Die Nestflucht steht bevor: Die kleinen Adebars in Hechingen lernen bereits das Fliegen

Von Andrea Spatzal

Im Storchennest auf dem Weilheimer Kirchturm ist was los. Die vier Jungvögel, die vor etwa sechs Wochen geschlüpft sind, sind kräftig, machen erste Flugübungen. Bald werden sie „Hotel Mama“ verlassen.

Die Nestflucht steht bevor: Die kleinen Adebars in Hechingen lernen bereits das Fliegen

Stolz wacht dieser Storch nicht nur über das Nest, sondern auch über die Jungvögel, die nur leicht die Köpfe heben.

Es ist offiziell und eigentlich auch nicht mehr zu übersehen: Das Storchenpaar, das auf dem Weilheimer Kirchturm nistet, hat Vierlinge bekommen. Alle Vögel, sowohl die stolzen Eltern als auch die Kinderschar, sind wohlauf. Die Jungvögel flattern sogar schon fleißig bei den Flugübungen. In vier bis fünf Wochen werden die jungen Störche fliegen können und „Hotel Mama“ verlassen.

Vielen geht es zu gut im elterlichen Nest

Wenn’s wirklich wahr ist, denn bei Familie Adebar ist es wie im echten Leben: „Vielen Jungen geht’s zu gut im elterlichen Nest“, weiß die Koordinatorin des Weißstorchschutzes in Baden-Württemberg, Ute Reinhard.

Den Jungvögeln falle es schwer, die Komfortzone zu verlassen und den Mut für den Absprung aufzubringen – zumal im freien Flug von der Spitze des Weilheimer Kirchturms aus. Was helfe, sei eine Hungerkur, erklärt die Expertin. Deshalb setzten Storcheneltern ihre Jungen am Ende auf eine strenge Diät, um sie endlich aus dem Nest zu kriegen.

Noch wohl umsorgt

Die Weilheimer Jungstörche sind noch wohl umsorgt. Ein Elternteil wacht im Nest über sie, während das andere für Nahrung sorgt. Fünf Wochen dürften die Jungen jetzt alt sein.

Ute Reinhard schätzt, dass sie Ende April geschlüpft sind. Verbrieft ist, dass es Vierlinge sind. So wurde es von der Landesstorchenbeauftragten am 10. Mai registriert.

Beringen ist wünschenswert, aber schwierig

Ute Reinhard würde sich wünschen, die Weilheimer Storchenfamilie beringen zu können. Von den Fünflingen, die im vergangenen Jahr auf dem Turm der Weilheimer Marienkirche zur Welt kamen, konnte nur ein Jungstorch, und das auch nur durch einen glücklichen Zufall – er hatte sich in einem Garten verfangen –, beringt werden.

Eine Beringung sei grundsätzlich ein schwieriges Unterfangen, „weil wir nicht rankommen“, sagt Reinhard. Man benötige spezielles Feuerwehrgerät beziehungsweise eine Hebebühne, um einem 40 Meter hohen Kirchturm wie in Weilheim Paroli bieten zu können.

Das Leben der Störche verfolgen

Aber nur mit Ring am Bein wird man die „Weilheimer Storchendynastie“ auch später noch identifizieren können, wird nachvollziehen können, wo sich die Nachkommen niederlassen und fortpflanzen. „Störche haben halt keinen Personalausweis“, sagt Ute Reinhard und lacht.

Sie schätzt es wert, wenn sich eine Gemeinde den manchmal doch recht kostspieligen Einsatz für eine Beringung leistet. Ob mit Ring oder ohne, ist eines jedoch gewiss: Ins elterliche Nest kehrt kein Storch zurück. „Das Elternnest gehört den Eltern“, bringt es Ute Reinhard auf den Punkt. Der Nachwuchs beziehe „im weiteren Umkreis oder weiter weg“ Quartier.

Bis zu 40 Jahre alt kann ein Weißstorch werden

Dafür werden die Störche, die 2017 erstmals hier brüteten, Weilheim wohl noch viele Jahre erhalten blieben – es sei denn, auf ihrem Zug ins Winterlager stößt ihnen etwas zu. Auf ein Alter von 40 Jahren kann es ein Weißstorch bringen.

Der Start in Weilheim war kein guter: Die Störche waren noch jung und unerfahren, als sie 2017 erstmals auf dem Turm der St.-Marienkirche brüteten. Davor war Jahrzehnte lang in der Region kein Weißstorch mehr gesichtet worden.

Aber die extreme Hitze, die vor zwei Jahren herrschte, überlebten die Storchenbabys nicht. Die Jungvögel waren in ihrem Nest jämmerlich verdurstet. Nach dieser Tragödie wusste niemand, ob die Störche wiederkehren werden. Umso größer war die Freude, als sie 2018 wieder in Weilheim aufschlugen und fünf stramme Junge großzogen.

Freude über das Kükenquartett

Dass es dem Kükenquartett in Weilheim gut geht, freut die Storchenbeauftragte sehr, auch wenn sich Ute Reinhard natürlich nicht um jedes einzelne Nest in ihrem großen Zuständigkeitsbereich persönlich kümmern kann.

Sie ist laufend unterwegs, kommt kaum noch rum, denn was nach dem guten Brutjahr 2018 eigentlich erst für 2020 prognostiziert war, ist schon dieses Jahr eingetreten: ein regelrechter Storchenboom. Allein im Raum Sigmaringen-Ravensburg hat Reinhard 30 bis 35 neue Brutpaare registriert.

Die Jungstörche seien weitgehend wohlauf, auch wenn einige von der Kälte und dem Dauerregen der vergangenen Wochen dahingerafft wurden – vor allem im Allgäu und vor allem ältere Jungtiere, die schon zu groß waren, als dass die Eltern noch ihre Flügel schützend über sie hätten ausbreiten können.

2013 war ein schlimmes Jahr

Es gab Verluste, bestätigt Ute Reinhard, aber nicht annähernd in einer Größenordnung wie im „Katastrophenjahr 2013“, als die Schafskälte im Juni das Leben von hunderten junger Weißstörche auslöschte.

Wie viele Weißstörche es genau in diesem Jahr im Südwesten gibt, ist noch nicht bekannt. Ute Reinhard rechnet damit, dass die Population in diesem Jahr die 1000er-Marke wieder deutlich übersteigt. Die Zahlen liegen erst im Oktober vor.