Die Närrin, die den Spiegel vorhält: Anne Judersleben aus Haigerloch kandidiert für Die PARTEI

Von Pascal Tonnemacher

Humor als stilistisches Mittel zur Kritik: Anne Judersleben aus Haigerloch tritt bei der Landtagswahl im Wahlkreis Balingen für die Satirepartei Die PARTEI an. Im Gespräch mit unserer Zeitung macht die lokalpolitikerfahrene Diplom-Soziologin deutlich, dass sie nicht nur Späßchen, sondern auch ernstzunehmende Oppositionspolitik machen kann und will. Trotz programmatisch versprochener Inhaltsleere will sie für mehr als das stehen.

Die Närrin, die den Spiegel vorhält: Anne Judersleben aus Haigerloch kandidiert für Die PARTEI

Anne Judersleben (im Hintergrund das Haigerlocher Schloss) im klassischen PARTEI-Outfit mit Jackett, Hemd und Krawatte. Sie tritt für die Satirepartei Die PARTEI bei der Landtagswahl an.

Hier könnte ein Nazi hängen“ prangt auf dem Plakat an der Laterne, auch „Der Kasper kommt!“ ist unter einem Wahlplakat mit AfD-Politiker zu lesen: Die PARTEI setzt in ihrer politischen Kommunikation oftmals weniger auf klassische Inhalte.

Was von der PARTEI kommt, geht oft gegen Rechts, kritisiert die Mächtigen, soll polarisieren und im besten Fall dann auch witzig sein. Trotz erster Abgeordneter in kommunalen Gremien oder im Europaparlament, und trotz des ersten Mandats im Bundestag wird die PARTEI von vielen nicht für voll genommen.

„Es ist nach wie vor eine Satirepartei, bei der intern unklar ist, inwieweit man realpolitisch wird“, sagt Anne Judersleben.

Die Haigerlocherin tritt für die PARTEI (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) bei der Landtagswahl am 14. März im Wahlkreis Balingen an. Sie will die Protestwähler davon abhalten, AfD zu wählen. „Dass die im Landtag und im Bundestag sitzen, finde ich ganz schlimm“, sagt die Kandidatin.

Protest- und Nichtwähler ansprechen

Erstwähler und junge Leute, bei denen die Späße der PARTEI besonders gut anzukommen scheinen, will sie natürlich auch ansprechen. Und wer gar nicht erst vor hatte, zur Urne zu gehen, soll doch lieber einer Spaßpartei, die sich für eine „Bierpreisbremse“ einsetze, seine Stimme geben, meint Judersleben und kann sich ein Lachen nicht verkneifen.

Sich ohne Ambitionen als Kandidat aufstellen zu lassen, nur weil man gefragt wurde, findet sie schlimm. Sie meint es also auch ernst: Judersleben ist verheiratet, wohnt mit ihren beiden Kindern in Bittelbronn und sitzt im Gemeinderat in Haigerloch – den Sprung dorthin schaffte sie mit der Freien Wähler Vereinigung.

Begonnen hatte ihre politische Karriere aber schon mit dem Thema Freie Schulen Zollernalb, die die Diplom-Soziologin, damals ohne Amt, im alte Schulgebäude in Haigerloch unterbringen wollte.

Im Einsatz für die Eyachtalbahn

Ihrer Meinung nach hätte man aber auch die ÖPNV-Anbindung ausbauen müssen, um als Standort für eine Freie Schule attraktiv zu sein. Die Schule entschied sich dann jedoch für Engstlatt als Standort. Dem Thema Verkehr blieb sie jedoch treu: Seit sie gewählte Stadträtin ist, setzt sie sich im Gemeinderat für die Reaktivierung der Eyachtalbahn ein.

Nach gut zwei Jahren kann sie erste Erfolge vermelden. Zusammen mit Haigerlochs Bürgermeister Heinrich Götz und anderen Mitstreitern hat sie erreicht, dass eine Machbarkeitsstudie forciert wird.

Die Pläne schreiten voran, eine Umsetzung erscheint in greifbarer Nähe. Auch weil die Anliegerkommunen ins Boot geholt wurden, erzählt Judersleben. Sie sieht das als Beweis dafür, dass auch eine Spaßpartei für Lösungen sorgen und für Inhalte stehen kann.

Humor in den Politikalltag bringen

Beim kurzen Treffen im Freien schenkt die Lokalpolitikerin zur Begrüßung eine Postkarte von Martin Sonneborn, PARTEI-Chef und Mitglied des Europäischen Parlaments. Darauf steht geschrieben: „Es gibt eben nur vier, fünf Arten auf den alltäglichen Irrsinn des kapitalistischen Systems zu reagieren: Alkoholismus, bewaffneter Widerstand, Politik, Satire.“ Ihre Methode deshalb: Humor ins politische Alltagsgeschäft bringen.

Auch im Gemeinderat spielt sie schon die Närrin, die den Spiegel vorhält. „Ich weise auf Sachverhalte hin und das geht mit Humor oftmals besser als mit vollem Ernst“, sagt Judersleben. Sie nutze Humor als stilistisches Mittel, um Kritik zu äußern und gleichzeitig niemanden damit persönlich zu verletzen, sagt sie.

Wie weit Humor gehen darf

Doch wie weit darf Humor und Satire gehen? Jan Böhmermanns Schmähgedicht, ein politischer Eklat par excellence, wie sie sagt, sei echt heftig gewesen, hatte aber zumindest keine strafrechtlichen Folgen.

Nach Gerichtsurteilen und einem Teilverbot des Gedichts entbrannte eine Debatte, ob man Satire als Gesamtwerk betrachten muss oder einzelne Aspekte herausgreifen und bewerten könne.

Und wann beginnt Humor zu diskriminieren? Für Judersleben ist nicht unbedingt eine solche Grenze maßgeblich. Viel mehr sei der Umgang mit anschließender Kritik wichtig.

Umgang mit Kritik wichtig

„Wenn sich jemand verletzt fühlt, muss ich hinstehen und sagen, das habe ich nicht bedacht, tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen“, meint Judersleben.

Eine Art Generationenkonflikt durchlebte ihre Partei in der Sache jüngst: Martin Sonneborn war wegen eines T-Shirt-Motivs, auch aus den eigenen Reihen, als rassistisch kritisiert worden. Auch die Haigerlocherin fand den Witz darauf recht platt, wie sie sagt.

Parteikollege und Kabarettist Nico Semsrott trat daraufhin aus der PARTEI aus, behielt jedoch sein Mandat im Europaparlament. Sonneborn reagierte erst danach auf die Kritik. In einer Art Übergangsgeneration wähnt sich Judersleben bei diesem Thema.

Grenzen des Humors haben sich gewandelt

„Jüngere Menschen wachsen heute ganz anders auf“, sagt Judersleben, Jahrgang 1983. „Früher waren homophobe Witze noch gängig, jetzt kann jeder seine sexuelle Orientierung ausleben.“

Sich selbst beschreibt Anne Judersleben auf einem Wahlplakat mit den Buchstaben ihres Vornamens als „aufmüpfig, nervend, nonkonform, ehrlich“. Steckt da auch was dahinter? „Die Menschen, die mich kennen, sehen das so“, antwortet Judersleben.

Sie sei in gewisser Weise aufmüpfig, da sie keine Angst vor Machthabern habe. Sie könne hinstehen und Zivilcourage zeigen. Man erinnere sich an dieser Stelle an die Gegendemonstration zu den sogenannten Lichtspaziergängen in Balingen, die mit von der hiesigen PARTEI iniziiert wurden, oder die Spendenaktion für das hiesige Krankenhaus.

Und nonkonform? „Normalerweise habe ich blaue Haare“, sagt sie. Im November trägt sie zum Gedenken der Verstorbenen aus der Familie schwarz. Und aktuell kann sie nicht zum Friseur. Bleibt es eben schwarz.

Grünes Herz und klare Haltung

Ehrlich will sie auch sein. „Ich hab‘ ein grünes Herz“, sagt sie. Dennoch tritt sie für die Spaßpartei an. Denn für die Freien Wähler ginge das für sie nicht. „Weil die für mich nicht das Authentische widerspiegeln, wofür ich stehe“, sagt Judersleben. „Ich verbiege mich nicht, habe eine Haltung und lasse mich nicht vor den Karren spannen.“

Können Wählerinnen und Wähler eine Kandidatin ernst nehmen, deren Partei im Wahlprogramm zum Thema Verkehrswende ein Kurzstreckenkatapult vorschlägt? Die Funktion von Humor in ihrer politischen Arbeit hat Judersleben bereits erläutert.

Doch sie sagt auch: „Wird von mir Realpolitik erwartet? Ich kann nichts versprechen, das ist klar und will ich auch nicht.“ Damit zielt sie vor allem auf die Stimmen von Protest- und Nichtwählern, die ohnehin „dermaßen frustriert“ seien und sich fragen, ob ihre Stimme überhaupt einen Einfluss habe.

Sie verspricht jedoch jedem, der sie wählt: „Ich gehe in den Dialog mit Menschen, auch mit anderen Parteien.“ Sie sei keine Antidemokratin, keine Rassistin, sei offen und interessiere sich für vieles.

Keine Menschen per se ausgrenzen

„Wir leben auf einem Planeten, den wir erhalten müssen, weil er die Zukunft für nachfolgende Generationen bedeutet“, sagt sie. „Also kann ich keine Menschen per se ausgrenzen.“

Sie fordert ein neues Verständnis von Politik und demokratischen Prozessen. Jeder könne mitwirken als Teil einer demokratischen Basis. Man könne nicht sagen: Politiker, mach mal.

Dialoge muss man führen

Dass Entscheidungen dann nicht immer in jedermanns Interesse sein können, sei klar. Doch Dialoge müssen geführt werden.

Denn die heutzutage ihrer Meinung nach vielpropagierte Alternativlosigkeit sei verkürzt. „Wir brauchen mehr Blickwinkel, man muss mehr Experten dazu holen, dann wären auch Alternativen ersichtlich“, sagt sie.

Der Erfolg bei der Reaktivierung der Eyachtalbahn kommt nicht von ungefähr, fragt man die Haigerlocherin.

Ihre Stärke ist das miteinander reden

Gerade im Netzwerken, wie sie es nennt, sieht sie ihre Stärke, auch beruflich. Seit der sogenannten Flüchtlingskrise ist die Diplom-Soziologin als Ehrenamtskoordinatorin tätig.

1991 zog sie nach der Wende nach Freudenstadt, hat innerdeutschen Migrationshintergrund, wie sie sagt. Und erlitt im schneereichen Schwarzwald zunächst einen Kulturschock, bevor sie dann in Starzach aufwuchs.

Arbeitslosigkeit war schlimmste Zeit

Mitten in der Wirtschaftskrise beendete sie ihr Studium, musste mit Hartz IV leben. Sie nennt es die schlimmste Zeit ihres Lebens, bezeichnet es als demotivierend und psychisch belastend.

Mittlerweile studiert Judersleben nebenbei an der Fernuniversität Psychologie und macht eine Ausbildung zur systemischen Beraterin.

Fokus auf Wirtschaft engt ein

Doch zurück zur politischen Entscheidungsfindung: Ausschlaggebend sei, welche Kriterien man anlege. „Wenn alles immer nur mit wirtschaftlichem Fokus gesehen und entschieden wird, gibt es weniger Alternativen, doch ob das das Maß der Dinge ist, mag ich bezweifeln.“

Der Blick müsse aufs Gemeinwohl gerichtet sein. Man dürfe als Elternteil nicht nur Bildungspolitik betreiben, nur weil man mit Kindern gerade betroffen sei, also aus Eigennutz.

Lokaler Nahverkehr ist ihr wichtig

Eines ihrer Kernthemen im Landtag wäre zweifelsohne der Nahverkehr. Mit dem Projekt Regionalstadtbahn sei ein riesiger Meilenstein gelegt worden. Doch gerade im Zollernalbkreis würden Randregionen vernachlässigt, sagt sie.

Auch die Busverbindung sei lediglich vermeintlich verbessert worden: „Wenn ich von Bittelbronn nach Balingen fahren will, muss ich drei Mal umsteigen.“

Kritik an Kultusministerium

In Sachen Bildung spart sie nicht mit Kritik: „Das Kultusministerium hinkt hinterher, was Infrastruktur und Konzepte angeht, das hat man jetzt nach einem Jahr Corona gesehen“, sagt Judersleben. Sie hätte mehr Entlastung vom Kultusministerium erwartet, und dass nicht alles an den Familien hängenbleibt.

Eltern würden derzeit umfunktioniert zu neuartigen Lehrern. Kinder aber bräuchten andere Kinder, auch wenn man super engagiert sei als Eltern. Judersleben unterstützt deshalb die Teststrategie von Boris Palmer in Tübingen.

Gut finde sie, dass an viele Unternehmen Hilfsgelder fließen sollen. „Ich sage schon immer, man darf die Sachen nicht auspressen und muss investieren, doch die Auszahlung der Hilfen geht einfach zu langsam.“