Der Dialog ist wichtig: Stadtführung durch die unbekannte jüdische Geschichte Ebingens

Von Johannes Raab

Sie sind noch wenig bekannt und auch noch nicht hinreichend genug erforscht, die jüdischen Spuren in Ebingen. Doch das soll sich ändern, wie Dorothee Reuter, Leiterin des Städtischen Archivs während eines Spaziergangs durch die Ebinger Innenstadt jüngst versicherte.

Der Dialog ist wichtig: Stadtführung durch die unbekannte jüdische Geschichte Ebingens

Archivarin Dorothea Reuter (rechts vorne) informierte über die jüdische Geschichte Ebingens.

Das Interesse in der Bevölkerung für das Thema ist vorhanden, das bewiesen mehr als 40 Personen, die sich am vergangenen Mittwoch trotz großer Hitze unter der Leitung der versierten Kennerin der Albstädter Geschichte zu den wenigen bekannten Stellen aufmachten um zu sehen, wo sich einst jüdisches Leben abspielte.

Es gab keine jüdische Gemeinde

Wobei von Alltäglichem wenig bis gar nichts bekannt ist, von den Sorgen, Nöten oder auch Freuden einfacher jüdischer Mitmenschen, denn es ist gesichert, dass es keine jüdische Gemeinde und wenige jüdische Einwohner in Ebingen gab. Gleichwohl gab es zu jüdischen Händlern, in Ebingen selbst hatten sich einige ortsansässige Verleger und Händler etabliert.Handelsbeziehungen

An der Stelle des Rathauses gab es einst ein Kaufhaus

Beim Eintreffen am Treffpunkt am Marktbrunnen ahnten die meisten der gespannten Mitspaziergänger noch nicht, dass sich an der Stelle des benachbarten Rathauses ursprünglich ein jüdisches Warenhaus befand und letztendlich im Jahre 1911 einem großen Brand zum Opfer fiel.

Bürgerausschuss wollte „keine Juden im Ort haben“

Ein gewisser Samuel Kahn hatte im gleichnamigen Kaufhaus seine Waren vertrieben, gegründet wurde es allerdings bereits im Jahre 1857 von Salomon Ries, einem jüdischen Weber, dem der Bürgerausschuss zunächst das Bürgerrecht verweigern wollte, weil „er (der Bürgerausschuss) keine Juden im Ort haben will.“

Mehrmals wechselten die Besitzer, doch waren es meist jüdische Händler, darunter mit den Geschwistern Mathilde und Johanna Dahlberg auch zwei Frauen, die vor den Kahns die Bevölkerung mit Waren des alltäglichen Bedarfs versorgten.

Schuhverkäufer flüchtete nach Haifa

Gleich gegenüber in der Marktstraße 18 betrieb Adolf Grünberg ein zuvor im heutigen Landgraben ansässiges Schuhgeschäft, das er 1933 an zwei arische Verkäuferinnen verkaufte und der dann mit seiner Familie nach Haifa flüchtete. Unter der beginnenden Naziherrschaft hatte er die drohende Gefahr für die jüdischen Menschen erkannt, zumal es in Ebingen selbst zwar keine Judenverfolgung gab, doch waren antijüdische Plakate zunehmend sichtbar und wurden offen bei Kundgebungen und vor den Läden hochgehalten.

Vor dem Kaufhaus riefen SA-Männer Parolen

So geschehen auch vor dem Kaufhaus Wohlwert im Schmeiengässle 1 und dem Kaufhaus Kadep in der Gartenstraße 13, als sich 1933 SA-Männer vor den Gebäuden postierten und „Deutsche kauft nicht bei Juden“ skandierten. Spätestens 1938 nach der Reichspogromnacht wurden die jüdischen Geschäfte in Ebingen aufgegeben oder arisiert.

Im Kino-Palast in der Gartenstraße betrieb das Ehepaar Alfred und Julie Dreher ab 1928 das „Schönste Provinz-Theater Württembergs“. Als Julie Sichel hatte die Frau mit jüdischen Wurzeln bereits 1917 das Ebinger Lichtspiel Theater (ELT) betrieben, später mit ihrem Mann die Kammer-Lichtspiele.

Ehefrau wurde vor nationalsozialistischem Zugriff bewahrt

Mit Geschick und Glück konnte Alfred Dreher als so genannter Arier seine zum katholischen Glauben übergetretene Frau und seine beiden Söhne vor dem nationalsozialistischen Zugriff bewahren.

Rundgang im Rahmen der Toratage

Stattgefunden hatte der Rundgang im Rahmen der Toratage, die von der evangelischen Landeskirche und dem Denkendorfer Kreis für christlich-jüdische Begegnung durchgeführt werden und dem Dialog zwischen Juden und Christen dienen.

Pfarrer Walter Seiler war federführend

Federführend bei der Durchführung war Pfarrer Walther Seiler von der evangelisch-methodistischen Gemeinde in Ebingen, der im Gemeindehaus Spitalhof eine abschließende Gesprächsrunde leitete.

Gäste vom Denkendorfer Kreis

Er hatte schon zuvor einige besonders erwähnenswerte Teilnehmer am Stadtrundgang begrüßt, die nun ihre Sichtweise des jüdisch-christlichen Miteinanders darlegten. Allen voran Shlomo Meir vom Denkendorfer Kreis und seine Ehefrau Sara.

Skepsis gegenüber Deutschland

Der in Basel lebende Meir ist nach vielen Jahrzehnten immer noch skeptisch gegenüber Deutschland, doch wäre es seiner Meinung nach eine Sünde, die dargebotene Hand nicht zu nehmen, so erlebte er in den vergangenen 30 Jahren hochmotivierte Christen, mit denen es sich lohne, die Bibel zu lesen.

Den Blick durch Kommunikation weiten

Mit Dr. Michael Blume war der Antisemitismus Beauftragte der Landesregierung von Baden-Württemberg gekommen. Er erinnerte an den Ansatz der Torawoche: „Man redet nicht über, sondern mit“, wobei dadurch der Blick geweitet werde. Dabei dürfe die Geschichte nicht vergessen werden, aber auch die positiven Aspekte, und gerade die, müssten Beachtung finden.

Es ist wichtig das Regionale hervor zu heben

Mit ihm wiesen auch Wolfgang Rödel und Dorothee Reuter darauf hin, dass es enorm wichtig sei, die Regionalität hervorzuheben, denn die jüdische Geschichte habe ja nicht 1933 angefangen und habe 1945 aufgehört. Die Stadtarchivarin möchte schon alleine deshalb ihre Nachforschungen vorantreiben, denn es sei wichtig, die Geschehnisse nicht ins Irgendwo zu verschieben, sondern sagen zu können: „Oh, das war ja hier, an einem Platz, über den ich so oft gehe.“

Blume hakte hier ein und bedauerte den Rückgang der Regionalpresse, durch das Überhandnehmen weitgehend anonymer Medien entstünde der Eindruck, da seien ja fremde Mächte am Werk.

Kontakte werden mit Hilfe der Wissenschaft geknüpft

Dekan Prof.Holger Morgenstern bekräftigte den Willen, auf wissenschaftlicher Ebene Kontakte knüpfen zu wollen, etwa über eine Partnerschaft mit der Universität Tel Aviv. Unisono stellten alle Gesprächsteilnehmer eine zunehmende Aggressionsbereitschaft und antisemitische Haltungen fest, weniger allerdings in Baden-Württemberg und schon gar nicht in Albstadt.

Doch ,man müsse wachsam sein, aber auch darauf bauen, dass ein friedliches Miteinander über einen nicht endenden Dialog möglich sei.