Das Spiel mit dem Ungewöhnlichen: die Impressionen vom FotoSlam in der Balinger Zehntscheuer

Von Daniel Seeburger

Der erste Balinger FotoSlam zog am Freitagabend mehr Besucher an als erwartet. Die elf Fotografien zeugten von großen handwerklichen Fähigkeiten. Ein Foto regte ganz besonders zum Nachdenken an.

Das Spiel mit dem Ungewöhnlichen: die Impressionen vom FotoSlam in der Balinger Zehntscheuer

Das Publikumsinteresse in der Balinger Zehntscheuer war immens.

Das letzte Foto beim ersten Balinger FotoSlam, der am Freitagabend im Rahmen der World-Press Photo-Ausstellung in der Zehntscheuer stattgefunden hat, war das Beklemmendeste. Dr. Karl Kleinbach war nicht der Fotograf, er konnte auch nicht die Idee beschreiben, die hinter diesem Bild stand, er durfte nicht einmal verraten, wer es aufgenommen hatte. Vor einiger Zeit habe er eine Anzahl von Fotos bekommen, habe aber versprechen müssen, dass er über den Fotografen schweige, erzählte Kleinbach.

Beklemmende Aufnahme: Zwangsarbeiter beim Aufbau der Schwelhalle

Das Foto zeigt sechs Zwangsarbeiter, die Ende des Zweiten Weltkriegs beim Aufbau der Schwelhalle in Frommern zur Arbeit gezwungen wurden. Es zeige den Aufbau genau jener Mauer, die im Rahmen der Revolte-Austellung von dem Graffiti-Künstler Won ABC mit einem Drachen besprüht worden sei. Und das, so Kleinbach, „rein dekorativ und unpolitisch.“

Unter den besten drei Fotos landete das von Kleinbach eingereichte nicht, vielleicht auch deshalb, weil die ursprünglich für die Schwelhalle vorgesehene Veranstaltung kurzfristig in die Zehntscheuer verlegt worden war und so die unmittelbare Wirkung, die von dem Foto ausgeht, fehlte.

Mal nachdenklich, mal lustig

Doch auch die anderen Beiträge hatten Ausstrahlung, waren mal nachdenklich, mal lustig. Das Spiel mit dem Ungewöhnlichen beispielsweise, das Elmar Frey mit seinem Karottenbild meisterlich beherrscht. Vier Möhren, die eine Karotte mit zwei Zipfeln in ihre Mitte genommen hatten, sorgten beim Publikum für Erheiterung. „Die Welt der Möhren hat mich bewegt“, erläuterte Frey seine Motivation. Am Schluss gab‘s den dritten Platz für ihn.

Zollernschloss mit Sternenhimmel

Den zweiten Platz sprach das Publikum Martina Grass zu. Sie fotografierte nachts das Balinger Zollernschloss mit zweistündiger Belichtungszeit und brachte damit die Sterne in Bewegung. „Die Welt ist eine Kugel und bewegt sich – und Balingen ist ihr Mittelpunkt“, so die Botschaft der Fotografin.

Wie intensiv eine Fotografie eine ganze Geschichte erzählen kann, demonstrierte Julia Hafenscher mit ihrem Beitrag. Bei einer Reise nach Nepal kam sie in einem kleinen Dorf bei einer Frau unter. Aus den geplanten zwei Tagen Aufenthalt wurden fünf. Sie und ihr Begleiter seien als Freunde aufgenommen worden. Hafenscher erzählte von der Dorfgemeinschaft, von einer alten Schnupftabakoma und den beiden kleinen Kindern, die die Fotografin schließlich beim unbeschwerten Spiel fotografierte. Julia Hafenscher gelang es, innerhalb von vier Minuten eine spannende Geschichte zu erzählen, aus der man auch einen Roman hätte schreiben könne. Dafür erhielt sie den ersten Platz.

Zusätzliche Stühle

„welt_bewegend“ war das Motto des ersten FotoSlam. Vor Beginn der Veranstaltung bewegte sich aber noch nicht die Welt, dafür die Zehntscheuer-Mitarbeiter. Denn sie schleppten zusätzliche Stühle für die über hundert Besucher an. Mit einem solch großen Publikumsinteresse hatte man offensichtlich nicht gerechnet.

Rostende Rollstühle und Karettschildkröte

Die acht Viertplatzierten zeigten in ihren Beiträgen große Fotokunst. Martina Lehmann beispielsweise, die in ihrer Schwarzweiß-Aufnahme rostende Rollstühle fotografierte, die sie vor einem alten Haus gefunden hatte.

Oder Reinhold Rasp, der bei einem Tauchgang im Roten Meer eine Karett-Schildkröte ablichtete, die sich in einer Schnur verheddert hatte.

Salto mit Handy

Mit ihrem Handy nahm Andrea Lork ihre Salto springende Tochter an einem korsischen Strand auf. „Bleibt beweglich, bleibt niemals stehen“, so ihre Botschaft.

„Musik fördert Eskalation“, erklärte Marc Gaßner, der ein Foto voller Bewegung bei einem Konzert von Mark Forster in Rottenburg geschossen hatte.

Walter Bleibel präsentierte mit einem Spartphone-Foto den perfekten Blick aus dem Tunnel ins Licht und erzählte dazu die „bewegte Geschichte eines statischen Bildes“.

Ältester Teilnehmer

Der über 90-jährige Ernst Münster beschrieb den Sonnenaufgang (oder war es ein Sonnenuntergang – der Fotograf ließ beide Möglichkeiten zu) auf seinem Bild in Reimform. „Ich bin ein alter Dichter“, meinte er schmunzelnd.

Das Schwarzweiß-Foto von Berhard Jung, der sich mit Wasser auseinander gesetzt hat, interpretierte Boris Retzlaff. „Das Wasser ist der wahre Weltbeweger“, führte er aus, „wir sind so schöpferisch wie Wasser“. „Das Wasser“, so sein philosophischer Merksatz, „mag dem Stein seine Form geben, aber nie sein Wesen.“

Die Schöpfer der Fotografien

Man wolle nicht nur die Fotografien, sondern auch deren Schöpfer vorstellen, umriss Moderator Nik Salsflausen zu Beginn des FotoSlam das Vorhaben. Das ist gelungen. Die Besucher hatten Spaß, wurden zum Nachdenken angeregt und staunten über die handwerklichen Fähigkeiten der Fotografen und deren Intentionen beim Fotografieren.

Der ZOLLERN-ALB-KURIER, Hauptsponsor der World-Press-Photo-Ausstellung, hat die Veranstaltung live ins Netz gestreamt: die Auftritte der Fotografen in voller Länge.