Zollernalbkreis

„Die Maßnahmen sind gerechtfertigt“: Klinikchef Hinger im großen ZAK-Interview

08.04.2020

Von Michael Würz

„Die Maßnahmen sind gerechtfertigt“: Klinikchef Hinger im großen ZAK-Interview

© Nico Pudimat

Der Mann, der das Zollernalb Klinikum durch die Coronakrise lotst: Klinikchef Dr. Gerhard Hinger.

Für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen ist die Coronakrise eine große Belastung. Dr. Gerhard Hinger, Chef des Zollernalb Klinikums, spricht über die aktuelle Situation im Krankenhaus.

Gute Nachrichten hören sie in der Klinik derzeit gerne. Von einer weiß Hinger im Interview mit dem ZAK zu berichten: Nach Ostern soll das Zollernalb Klinikum vier Beatmungsgeräte geliefert bekommen, acht weitere im Mai.

Herr Hinger, sind Sie heute als Klinikchef eher optimistisch oder pessimistisch gestimmt?

Ich bin ein lösungsorientierter Mensch und daher immer optimistisch gestimmt.

Wie stark belastet die Coronakrise die Mitarbeiter in der Klinik?

Die Coronakrise ist für alle Beteiligten im Gesundheitswesen eine große Belastung. Das Zollernalb Klinikum musste in erheblichem Umfang umorganisiert werden. Grundsätzlich gehört die Behandlung von infizierten Patienten zur Routinearbeit im Klinikum. Aber die große Zahl der Infizierten, die noch in vielen Punkten unklare neue Krankheit und die teilweise schweren Krankheitsverläufe belasten die Organisation und die Mitarbeiter in besonderem Maße.

Für die Mitarbeiter am Patientenbett besonders belastend ist die ständig vorhandene Möglichkeit, selbst infiziert zu werden. Und damit auch die Sorge um die eigene Familie. Besonders belastend sind aber auch die unklaren Situationen, die Frage, ob das Gegenüber infiziert ist oder nicht. Sobald die Diagnose steht, greifen die Standards im Umgang mit infizierten Menschen.

Spüren Sie Effekte, die sich auf die Maßnahmen der Regierung zurückführen lassen?

Wie allgemein in Deutschland zu beobachten, hat sich die Verdopplungsrate der Infizierten von ursprünglich drei Tagen auf aktuell etwa zehn bis zwölf Tage verlängert. Dieser Effekt ist auch im Zollernalbkreis an den Patientenzahlen zu spüren. Wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung ganz wesentlich durch die von der Regierung veranlassten Maßnahmen und durch die Einhaltung der Maßnahmen in der Bevölkerung zurückzuführen ist.

Aus diesem Grund halten wir es für essenziell wichtig und für medizinisch gerechtfertigt, dass die strikten Maßnahmen auch über die Osterfeiertage konsequent eingehalten werden. Dies eröffnet die Chance, dass die Maßnahmen nach den Osterferien möglicherweise wieder schrittweise aufgehoben werden können. Wir sind froh darüber, dass die Wichtigkeit einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung insbesondere durch gut funktionierende Krankenhäuser in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion angekommen ist.

Wir alle freuen uns über den großen Zuspruch, die anerkennenden Worte und die Spenden, die wir in diesen Tagen erhalten, hoffen jedoch gleichzeitig, dass diese Erkenntnis und Stimmung sich nach der Krise in nachhaltigen Entscheidungen niederschlägt.

Wer ist im Moment der typische Corona-Patient, den sie aufnehmen? Gibt es diesen?

Den typischen Corona-Patienten gibt es nicht. Die allgemein bekannten Risikogruppen sind in Fachkreisen und aus den Medien hinreichend bekannt. Wichtig dabei ist uns jedoch zu betonen, dass auch Menschen, die nicht zu den typischen Risikogruppen gehören, schwer betroffen sein können und möglicherweise lebensgefährlich erkranken.

Die große Herausforderung ist noch immer die Beschaffung von Beatmungsgeräten und Schutzausrüstungen. Wie sieht es da aktuell im Zollernalb Klinikum aus?

Bezüglich der Beschaffung von Schutzausrüstung ist die Lage weiterhin angespannt. Es ist uns jedoch gelungen, durch verschiedene Maßnahmen ausreichend Schutzmaterial für unsere Mitarbeiter zu beschaffen. Durch den Austausch mit anderen Kliniken wissen wir, dass das besondere Engagement regionaler Firmen, insbesondere der Textilbranche, auf das wir frühzeitig zurückgreifen konnten, uns einen Vorteil gegenüber anderen schaffte. Die von uns sehr früh veranlasste Bestellung von zusätzlichen Beatmungsgeräten hat bisher leider noch zu keiner Auslieferung geführt.

Wir haben bei mehreren großen Herstellern Beatmungsgeräte bestellt. Einer der Hersteller produziert in den USA und kann aufgrund der aktuellen Politik der USA nicht liefern. Ein weiterer großer deutscher Hersteller erhielt von der Bundesregierung einen umfangreichen Auftrag, was dazu führte, dass kleinere Aufträge wie unsere Bestellungen in den Hintergrund gerückt sind. Aktuell haben wir von einem anderen renommierten deutschen Hersteller eine verbindliche Zusage für die Lieferung von vier Beatmungsgeräten für die Woche nach Ostern und weitere acht Beatmungsgeräte in der zweiten Maihälfte.

Bei den betroffenen Patienten verursacht Covid-19 eine schwerwiegende Störung der Lungenfunktion (ARDS). Für die Behandlung sind technisch hochwertige Intensivbeatmungsgeräte erforderlich. Aus diesem Grund kann nicht jedes beliebige Beatmungsgerät zum Einsatz kommen.

Welche wissenschaftlichen Debatten verfolgen Sie mit besonderem Interesse?

Wir verfolgen täglich die aktuelle Literatur mit nationalen und internationalen Publikationen. Durch die gute Vernetzung unserer Fachleute mit den entsprechenden Fachgesellschaften und wissenschaftlichen Gremien haben wir jederzeit Zugang zu den relevanten Informationen.

Vor wenigen Tagen erhielt das Uniklinikum Tübingen den Auftrag für eine wissenschaftliche Studie zum Einsatz eines Medikaments. Unmittelbar nach Bekanntwerden dieses Auftrags haben wir als akademisches Lehrkrankenhaus unser Interesse an einer Mitwirkung bei der Studie bekundet.

Der kritische Punkt bei Covid-19-Erkrankungen sind schwere Verläufe. Wie stellen sich diese im Zollernalb Klinikum dar?

Von bislang 321 in der Klinik aufgenommenen Covid-19-Patienten mussten 56 Patienten intensivmedizinisch behandelt werden. Die Hälfte dieser Patienten konnte mittlerweile wieder auf die Normalstation zurückverlegt werden. Im Vordergrund steht zunächst die schwere Lungenentzündung mit Lungenversagen und Sauerstoffmangel. Daher benötigt der überwiegende Teil der Intensivpatienten eine künstliche Beatmung.

Personell haben wir das Glück, über einen großen Anteil von Fachärzten und Fachpflegekräften mit spezialisierter Intensivqualifikation zu verfügen. Das sind zum Teil Kollegen mit jahrelanger Erfahrung in der Behandlung des schweren Lungenversagens. Darüber hinaus führt Covid-19 bei einigen Patienten auch zu schweren Schockzuständen und Organversagen. Es ist dann eine äußerst schwere Erkrankung, die dem Behandlungsteam alles abverlangt.

Wie gestaltet sich das Besuchsverbot in der Klinik?

Grundsätzlich besteht eine allgemeine Kontaktsperre. Wir alle wissen, wie sensibel diese notwendige Maßnahme für viele Betroffene ist. Erfreulicherweise wird dies von der Bevölkerung respektiert. In besonderen Ausnahmefällen wird eine Person als Besucher oder Begleitperson zugelassen. Die Entscheidung orientiert sich am Nutzen für den betroffenen Patienten.

Über welche Nachricht haben Sie sich in den vergangenen Tagen besonders gefreut?

Wir freuen uns über jeden genesenen Patienten. Dies betrifft insbesondere die Patienten, die nach einer schwierigen Intensivbehandlung mit Beatmung wieder genesen nach Hause entlassen werden können.

Über Geld spricht man im Moment selten. Dennoch muss auch eine Klinik wirtschaften: Wie blicken Sie auf die laufenden Gesamtkosten der Coronakrise?

Wir befinden uns mitten in der Krise. Unser Fokus liegt weiterhin zu allererst auf der adäquaten Gesundheitsversorgung. Um diese gewährleisten zu können, sind außergewöhnliche Maßnahmen und damit auch Kosten verbunden. In der wirtschaftlichen Betrachtung dürfen jedoch nicht nur die direkten Kosten der Coronakrise berücksichtigt werden, sondern alle Nebeneffekte, die sich durch die Umstellung der Klinik ergeben haben.

Aktuell erhalten wir Unterstützung von Politik und Kostenträgern. Wir hoffen, dass diese positiven Reaktionen und Maßnahmen nach der Krise nachhaltig weitergeführt werden. Dies gilt für alle politischen Ebenen. In der Krise hat sich die kommunale Trägerschaft des Zollernalb Klinikums bewährt. Wir sind zuversichtlich, dass dies auch nach der Krise mit großer Kontinuität weitergeführt wird.

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