Geislingen

„Sie hätten nicht hinfahren dürfen“: Lebenslänglich für Angeklagten im Binsdorfer Mordprozess

21.10.2019

Von Rosalinde Conzelmann

„Sie hätten nicht hinfahren dürfen“: Lebenslänglich für Angeklagten im Binsdorfer Mordprozess

© Rosalinde Conzelmann

Die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Dr. Hannes Breucker (Mitte) mit drei Richtern und zwei Schöffen verurteilte am Montag den Angeklagten im Binsdorfer Mordprozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Der 56-Jährige, der am Morgen des 23. März in Binsdorf seine damals 80-jährige Mutter mit einem Messer niedergestochen hat, wurde am Montag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen heimtückischen Mordes verurteilt. Eine Schwere der Schuld stellte die Schwurgerichtskammer nicht fest.

Es war eine ungewöhnliche Urteilsbegründung, mit der am Montagnachmittag der Prozess um die Binsdorfer Messerattacke vom 24. März nach vier Verhandlungstagen zu Ende ging.

Die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Dr. Hannes Breucker verurteilte den Angeklagten wegen heimtückischen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (ohne eine besondere Schwere der Schuld festzustellen) und entsprach damit der Forderung von Staatsanwältin Andrea Keller.

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Sie haben keinen Selbstmord begangen, sondern ihre Mutter getötet. Dr. Hannes Breucker, Richter

Ihr Geständnis spricht für Sie als Mensch. Dr. Hannes Breucker, Vorsitzender der Schwurgerichtskammer

Der Verteidiger des Angeklagten, Axel Kästle, hatte zuvor ausgeführt, dass er keinen Mord- und keinen Tötungsvorsatz erkenne, allenfalls Körperverletzung.

Florian Majer, Anwalt der Schwester des Angeklagten, die als Nebenklägerin auftritt, hatte sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft angeschlossen.

„Ich möchte mit Ihnen von Mensch zu Mensch reden“ – mit diesen Worten eröffnet Dr. Breucker die Urteilsbegründung. „Wir verurteilen Sie nicht als Mensch, wir mussten über die Tat entscheiden“, führt er weiter aus. Auch Richter seien keine besseren Menschen.

Am Tatverlauf gibt es keine Zweifel

Am Tatverlauf gebe es keine Zweifel – „ihr Geständnis spricht für Sie als Mensch“ – die Anklage habe sich als zutreffend erwiesen.

Am 24. März, es war ein Sonntag, gegen acht Uhr, ist der zweifache Familienvater zu seinem Elternhaus gefahren. Hinter ihm lag eine schlechte Phase mit Beziehungskrise, dem Ausstieg aus dem Job und ständigen Streitereien innerhalb der Familie.

Er hatte zuviel Alkohol am Abend davor getrunken, litt unter Depressionen und Angstzuständen. „Dies alles glauben wir Ihnen aufs Wort“, meint Breucker.

Er stößt seiner Mutter ein Messer in den Bauch

Er traf auf seine damals 80-jährige Mutter, die noch im Schlafanzug war, folgte ihr ins Esszimmer und stieß ihr ein Messer in den Bauch. Danach rief er die Polizei an und sagte, dass er seine Mutter erstochen habe. Er habe gewusst, dass dieser Stich tödlich enden kann, ist die Kammer überzeugt.

Breucker zitiert die Worte des Angeklagten nach der Tat,„der Familienwahnsinn hat nun ein Ende“ und „es ist mir scheißegal“ auf die Frage der Polizei, wie es seiner Mutter geht.

Dass er in einer schlechten Verfassung war, sei unstrittig. „Aber Sie waren nicht schwer krank und noch fähig, ihre Handlungen zu steuern“, meint der Richter.

Es liegt eine Tötungsabsicht vor

Mehrere Faktoren würden dafür sprechen, dass der Messerstich mit Tötungsabsicht ausgeführt worden ist: die Wucht, die eindeutigen Aussagen nach der Tat sowie die Intelligenz des Mannes.

Deshalb könne es rechtlich nur diese Entscheidung geben. Das Mordmerkmal der Heimtücke sieht das Gericht als bestätigt, weil das Opfer nichts ahnend war und keine Abwehrchance hatte.

Opfer stirbt an Folgen der Attacke

Keine Zweifel hat die Kammer auch daran, dass die hochbetagte Frau am 26. Juni an den Folgen des Messerangriffs gestorben ist. Denn davor sei sie zwar gesundheitlich angeschlagen, aber noch immer mobil und rüstig gewesen.

Die Frage der Schuldfähigkeit habe die Kammer sorgfältig geprüft und am Ende mit Ja beantwortet: „Sie waren am Ende ihrer Kräfte und hatten Depressionen und Angstzustände, aber es lag keine psychiatrische Erkrankung vor.“

Drastisch formuliert es der Kammervorsitzende: „Sie haben keinen Selbstmord begangen, sondern ihre Mutter getötet.“

Bei Mord gibt es keinen Spielraum

Die Kammer habe keinerlei Spielraum bei dieser Faktenlage. „Das Gesetz ist konsequent, bei Mord gibt es keinen Strafrahmen“, betont Breucker.

„Wir haben alles überprüft; es ließ sich kein Notausstieg für Sie finden“, wendet er sich an den 56-Jährigen, der ruhig neben seinem Verteidiger sitzt und zuhört.

Diese Tat sei eine Kulmination aller Dinge gewesen, die in den Tagen davor auf den Angeklagten eingestürzt seien, so Breucker.

„Sie hätten nicht hinfahren dürfen“, meint er eindringlich und hat am Ende seiner Begründung noch ein persönliches Ansinnen: „Wir wünschen Ihnen von Herzen, dass Sie mit Ihrer Schuld zurecht kommen.“

Er appelliert an den verurteilten Mann, dass er psychologische Hilfe in Anspruch nehmen soll. „Sie können Ihre Mutter nicht wieder lebendig machen, aber wir wünschen Ihnen, dass Sie es schaffen werden, alles zu verkraften“, lautet Breuckers Schlusswort.

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