Meßstetten

„Die Europa GmbH wäre eine gute Idee“: Interstuhl hofft auf Mitstreiter in der Politik

02.08.2022

Von Gudrun Stoll

„Die Europa GmbH wäre eine gute Idee“: Interstuhl hofft auf Mitstreiter in der Politik

© Gudrun Stoll

Helmut (links) und Joachim Link (rechts) erläuterten Norbert Lins die Veränderungen der Arbeitswelt und die Vorteile von mobilen und individuell gestalteten Bürolandschaften.

Der Europaabgeordnete Norbert Lins hat auf seiner Sommertour alle Landkreise in seinem Betreuungsgebiet besucht, Gespräche geführt und Firmen besichtigt. Beim Besuch in der Tieringer Firma Interstuhl drehten sich die Themen um die Sorgen des Mittelstandes und die Hürden der EU-Bürokratie.

Zum Betreuungsgebiet des Pfullendorfers gehören die Landkreise Alb-Donau-Kreis, Biberach, Bodenseekreis, Ravensburg, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen, der Zollernalbkreis sowie der Stadtkreis Ulm.

Vom Wasserwerk bis zum Industriepark

Bei seiner Visite im Zollernalbkreis besuchte der aus Oberschwaben stammende CDU-Politiker das neue Wasserwerk der Hohenberggruppe Wasserversorgung in Beuron-Langenbrunn im Donautal, informierte sich in Meßstetten über den geplanten interkommunalen Industrie- und Gewebepark Zollernalb und das dortige Ankunftszentrum Ukraine. Die Situation des Handwerks war Thema beim Treffen mit Kreishandwerksmeister Ernst Berger und weiteren Teilnehmern aus der Kreishandwerkerschaft in Albstadt.

Ein weltweit vernetzter Familienbetrieb

Im Terminkalender stand zum Abschluss ein Besuch bei der Firma Interstuhl in Tieringen. Norbert Lins war nicht zum ersten Mal zu Gast im weltweit aktiven Unternehmen, das zu den führenden Stuhlherstellern Europas zählt und als Familienbetrieb in zweiter Generation geführt wird.

Seit sechs Jahrzehnten auf dem Markt

Joachim Link, geschäftsführender Gesellschafter von Interstuhl, seine Frau Susana Martin de Vidales und seine Tante Lenore Link stellten dem Europaabgeordneten das in Tieringen verwurzelte Unternehmen vor und erläuterten die positive Entwicklung, die Interstuhl in sechs Jahrzehnten vollzogen hat. Mit den Fokusmarken Interstuhl, Bimos und Backforce platziere das Unternehmen gezielt Produkte für die jeweiligen Zielgruppen auf dem Markt.

Klares Bekenntnis zum Standort

Joachim Link verwies auch auf die Bedeutung des Mittelstandes, der den größten Anteil der Arbeitsplätze in Deutschland halte. Die Familie Link verstehe sich als oberster Diener des Unternehmens, das weiter entwickelt und für die nächste Generation zukunftsfähig aufgestellt werden soll.

Um deutsche Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten, müsse die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, betonte Joachim Link und fügte ein klares Bekenntnis zum Standort Tieringen an, denn die „Arbeitsplätze in Deutschland sollen erhalten und weiter ausgebaut werden“. Bis zum Jahr 2026 wollen die Familien Link rund 25 Millionen Euro in Tieringen investieren. Um den Heimatstandort auszubauen und zu vergrößern, sind Baumaßnahmen notwendig, insbesondere auch die Verlegung der Landesstraße. Dieses seit Jahren geplante Projekt befinde sich kurz vor der Umsetzung, so Link.

Ziel ist Wachstum

Mit weltweit 1000 Mitarbeitern hat die Interstuhl-Gruppe im Jahr 2021 einen Umsatz von 200 Millionen Euro erzielt. Der Exportanteil lag bei 41 Prozent. Bis 2025 soll die Zahl der Mitarbeiter auf 1200 aufgestockt werden, die weitere Planung sieht vor, dass die Belegschaft bis zum Jahr 2035 auf 1800 Mitarbeiter wächst. Vorausgesetzt, die Wirtschaft bleibt stabil.

Branche steht vor extremer Herausforderung

Durch den Ukraine-Krieg sieht sich auch Interstuhl mit neuen, extremen Herausforderungen konfrontiert, wie es sie in der Branche bisher noch nicht gegeben hat. Joachim Link stellte die komplexe Problematik dar: Die Preisspirale von Seiten der Lieferanten dreht sich immer weiter nach oben, die Rohstoffe explodieren. Die Preiserhöhung in diesem Ausmaß können nicht ohne weiteres an die Kunden weitergegeben werden. Somit vermindert sich die Ertragsspanne. Um ein Unternehmen zu halten und weiter auszubauen, müsse es aber Gewinne erwirtschaften. Um der Kostenexplosion zu begegnen, prüfe Interstuhl in allen Bereichen die Wertschöpfungskette und überdenke die Effizienz aller Vorgänge.

Neue Rechtsform würde Alltag erleichtern

In lockerer Gesprächsrunde gingen Gastgeber und Gast auf verschiedene Themen ein. Die Frage nach einer Europa GmbH war für Susana Martin de Vidales ein zentrales Anliegen. Diese Rechtsform würde international agierenden Firmen die Tagesarbeit erleichtern, da sie nicht in jedem Land, in dem sie tätig sind, ein gesondertes Unternehmen gründen müssten.

„Die Europa GmbH wäre eine gute Idee“: Interstuhl hofft auf Mitstreiter in der Politik

© Firmenfoto

Die Familien Link mit Norbert Lins gut gelaunt auf HUB-Swing (von links): Georgia Link, Joachim Link, Susana Martin de Vidales, Lenore Link. Vorne: Helmut Link und Norbert Lins.

Diese Idee hörte Norbert Lins zum ersten Mal. Er werde den Gedanken aber aufnehmen für Gespräche mit weiteren Unternehmen. So könnte sich möglicherweise ein Ansatz für eine Veränderung ergeben. Nichts würde die Familien Link mehr freuen.

In der EU herrscht zu viel Bürokratie

Der Bürokratismus wurde am Beispiel des Transparenzregisters verdeutlicht. Dieses Register sei völlig überzogen und unnütz, denn die entsprechenden verantwortlichen Personengruppen seien bei mehreren Meldebehörden registriert, schilderten die Mittelständler die Tücken des Alltags. In der Runde herrschte Einigkeit, dass erheblich effizienter gearbeitet werden könnte, wenn die Bürokratie ein Stück weit reduziert würde.

Die Länder setzen Grenzen

Helmut Link, ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter, nahm mit Ehefrau Georgia Link an der Gesprächsrunde teil. Er rückte einheitliche Normen und Zertifizierungen in den Fokus der Diskussion, denn Europa-Normen könnten eine große Erleichterung sein.

Das sei einfacher gesagt als getan, begegnete Norbert Lins dem Wunsch aus der Wirtschaft mit den Hürden, vor denen die EU-Politiker stehen. Denn im offenen Europa gibt es Grenzen: Jedes Land habe unterschiedliche Sichtweisen, Vorstellungen und Regularien entwickelt – stets im besten Sinne für das eigene Land. Eine Meinung, die das Nachbarland nicht zwangsläufig teilen müsse. Alle Meinungen auf einen Punkt zu bringen und Überzeugungsarbeit zu leisten, sei keineswegs einfach.

Einheitlichkeit ist machbar

Joachim und Helmut Link betonten, dass sie federführend dazu beigetragen haben, dass ein einheitlicher Nachhaltigkeitsstandard und das auf diesem Standard basierende europäische LEVEL-Zertifikat für Büro- und Objektmöbel geschaffen wurde. Produktentwickler, Hersteller und Möbelkäufer erhalten auf diese Weise einen umfassenden Überblick über alle relevanten Nachhaltigkeitsaspekte.

China kauft auf

Ein weiterer Aspekt im Meinungsaustausch betraf den Verkauf deutscher Firmen an chinesische Investoren. Wie Kuka: Das Unternehmen mit Sitz in Augsburg ist ein führender Anbieter von Robotik, Anlagen- und Systemtechnik, Pionier in Industrie 4.0 und befindet sich seit 2016 im Mehrheitsbesitz des chinesischen Midea-Konzerns. Wie in Zeitungsberichten nachzulesen ist, hatte die Bundesregierung vergeblich versucht, eine Übernahme durch die chinesische Firma abzuwehren und dafür geworben, dass sich deutsche Unternehmen beteiligen. Der damalige EU-Kommissar Günther Oettinger schlug angesichts der umstrittenen Übernahme ein europäisches Außenwirtschaftsgesetz vor.

Das Luxuslabel Rolf Benz aus Nagold kam 2018 in chinesische Hände. Interstuhl hatte sich ebenfalls um den Zukauf des Sofaherstellers bemüht, den Zuschlag aber nicht bekommen. Zum großen Bedauern von Joachim Link, denn der renommierte Polstermöbelhersteller aus dem Schwarzwald hätte gut in das Portfolio der Schwaben gepasst. Denn Interstuhl baut Labor- und Industriestühle, führt eine eigene Marke für die professionelle Gaming-Communtiy und bietet Systemlösungen für ganz individuelle Bürolandschaften an, deren Übergang zum Wohnzimmerambiente fließend ist.

Relaxen auf der Büroschaukel

Norbert Lins konnte sich bei einer Führung durch die Ausstellungsräume quer durch alle Marken ein Bild von der Produktpalette machen und auch Probesitzen. So auch auf dem Hub-Swing, Element einer neuen Form der Arbeitswelt. Die Schaukel bietet im Kollegenkreis Gelegenheit zum Abschalten und kann mit Bänken, Beistelltischen und Sesseln zur Kommunikationszone ausgebaut werden.

Zur Person

Seit 2014 ist Norbert Lins Mitglied des Europäischen Parlaments. Im Juli 2019 wurde er zum Vorsitzenden des Agrarausschusses gewählt. Daneben zählt für den vierfachen Vater auch die Arbeit im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zu seiner Abgeordnetentätigkeit. Lins ist außerdem Mitglied der Delegation zu den EFTA-Staaten (Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein) sowie der Mexiko-Delegation. Der 44-jährige Ministerialbeamte stammt aus Oberschwaben und wohnt mit seiner Familie in Pfullendorf.

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