD dann nicht mehr nötig ist.

Die Mitarbeiter beobachten darüber hinaus die bekannten Bodendenkmäler und lokalisieren unbekannte Relikte anhand von diversen Landschaftsmerkmalen. Kurz gesagt sind die Ehrenamtlichen „die Leute vor Ort“ des LAD.

Das Team

Im Zollernalbkreis sind derzeit vier Ehrenamtliche von Amts wegen bestellt, wovon drei aktiv sind. Sie teilen sich den Kreis in einzelne Reviere auf. Jörg Berbalk betreut gemeinsam mit Wilfried Schübel zwei Reviere (Raum Balingen, Kleiner Heuberg, Schlichemtal, Gesamtstadt Meßstetten, Obernheim und Nusplingen). Sie kontrollieren als Sonderbeauftragte des LDA außerdem die gesamten Burgstellen auf Oberflächenfunde.

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