Balingen

Der Glaube als Anker: Vier „Menschen von hier“ gewähren ihren Gästen persönliche Einblicke

08.07.2021

Von Nicole Leukhardt

Der Glaube als Anker: Vier „Menschen von hier“ gewähren ihren Gästen persönliche Einblicke

© Jasmin Alber

Hans-Joachim Fogl, Lea Irion, Pauline Menge und Sara Stäbler gaben am Mittwochabend sehr persönliche Einblicke in ihre Glaubenswelten.

Welchen Einfluss hat Glauben auf das tägliche Leben? Geht es ohne? Gibt es bei Glaubensfragen richtig und falsch? Und wie sehr prägt das Bild von der Institution Kirche den persönlichen Bezug zum Glauben? Spannende Fragen, auf die vier „Menschen von hier“ auf Einladung des katholischen Dekanats Balingen und der Erwachsenenbildung am Mittwoch in der Frommerner Sankt-Paulus-Kirche nicht minder spannende Antworten gaben.

Die Runde war bunt gemischt: Pfarrer Hans-Joachim Fogl, der die Seelsorgeeinheit Talgang betreut, hatte sich als einziger Mann aufs Podium gewagt, an seiner Seite saßen die Balinger Pfarrerin Sara Stäbler, die Studentin und Kirchengemeinderätin Pauline Menge und ZAK-Volontärin Lea Irion.

„Eine junge Runde, die auch junges Publikum anlockt“, wie Dekanatsreferent Achim Wicker gleich zu Beginn mit Blick in die gut gefüllte Frommerner Kirche feststellte. Keine Selbstverständlichkeit, „Sie hätten ja auch Fußball schauen können“, fügte er schmunzelnd an.

Persönliche Einblicke in den eigenen Glauben

Keine Selbstverständlichkeit sei auch die Zusage der vier Protagonisten des Abends: „Es gehört Mut dazu, über seinen Glauben zu sprechen“, betonte Wicker, der den Zuhörern gemeinsam mit Monika Blocher, Leitern der katholischen Erwachsenenbildung, mit klugen Fragen oft überraschende und sehr persönliche Einblicke in die Vielfalt des Glaubens verschaffte.

So unterschiedlich die Runde auf dem Podium zu Beginn auch schien, eines einte sie allemal: Die Coronakrise hat ihre Spuren hinterlassen, bei jedem andere, aber bei jedem markante. „Vieles ist heute nicht mehr selbtverständlich für mich“, begann Pauline Menge zu erzählen. Das zwangsweise Innehalten, die fehlenden Kirchenbesuche, gemeinsamen Gebete und Gesänge – „als ich das wieder erleben durfte, wusste ich es viel intensiver zu schätzen“, beschrieb sie. Und doch habe sie auch während der Lockdown-Zeit ihren Glauben ganz praktisch gelebt: „Mit Einkäufen für Risikopatienten, mit Rücksichtnahme durch Masken und Abstand – die Nächstenliebe war sehr präsent und so sollte Glauben auch sein.“

„Glaube ist existenzrelevant“

Als Pfarrerin habe sich Sara Stäbler im Lockdown, kurz nach ihrem Umzug von Thüringen nach Balingen, mit der Frage konfrontiert gesehen, ob Glaube überhaupt systemrelevant ist. „Wir waren plötzlich ausgeklammert“, beschrieb sie im Rückblick den Eindruck. Ihre persönliche Antwort auf die Frage? „Glaube ist existenzrelevant. Und wir haben neue Formen entwickelt, Mutmach-Briefe verschickt, uns angerufen. Die Botschaft hat sich trotz allem Bahn gebrochen.“

Der Glaube als Anker: Vier „Menschen von hier“ gewähren ihren Gästen persönliche Einblicke

© Jasmin Alber

Hans-Joachim Fogl, Seelsorgeeinheit Talgang

Einen Umzug hatte auch Pfarrer Hans-Joachim Fogl kurz vor dem Lockdown hinter sich, er war davor lange in Asien tätig. „Dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass vieles nicht selbstverständlich ist. Die tägliche Schale Reis auf dem Tisch ebensowenig wie eine Arbeit, eine Krankenversicherung oder die Tatsache, einen der besten Pässe der Welt in der Hand zu halten“, so sein Fazit. Der Lockdown habe ihn völlig ausgebremst und ihm Zeit mit seiner Mutter geschenkt. „Es waren Exerzitien, es war eine gute Zeit.“

Glauben als Anker

Nicht immer eine gute, aber eine intensive Zeit war die Corona-Krise für ZAK-Volontärin Lea Irion: „Glaube war für mich keine Selbstverständlichkeit, zu Beginn war ich dem Atheismus sogar näher“, erinnerte sie sich. Doch die Krise bewegte etwas in der jungen Frau, „das tägliche, berufsbedingte Konfrontiertsein mit Corona, mit steigenden Infektionszahlen, mit Leid und Tod hat mir bewusst gemacht, wie schwer es ohne Glauben ist, motiviert zu bleiben und die Hoffnung nicht zu verlieren“, beschrieb sie eindrücklich. „Mir hat ein Anker in Form von Glauben gefehlt.“

Der Glaube als Anker: Vier „Menschen von hier“ gewähren ihren Gästen persönliche Einblicke

© Jasmin Alber

ZAK-Volontärin Lea Irion

Grund für das Hadern mit der Kirche sei durchaus das oft kritische Bild der Institution Kirche gewesen, erklärte sie. „Die Altlasten der Kirche haben an meinem Glauben genagt.“ Zwar sei sie katholisch aufgewachsen, fühlte sich von der Kirche aufgrund ihrer Homosexualität jedoch unverstanden, abgelehnt sogar. „Und wer Negatives sucht, wird auch Negatives finden.“ Im Laufe der Zeit jedoch kam ein Umdenken. „Es gibt auch in der Kirche Menschen, die offene Arme haben, es ist nicht alles schlecht. Ich habe mich auf den Weg gemacht, einen für mich akzeptablen Glauben zu finden“, beschrieb sie. Ein langer und steiniger Weg, der noch lange nicht zu Ende sei, wie sie ergänzt. Die Hoffnung, dass die Kirche ihr dabei auch ein Stück entgegenkomme, sei jedenfalls da.

Weniger fragen, mehr machen?

„Teil des Systems“ zu sein und gleichzeitig auch die oft berechtigte Kritik an der Kirche zu hören – auch für Pfarrer Fogl nicht einfach. „Es ist oft schwer, aber ich bin am Ende sehr gebunden an diese Kirche, in der mir auch einiges gut passt“, so sein ganz persönliches Fazit. Die Kirche müsse für sich ergründen, „warum der Glaube abstirbt, warum es so viele Kirchenaustritte gibt“, so Fogl. Ein Symptom, das es in Asien nicht gebe. „Aber dort guckt man einfach, was die Menschen brauchen und dann wird‘s gemacht“, erklärte er schmunzelnd. „Ein Pfarrer vor Ort sagte mir, ihr Deutschen wollt immer alles perfekt regeln. Frag lieber nicht so viel und mach doch einfach.“

Der Glaube als Anker: Vier „Menschen von hier“ gewähren ihren Gästen persönliche Einblicke

© Jasmin Alber

Pauline Menge, Studentin und Kirchengemeinderätin

Auch Pauline Menge ließ durchblicken, dass in ihrem Alltag „machen“ oft der richtige Ansatz ist. „Nicht alles, was in der Kirche schief läuft, muss ich gut finden, nur weil ich gläubig und aktiv im Kirchengemeinderat tätig bin“, sagte sie. Das oft sehr konservative Bild von Kirche lasse sich in Gesprächen oft geraderücken und wenn diese in der Studenten-WG nachts bei einem Teller Spaghetti stattfänden, dann sei das eben auch ein Weg, den Glauben in den Alltag zu rücken.

Es gibt in Glaubensfragen nicht nur schwarz oder weiß

Pauschalen Vorwürfen gegen „die Kirche“ könne man nur mit gelebtem Glauben begegnen, fand auch Sara Stäbler. „Es ist viel Mist passiert, aber wir sind kein eingeschworener Haufen, der nicht kritikfähig ist“, betonte sie. Denn Kritik am Glauben haben sie alle schon erlebt, das wurde in der dritten Fragerunde deutlich. „Wenn ich zurückschaue, ist mein Glauben eine Art Herzschlagkurve, mal rauf, mal runter, aber nie eine Gerade“, resümierte Sara Stäbler. Ähnlich beschrieb es Lea Irion: „Ich höre zwar nicht auf, zu zweifeln, ob ich richtig glaube, aber seit ich mich dem Glauben wieder öffne, bin ich ausgeglichener, viel dankbarer und es ist so viel schöner und besser als ohne“, beschrieb sie ihre Erfahrung. Und womöglich sei es im Glauben wie in der Liebe: „Es gibt nicht nur schwarz und weiß.“

Im Glauben und auf dem Lebensweg zu stolpern, das kennt auch Hans-Joachim Fogl. Und sieht es sehr pragmatisch: „Nur wer mal hinfällt, kann auch auferstehen erleben. Wäre ich nicht oft gestolpert, wäre ich heute nicht der, der ich bin.“ Und auch für Pauline Menge ist Glauben „ein ständiges Hinterfragen. Mein Glaube wird sich immer wieder verändern und das mag ich auch daran.“

Glauben im Gespräch halten

Dieses Hinterfragen dann auch mit anderen zu teilen, „das ist gar nicht so einfach“, erklärte auch Achim Wicker. Dennoch sei es hilfreich, den Austausch über solche Fragen im Freundeskreis anzuregen. „Man macht sich damit sehr verletzbar und angreifbar, aber es ist mir ein Anliegen, darüber zu sprechen, ganz ohne Urteil. Wer bin ich, jemandem zu sagen, was richtiger Glaube ist?“, sagte Lea Irion. „Sich um andere zu kümmern, ins Gespräch zu kommen, ist mir wichtig“, sagte auch Pauline Menge.

Der Glaube als Anker: Vier „Menschen von hier“ gewähren ihren Gästen persönliche Einblicke

© Jasmin Alber

Sara Stäbler, Pfarrerin in Balingen

Alle drei Frauen berichten, dass es sogar unter Gläubigen eine Art Stigmatisierung gebe. „Wenn mir von anderen der Glaube abgesprochen wird, nur weil ich ihre Denkweise nicht teile, ist das verletzend“, fasste Sara Stäbler zusammen. Denn grunsätzlich gelte für alle Religionen doch der Leitsatz, „Was du nicht willst, das man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu“, fasste Hans-Joachim Fogl zusammen. „Glaube ist Vielfalt und kann so zum Frieden beitragen.“

Ein Schlusswort, dem auch Achim Wicker und Monika Blocher nichts mehr hinzufügen wollten, außer ein herzliches Dankeschön an die offene Gesprächsrunde und an Musikant Tobias Conzelmann, der die Fragerunde einfühlsam und virtuos musikalisch untermalt hatte.

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