Zollernalbkreis

Verfehlt die Corona-Soforthilfe ihr Ziel? Unternehmer im Zollernalbkreis äußern scharfe Kritik

27.03.2020

von Redaktion

Verfehlt die Corona-Soforthilfe ihr Ziel? Unternehmer im Zollernalbkreis äußern scharfe Kritik

© Volker Bitzer

Das Coronavirus auf der Homepage der KfW-Bank, wo Unternehmer Hilfskredite beantragen können.

In der Corona-Krise In Schieflage geratene Unternehmen finanziell auffangen. Und dies so unbürokratisch, wie es unser Staat zulässt. Das ist das Ziel von Bund und Land. Doch was sich in der Theorie so hervorragend anhört, entpuppt sich in der Praxis doch als wesentlich schwieriger, wie die Beispiele heimischer Unternehmer zeigen.

Der wirtschaftliche Rettungsschirm, den die politisch Verantwortlichen aufgespannt haben, ist gerade erst wenige Tage alt. Doch schon mehren sich die Stimmen, die sich direkt an den ZOLLERN-ALB-KURIER wenden, um kundzutun, dass sich die anfängliche Euphorie bei manch einem „Schutzsuchenden“ schnell in Ernüchterung verwandelt hat.

Der Augenoptikermeister Ralf Schmid führt in Geislingen ein Optikergeschäft mit vier Teilzeitkräften und einer Vollzeitkraft. Von dem Maßnahmenpaket der Bundes- und Landesregierung ist er gelinde gesagt enttäuscht. Seinem kleinen Unternehmen sind zwischenzeitlich fast alle Einnahmen weggebrochen.

KfW-Kredit birgt Untiefen

Die Kurzarbeit helfe den Betrieben, der über die Hausbanken vergebene KfW-Kredit eigentlich auch. Doch hier fangen seiner Ansicht nach die Probleme bereits an. Denn innerhalb von fünf Jahren müssen die Kredite zurückbezahlt werden. Obwohl das erste Jahr tilgungsfrei ist, werden Zinsen fällig. „Die Tilgung ab dem zweiten Jahr bringt viele Betriebe an den Rand ihrer Existenz“, ist sich Schmid sicher.

Nachdem Kredite nach Ansicht von Ralf Schmid trotzdem kurzfristig hilfreich sind, habe die Corona-Soforthilfe des Wirtschaftsministeriums des Landes Baden-Württemberg das Ziel verfehlt. Jeder Betrieb soll über nur drei Monate hinweg 3000 Euro erhalten. Um dieses Geld zu bekommen, sind allerdings einige Vorleistungen notwendig.

Geschäfts- und Barmittel müssen eingebracht werden

So müsse auch ein Kleinstunternehmen nachweisen, dass es zum 31. Dezember 2019 noch nicht in wirtschaftlicher Schieflage gewesen ist. Weiter müsse nachgewiesen werden, dass in den aktuellen Krisenmonaten die Einnahmen um mindestens 50 Prozent eingebrochen sind.

Bevor es dann aber das Geld vom Staat gibt, müssten zuerst sämtliche Barmittel der Firma aufgebraucht sein. „Als ordentlicher Unternehmer sollte man immer eine Reserve haben“, so Schmid, gerade auch um umsatzschwache Monate auffangen zu können.

Weiter wird von den Einzelhändlern verlangt, alle privaten Barmittel außer Lebensversicherungen und Immobilien einzubringen, um vom Staat unterstützt zu werden. „Wenn aber sämtliche Geschäfts- und Privatkonten verbraten sind, steht man unmittelbar vor der Insolvenz“, erklärt Ralf Schmid. „Was helfen da noch 3000 Euro im Monat?“

Einzelhändler werden bestraft

Seiner Ansicht nach werden jetzt diejenigen auch noch bestraft, die bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie ordentlich gearbeitet haben. „Hier verkauft die Politik vollmundig etwas und am Schluss bleibt nur noch ganz schwache heiße Luft übrig“, sagt Schmid. Man werde von der Politik wie so oft alleine gelassen. „Setzen, sechs!“, sagt der Geislinger Einzelhändler.

Schwierige Situation für Albstädter Friseurmeisterin

Die Albstädter Friseurmeisterin Sarah Balzer, die ihren Salon in der Ebinger Sonnenstraße vor ziemlich genau einem Jahr eröffnet hat, ist verunsichert. Hotlines, von denen sie sich Aufklärung versprochen habe, wie etwa die der Handwerkskammer, seien überlastet und nicht erreichbar. „Ich weiß nicht, ob ich nach der Krise wieder öffnen kann, da ich nicht auf das Hilfsprogramm hoffen kann“, sagt die 38-Jährige.

Verlust angemeldet

„Ich musste zum Jahresende Verlust anmelden, was als Neugründerin ja relativ normal ist, und da ich nicht wirklich viel verdiene, fällt auch kein Drittel unseres Einkommen weg.“ Sie fürchtet: „Wenn ich jetzt aber trotzdem den Antrag auf Soforthilfe stellen würde, würde ich mich womöglich des Betruges strafbar machen.“ Wenn diese Situation länger anhalten sollte, sagt Sarah Balzer, „bin ich mir nicht sicher, ob ich es schaffe.“

Ein blaues Auge für jeden

Sie habe schon über Gutscheinverkauf nachgedacht, aber wenn alle Kunden Gutscheine kaufen und diese später einlösen, fehle ihr der Umsatz ja zu diesem Zeitpunkt. Sie ist sich sicher: „Es wird ein blaues Auge für jeden von uns geben.“ Dabei seien gerade die Kleinunternehmen diejenigen, die einer Stadt Leben geben.

Es geht ans Privatvermögen

Roland Nies, Geschäftsführer des Balinger Augenoptikers Götz und Nies, bemängelt, dass vor der Inanspruchnahme der Soforthilfe, der Einzelunternehmer sein liquides Privatvermögen einsetzen muss. Er ist der Meinung, dass die Soforthilfe unabhängig davon, in welcher wirtschaftlicher Lage das Unternehmen sich befindet, ausbezahlt werden soll. „Das Geld sollte unbürokratisch und direkt an die Händler oder Unternehmer ausgeschüttet werden und nicht erst dann, wenn das Unternehmen kurz vor der Insolvenz steht“, fordert er.

Für die Umsatzeinbrüche könne ein Unternehmer in der momentanen Situation nichts. Mit der Soforthilfe könnten die Einbußen fürs erste kompensiert werden. Er selbst, hat sich bei der Handwerkskammer über die Soforthilfe informiert. Er kritisiert, dass bei der Antragstellung auf mehreren Seiten nur der Begriff „Umsatzeinbruch“ erwähnt wird. „Mit keinem Wort wird auf die FAQ der Sonderveröffentlichung des Landes BW hingewiesen“, so der Balinger Einzelhändler.

Kritik an der Regierung

Diese Information erfahre man dann beim Anruf der Corona-Hotline der zuständigen Handwerkskammer. Die Vorgehensweise der Regierung verurteilt er. „Zum einen wird dem Selbstständigen Hoffnung gemacht, gleichzeitig fällt der Begriff der „eidesstattlichen Versicherung. Ich bin gespannt, wie dies in diesem Zusammenhang ausgelegt wird“, sagt er.

Enttäuscht von Voraussetzungen

Geislingens Bürgermeister Oliver Schmid ist enttäuscht über das Milliarden-Hilfsprogramm. Und zwar konkret von den Voraussetzungen, die kleinere Unternehmen und Einzelhändler erfüllen müssen, um an das Geld zu kommen. Denn vor allem der Handel, der eine wichtige Stütze für die Versorgung ist, sei von der Pandemie am heftigsten betroffen.

Mit dem Rücken zur Wand

Die Einzelhändler stünden auch ohne Pandemie mit dem Rücken zur Wand, so Schmid, und müssten zuerst das gesamte Geschäftsvermögen und ihre privaten Mittel aufbrauchen, um überhaupt finanzielle Hilfe zu bekommen. „Ich habe die große Sorge, dass viele Händler dieses schwierige Zeit nicht durchstehen werden“, sagt der Geislinger Bürgermeister.

„Die nächste Katastrophe ist, wenn der Handel in den Innenstädten zusammenbricht“, führt er weiter aus. „Wenn angekündigt wird, dass alle etwas bekommen, sollten auch alle etwas bekommen.“

Aktuelle Zahlen von der IHK Reutlingen

Fast 40 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass sie Personal abbauen müssen. Das zeigt eine Blitzumfrage der IHK Reutlingen. An der Befragung haben sich 235 Firmen aus den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalbl beteiligt.

Knapp ein Drittel der Unternehmen erwartet für das Jahr 2020 einen Umsatzrückgang von mehr als 50 Prozent. Ein Minus zwischen 25 und 50 Prozent befürchten 31 Prozent der Unternehmen. 56 Prozent der Firmen vermelden einen akuten Liquiditätsengpass, 23 Prozent geben an, dass ihrem Unternehmen eine Insolvenz droht.

Kurzzeitige Stütze

Die Corona-Soforthilfe kann in vielen Fällen die Situation für den Moment sicher stabilisieren. Die Krise wird die regionale Wirtschaftsstruktur jedoch dauerhaft schädigen, wenn die Einschränkungen länger andauern. Diese Aussage trifft IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Epp.

Laut Firmenantworten hat die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen spürbar abgenommen. Das sagen 73 Prozent. Bei 58 Prozent wurden Aufträge storniert. Knapp über die Hälfte der Unternehmen melden einen kompletten oder überwiegenden Stillstand der geschäftlichen Tätigkeit. Ausfälle durch fehlende Mitarbeiter geben 18 Prozent an.

Über die Hälfte nutzt Kurzarbeit

Für 81 Prozent der regionalen Unternehmen haben Soforthilfe-Zuschüsse derzeit die höchste Relevanz. 62 Prozent sehen eine Unterstützung durch Steuerstundungen und die Herabsetzung von Vorauszahlungen als besonders wichtig an. Mehr als die Hälfte der Unternehmen nutzen die Möglichkeit von Kurzarbeit.

Etwa 82 Prozent der lokalen Umfrage-Beteiligten sind Unternehmen mit bis zu 19 Beschäftigten, 15 Prozent haben 20 bis 199 Beschäftigte. Der Rest liegt über 200 Beschäftigte. Knapp die Hälfte der teilnehmenden Betriebe sind in der Dienstleistungsbranche zu Hause, 23 Prozent im Groß- und Einzelhandel, elf Prozent in der Industrie und sechs Prozent im Baugewerbe.

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