Zollernalbkreis

Der Grüne Johannes Kretschmann will im schwarzen Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen die Sensation

15.09.2021

Von Rosalinde Conzelmann

Der Grüne Johannes Kretschmann will im schwarzen Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen die Sensation

© Volker Bitzer

Der Bundestagskandidat der Grünen, Johannes Kretschmann, bewegt sich am liebsten mit dem Fahrrad fort. Danach kommt der Zug.

Ein Grüner mit bekanntem Namen hat sich aufgemacht, im CDU-Stammland sein politisches Glück zu suchen. Am 26. September wird sich zeigen, ob dieses „Märchen“ gut ausgehen wird. Johannes F. Kretschmann, kurz „JFK“, will für den Wahlkreis 295 in den Bundestag und die CDU von ihrem Thron stürzen. „Ich habe meinen eigenen Kopf – auch meinem Vater gegenüber“, betont der Sohn des Ministerpräsidenten beim Gespräch in der ZAK-Redaktion.

Sein Markenzeichen ist die schwarze Baskenmütze. Die trägt er auch, als er zum ZAK-Interview ins Verlagshaus kommt. Der Bändel mit dem silbernen Edelweiß fehlt, dafür ist am gestreiften Hemd der obere Knopf lässig offen. Im Gespräch gibt sich der 43-Jährige locker, aber auch konzentriert und bittet um eine zweite Tasse schwarzen Kaffee.

Der Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen ist tiefschwarz, seit 1949 gewinnt hier die CDU die Bundestagswahlen. Es könnte dieses Mal sein, dass ein Grüner dem CDU-Kandidaten Thomas Bareiß gefährlich wird und womöglich zum ersten Mal ein Grüner in diesem Wahlkreis als Sieger durchs Ziel geht. Dann wäre die Sensation perfekt.

Er steht zu seinem Dialekt

Dieser Grüne ist ein Schwabe, der zu seinem Dialekt steht und zudem Sprachen liebt. Johannes Kretschmann ist Linguist, geprüfter Dialektologe. Er spricht außer seiner Muttersprache noch Rumänisch. Nach seinem Abitur am Hohenzollerngymnasium in Sigmaringen mit den Leistungsfächern Altgriechisch und Deutsch hat er an der Freien Universität und der Humboldt-Universität in Berlin Religionswissenschaft, Rumänistik und Linguistik studiert und als Magister abgeschlossen. Er ließ sich Zeit dafür. Über zehn Jahre.

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Ich bekomme sicherlich unverdient mehr Aufmerksamkeit , weil ich der Sohn des Ministerpräsidenten (MP) bin, aber es schafft auch Argwohn in der eigenen Partei. Johannes F. Kretschmann zum Einfluss seines Vaters

Annalena steht für Veränderung, und das ist entscheidend. Johannes F. Kretschmann zur Kanzlerkandidatin der Grünen

In Berlin tritt er 1999 auch offiziell in die Partei ein. Ihr zugehörig aber fühlt er sich schon lange davor, sagt er und erzählt von seinem Schlüsselerlebnis, der Reaktorexplosion in Tschernobyl. Da ist er sieben Jahre alt und lebt mit seiner Familie seit einem Jahr in Laiz an der Donau. Mit 16 reaktiviert er in Sigmaringen eine eingeschlafene grün-alternative Jugendgruppe. „Ich war schon immer ein politischer Mensch“, betont er mit Nachdruck.

Seit zehn Jahren wieder in Laiz

In seiner Studienzeit gründet er 2002 die Zentralkapelle Berlin mit. Denn „JFK“ liebt die Musik, hat 1992 beim Musikverein Laiz erst Flügelhorn, dann Waldhorn gespielt. Vor zehn Jahren kehrt der Schwabe Berlin den Rücken und lebt seither im Ort seiner Kindheit in einer Mietwohnung – nur einen Katzensprung von seinen Eltern Gerlinde und Winfried entfernt. Er arbeitet als Online-Redakteur für das Schweizer Nachrichtenportal Bluewin; die Politik nimmt wieder mehr Raum ein.

Eher unverhofft, wie er sagt, wird er 2014 in den Sigmaringer Kreistag gewählt. Er bekommt im ersten Anlauf 1658 Stimmen, wird 2019 Fraktionsvorsitzender und Sprecher. Das Ehrenamt macht ihm Freude. „Es hat mir gezeigt, dass mein politisches Engagement einen Wert hat“, meint er. Vergangenes Jahr hat die auf acht Mitglieder angewachsene Grünen-Fraktion fünf Anträge im Sigmaringer Kreistag durchgebracht, erzählt er stolz.

Nominierung war ein heißer Ritt

An seine Nominierung zum Bundestagskandidaten für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen am 6. Juli 2020 erinnert sich der 43-Jährige noch gut: „Es war nervenaufreibend; ein heißer Ritt.“ Von den 110 Wahlberechtigten haben ihm 64 ihre Stimme gegeben; 43 votierten für den Gegenkandidaten Thomas Zawalski, drei enthielten sich. „Die Erleichterung war groß, eine Niederlage hätte ich nicht leicht weggesteckt“, bekennt er ganz offen.

Unverdient mehr Aufmerksamkeit

Reitet er auf der Kretschmann-Welle? Welche Rolle spielt die Popularität seines Vaters in der eigenen politischen Karriere? Natürlich kommen diese Fragen. Der Junior lacht: „Vieles ist Quatsch.“ Schließlich könne er für seine Herkunft nichts. Er wird wieder ernst, denkt kurz nach und sagt dann, dass er sicherlich unverdient mehr Aufmerksamkeit kriegt, weil er der Sohn des Ministerpräsidenten (MP) ist. „Aber es schafft auch Argwohn in der eigenen Partei“, nennt er die Kehrseite der Medaille. Deshalb müsse er vielleicht mehr zeigen als andere. „Es lastet schon ein politischer Druck auf mir“, beschreibt er das Gefühl, das er manchmal hat. Oft werde er auch für die Politik des MP in Haftung genommen.

Der Junior will sich abgrenzen

Sein Vater habe sich gefreut, als er von seiner Kandidatur erfahren habe. Nachdem er sich gesorgt hat, weil der Junior so lange studiert hat. Und damit aus der Familie schlägt, meint er mit einen offenen Lachen. Johannes Kretschmann will sich abgrenzen von der Politik seines Vaters, bei dem er als Schüler Ethik-Unterricht hatte. „Mein Vater war immer Landespolitiker, ich bin jetzt Kommunalpolitiker und strebe die Bundespolitik an, das ist eine ganz andere Hausnummer“, stellt er klar.

Weltoffen und verwurzelt in der Region

Der Linguist und Osteuropa-Kenner ist überzeugt, dass er im Falle seiner Wahl in den Bundestag dem Druck standhalten wird: „Ich scheue Konflikte nicht.“ Aber er sagt auch, dass man Prioritäten setzen muss und nicht für die Lösung aller Probleme kämpfen kann. „Es ist Aufgabe der Politik, Meinungen und Konflikte zu bündeln“, ist seine These. Er ist überzeugt, dass er gute Voraussetzungen für das politische Amt mit sich bringt: „Ich bin hier verwurzelt und integriert und pflege den Kontakt zu den Menschen.“ Zudem kenne er durch sein Studium und seinen Aufenthalt in Rumänien auch ein anderes Leben. Er wählt das Wort weltoffen.

Politik muss vermitteln

Die Themen in seinem Wahlkreis sind nicht konfliktfrei. Beispielsweise der Streit um die Süderweiterung des Plettenbergs und die Abgasdiskussion mit Holcim. „Die Rahmenbedingungen sind teilweise falsch“, meint der Politiker. Beide Seiten müssten Rechtssicherheit haben. Die Politik müsse die Rolle des Vermittlers einnehmen. Dafür ist die Elektrifizierung der Zollernalb ein Thema ohne Gräben, während Kretschmann bei der Ortsumfahrung Lautlingen ehrlich ist: „In diesem Fall gibt es keine Lösung ohne einen Verlierer und sei es nur die Natur.“ Als sein bislang schönstes Thema nennt er die Reaktivierung der stillgelegten Bahnlinie in Sigmaringen. „Das war Gänsehaut pur.“

Direktmandat rückt in greifbare Nähe

Nachdem sein Parteikollege Dr. Danyal Bayaz Finanzminister im Land geworden ist, rückt Johannes Kretschmann vom 22. auf den 21. Platz der grünen Landesliste. Das war im April. Inzwischen rückt sogar das Direktmandant in greifbare Nähe. „Seit 1949 war der Wahlkreis eine gemähtes Wiesle für die CDU“, merkt er nachnachdenklich an. Dass er das ändern könnte, wäre denkbar, meint er selbstbewusst. Dass er überhaupt so weit gekommen sei, habe er dem Spitzen-Duo seiner Partei, Annalena Baerbock und Robert Habeck, zu verdanken. Den Gegenwind, der der Kanzlerkandidatin der Grünen derzeit entgegenschlägt, hält Kretschmann nicht für alarmierend: „Das ist ein laues Lüftchen, wenn ich an die Zeit des Kosovokonflikts denke.“ Sein Statement: „Annalena steht für Veränderung, und das ist entscheidend.“

Dem Gewissen verpflichtet

Das Parteiprogramm ist Richtschnur für den 43-Jährigen. Nicht mehr. „Ich bin auf der Linie des Grundgesetzes und damit meinem Gewissen und nicht dem Parteiprogramm verpflichtet“, stellt er klar und verrät auf Nachfrage noch seinen zweiten Vornamen: Friedrich. Nach seinem Großvater väterlicherseits. Im Übrigen kürze er sich seit dem 14. Lebensjahr mit den drei Buchstaben „JFK“ ab. Wie geht es Gerlinde Kretschmann? Auf diese private Frage am Ende des Gesprächs antwortet er offen und erleichtert: „Meiner Mutter geht es gut. Sie sprüht vor Lebensfreude.“ Sie sei halt mental sehr stark und neige nicht zum Selbstmitleid, meint er voller Bewunderung.

„Klima schützen, Europa stärken, Wohlstand sichern“ – das sind die Leitsätze, die auf Kretschmanns Wahlprospekt stehen. Dafür möchte er einstehen im Falle seiner Wahl, die den Landmenschen wieder ins städtische Berlin führen würde.

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