Balingen

„Das Alien steht für Liebe“: Künstler spricht über vermeintliches Nazi-Graffito an der B27

17.04.2020

Von Pascal Tonnemacher

„Das Alien steht für Liebe“: Künstler spricht über vermeintliches Nazi-Graffito an der B27

© Privat

Nach der Korrektur: Der Künstler posiert vor seiner Malerei.

SS-Runen oder einfach nur Lichtreflexionen? Ein an eine Lärmschutzwand bei Engstlatt gesprühtes Alien mit Sonnenbrille hatte Diskussionen um das vermeintliche Nazi-Motiv ausgelöst. Im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER zeigt sich der Künstler Galakt kritikfähig im Zusammenhang mit dem Bild und spricht über die illegalen und oft kritisierten Seiten seines Hobbys – und was er sich bei der Gestaltung der Umgebung wünschen würde.

SS-Runen in einem grünschleimigen Nazi-Alien an einer Lärmschutzwand auf Höhe Engstlatt, meldet ein ZAK-Leser im Februar. Und ist sicher: Der Dreck muss weg.

Wie unsere Recherchen bestätigen, zeichnet Graffitikünstler Galakt verantwortlich für das grüne Alien nebst großem Namensschriftzug. Er ist Teil der Graffitigruppe RFG, die nach seinen Angaben ungefähr 40 bis 50 Mitglieder hat.

„Das Alien steht für Liebe“: Künstler spricht über vermeintliches Nazi-Graffito an der B27

© Pascal Tonnemacher

Galakt ist Teil der 40- bis 50-köpfigen Graffitigruppe RFG. Im Weltraum- und Alienkontext kann das Akronym Raumfahrtgruppe bedeuten. Das Graffito ist an einer Lärmschutzwand viele Meter von dem kritisierten Aliengraffito entfernt angebracht.

Einige seiner Werke sind illegal entstanden, der Künstler in diesem Zusammenhang ohne Vermummung naturgemäß kamera- und öffentlichkeitsscheu.

„Ungünstig gewählte Lichtreflexion, keine SS-Runen“

Doch den Fragen der Redaktion stellt er sich per E-Mail – und zeigt sich einsichtig: „Es handelt sich um eine Lichtreflexion in der Sonnenbrille, welche ungünstig gewählt und deshalb auch abgeändert wurde.“

„Das Alien steht für Liebe“: Künstler spricht über vermeintliches Nazi-Graffito an der B27

© Johannes Klomfaß

Das Graffito an der Schallschutzwand in seinem Originalzustand im Februar.

Gegen die Nazivorwürfe wehrt er sich aber: „Sowohl meine persönlichen, als auch allgemeine Werte und Normen in der Graffiti-Szene sind das Gegenteil von rechtsextremen Gesinnungen – natürlich sollen es keine SS-Runen sein.“

„Das Alien steht für Liebe“

Dass er das Alien (Galakt: „Lediglich ein witziges Motiv“) wenige Tage vor Erscheinen unseres Artikels gesprüht habe, bestätigt Galakt. Am Abend nach Erscheinen wollte der Künstler die kritisierten „SS-Runen“ übermalen (Galakt: „Bis ich über den Artikel auf die Ähnlichkeit aufmerksam gemacht wurde, habe ich beim Betrachten nur Lichtblitze gesehen“).

Doch das Landratsamt war bereits tätig geworden. 200 Euro hätten die Farbe und die Arbeit den Landkreis gekostet, heißt es auf Anfrage. Deshalb habe der Künstler lediglich den Schriftzug „Das Alien steht für Liebe“ dauerhaft hinzufügen können.

Denn die weißen Striche, die er als Alternative zu den Blitzen in die Sonnenbrillengläser gemalt habe, seien tags darauf wieder schwarz gewesen – erneut übermalt oder viel eher von der schwarzen Farbe „verschluckt“, vermutet der Künstler.

„Das Alien steht für Liebe“: Künstler spricht über vermeintliches Nazi-Graffito an der B27

© Pascal Tonnemacher

Aus wenigen Zentimetern Entfernung kann man Reste der weißen Farbe in der Sonnenbrille noch erkennen.

Dass das Landratsamt schnell tätig wird, ist eher die Ausnahme als die Regel. In diesem Fall wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Denn „normale“ Graffiti würden nicht überstrichen, „da die Wände in kürzester Zeit wieder beschmiert werden“. Der Landkreis versucht, den Graffiti generell „so wenig Aufwand und Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken“.

Kunst als zweischneidiges Schwert

Dass Graffiti übermalt oder entfernt werden, stört Galakt zum einen generell. „Zum anderen, weil Geld der Gemeinschaft ausgegeben wird, um eine Wand wieder grau zu streichen. Dieses Geld könnte man sicherlich sinnvoller einsetzen.“

Dass er mit seinen Bildern aneckt, damit hat er kein Problem. Und in Bezug auf die Lärmschutzwand habe er kein schlechtes Gewissen: „Die Funktion bleibt die gleiche, und ob eine kahle Schallschutzwand unbedingt eine Bereicherung der Landschaft ist, halte ich auch für fraglich“, sagt er.

„Freiheit, meine Umgebung zu gestalten“

Dass Graffiti nicht jeder schön findet, sei verständlich, er wiederum finde eine kahle graue Wand nicht schön und unlebendig. „Ich nehme mir selbst die Freiheit, meine Umgebung zu gestalten und meiner Meinung nach zu verschönern. Großkonzerne gestalten das Stadtbild mit ihren Werbetafeln genau so. Da diese jedoch viel Geld bezahlen, scheint es in Ordnung zu sein. Das Recht auf Mitgestaltung des eigenen Lebensraums sollte nicht nur eine finanzielle Frage sein.“

„Legal, illegal, scheißegal“?

Die Legalität und Illegalität von Streetart und Graffiti war auch schon wie berichtet im Rahmen der Revolte-Ausstellung kontrovers diskutiert worden.

Legale Graffitiaktionen wie die bunt besprühten Stromkästen beispielsweise in Balingen können ein Anfang sein. Darüber hinaus gibt es weitere „legale Spots“, an denen sich Graffitikünstler austoben können, die aber auch oft übermalt werden.

Junge, regionale Sprüher bei Aktionen mit einbeziehen

Galakt hat einen anderen Vorschlag, wie Jugendliche ihre Stadt mitgestalten könnten: „Was ich für sinnvoll halte, sind einmalige, aufwändige Gestaltungen von beispielsweise Fußgängerunterführungen oder Brückenwänden. Es gibt keinen besseren Weg, „Schmierereien“ vorzubeugen und meist freuen sich sowohl Sprüher als auch die Anwohner.“

Beim Konzept dafür könne die Stadt auch mitentscheiden. Dass die Flächen dann nicht von jedermann übermalt werden dürfen, werde in der Szene respektiert.

Man solle bei solchen Aktionen jedoch unbedingt versuchen auch die jungen, regionalen Sprüher mit einzubeziehen, nicht nur etablierte „Street-Artists“, kritisiert er. Kontakte zu ersteren könne man über Jugendorganisationen oder -räume versuchen zu knüpfen.

Illegal ist für ihn attraktiver

Legale Möglichkeiten würden ihn aber ohnehin nicht vom illegalen Sprühen abhalten. Denn: „Illegal gesprühte Bilder leben länger und sind meist an attraktiveren Stellen, heißt man selber und andere sehen sie öfter.“

Aber auch ZAK-Leser oder Ermittler sehen sie. Die Polizei ermittelt weiterhin in dem Fall um den vermeintlichen Nazi-Alien gegen Unbekannt – nicht nur wegen der Sachbeschädigung durch Graffiti, sondern zusätzlich auch wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, sagt eine Polizeisprecherin auf Anfrage. Auch nach dem Übersprühen, denn der Tatbestand sei verwirklicht gewesen.

Weniger Graffiti-Fälle und geschnappte Täter

Im Jahr 2018 erfasste die Polizeistatistik 130 Fälle von Sachbeschädigungen durch Graffiti im Zollernalbkreis. 26 Tatverdächtige konnten ermittelt werden, 44 Fälle seien aufgeklärt worden. Für das vergangene Jahr seien die noch nicht veröffentlichten Zahlen rückläufig, sagt eine Polizeisprecherin, kann aber keine Details nennen.

Zuständig für solche Fälle seien je nach Fallaufkommen und Polizeirevier vorrangig „besonders geschulte, quasi szenekundige Beamte“. Täter würden teilweise auf frischer Tat ertappt. Aber auch Hinweise aus der Bevölkerung führen dazu, dass Tatverdächtige ermittelt werden können.

Diesen Artikel teilen: