Bentley will den amerikanischen Markt erobern: „In Hechingen herrscht Partystimmung“
23.06.2023

© Bentley Innomed
Zwei, die gut lachen haben: Bentley-CEO Sebastian Büchert (links) und Christian Bader, Director Quality and Market Access bei Bentley.
Seit mehr als zweieinhalb Jahren arbeitet das Entwicklungsteam bei Bentley gemeinsam mit Weltmarktführer Cook Medical daran, eine gemeinsam beantragte klinische Studie für die spätere Produktzulassung auf dem amerikanischen Markt auf den Weg zu bringen. Laut Christian Bader, technische Geschäftsführung der Holding und Director Quality and Market Access bei Bentley, habe man auf den Termin hingezittert: „Die Behörde hat einen gewissen Zeitrahmen für die Prüfung, es wird aber kein Zwischenstand und keine Tendenz durchgegeben.“ Bis es in der Nacht auf Donnerstag so weit war: Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) erteilte Bentley das Go für die Ausführung der Studie. Diese soll Bentley mit dem Stent-Vorzeigeprodukt BeGraft den Weg für den erfolgreichen Markteintritt ebnen.
„Bei uns herrscht Partystimmung“, hält sichtlich erfreut auch Geschäftsführer Sebastian Büchert fest. Seit 2012 ist das Unternehmen mit seinen High-End-Medizintechnikprodukten am Markt, seit November 2013 mit dem Hauptprodukt BeGraft: „Der Stent macht ungefähr zwei Drittel unseres Umsatzes aus und ist der Wachstumsmotor unseres Unternehmens“, hält der CEO fest. Mit dem Produkt sei man bereits in 80 Ländern vertreten und scheint auch weiterhin auf Expansionskurs: „Wir erhöhen unsere Marktanteile in diesen Märkten kontinuierlich.“

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Die Stentsysteme von Bentley sollen in Zukunft auch in den USA und in China Leben retten.
Weil sich das Marktwachstum eines Tages bekanntermaßen verlangsame, kümmere man sich verstärkt um die Erschließung neuer Märkte. Die Schwierigkeit dabei: Bentley sei in einem „hochregulierten Bereich unterwegs“, erläutert Bader. Markteintritte erforderten Zulassungen, die wiederum abhängig vom Markt unterschiedlichster Prozesse bedürfen. „Wir brauchen klinische Daten, um zu belegen, dass das Produkt wirklich das leistet, was wir versprechen.“ Die Daten und die entsprechende Zulassung für Europa liegen längst vor, doch diese würden in den USA und in China nicht anerkannt. Am letzteren Markteintritt arbeite man bereits seit 2016. Die klinischen Daten würden von einer „heimischen Patientenpopulation benötigt“, deshalb müssten separate Studien durchgeführt werden. Alleine die Genehmigung dieser sei aufwendig, „weil die Produkte natürlich in Menschen eingesetzt werden“, erklärt der technische Geschäftsführer.
5 Ingenieure, 20.000 Stunden Arbeit
Die gesamte Entwicklungsarbeit hätte nun 2,5 bis 3 Jahre gedauert, während 5 Ingenieure in Vollzeit über 20.000 Stunden Arbeit in die Vorbereitung gesteckt hätten. Auch, wenn das Produkt bereits in 80 Ländern erfolgreich verkauft wird, gehe man in Amerika und China „hin, als ob das Produkt noch nicht existieren würde“, schmunzelt Büchert. Zuerst werde der Stent also bis zur Erschöpfung im Labor getestet, danach könne erst die Zulassung für die Studie beantragt werden.
So funktioniert der Stent aus Hechingen
Wofür aber wird der BeGraft-Stent eingesetzt? Für Aortenaneurysmen, „also extrem gefährliche Aussackungen des Gefäßes“, die durch geschwächte Gefäßwände entstehen können. Wenn die geschwächte Gefäßwand immer schwächer wird – „und das ist die Tendenz“ – könne diese reißen oder platzen. „Ein lebensbedrohliches Szenario im Bereich der Aorta“, das unweigerlich zum Tod führe. Deshalb werde mittels eines endovaskulären Eingriffs eine Prothese eingebracht, welche das Aneurysma ausschließe: „Es wird also vom gesunden Gefäß zum gesunden Gefäß überbrückt.“ Die Brücke stelle der Kooperationspartner und Weltmarktführer Cook Medical her. Die Gefäße, die vom Aortenbogen abgehen und Organe, das Rückenmark sowie Körperteile mit Blut versorgen und eigentlich verschlossen werden müssten, könnten dank der Hechinger Medizintechnik, den sogenannten fenestrierten Prothesen, durchgängig bleiben und „den Blutfluss in die Abgangsgefäße“ durch kleine Fensterchen sicherstellen. Wiederum eine Brücke also, aber „zwischen Hauptprothese und Zielgefäß“, verbildlicht Bader, der die Studie vorbereitet hat.
Marktstart in den USA im Jahr 2027?
Und warum hat sich Cook Medical aus Bloomington, Indiana, gerade – und exklusiv – für Bentley entschieden? Weil das Feedback aus den bestehenden Märkten laute: „Bentley und Cook? Das ist die beste Kombination für den Patienten. Darauf sind wir sehr stolz!“ Nach dem ersten Teilerfolg hoffen CEO und CTO nun, dass das Produkt ab 2027 in den USA verkauft werden kann. „Die USA bilden 40 Prozent des Weltmarktes ab“, verdeutlicht Büchert. „Wegen Amerika und China konnten wir die Hälfte des Marktes bisher also noch gar nicht adressieren“, resümiert er in Hinblick auf den chinesischen und den US-amerikanischen Markt für Medizintechnik. Zuversicht für einen Firmenerfolg auch in den Staaten gebe Kanada: „Die Märkte sind relativ vergleichbar“, so der CEO. Auf dem kanadischen Markt verkaufe Bentley seit zwei Jahren die eigenen Produkte – „und wir sind tatsächlich innerhalb eines Jahres Marktführer geworden“.
Bentley entwickelt unterdessen auch an neuen Produktgenerationen
Momentan fertige das Unternehmen noch 100.000 Produkte pro Jahr an, zukünftig möchte man sich auf 300.000 Produkte im Jahr steigern. Für das bestehende Portfolio blieben nicht mehr allzu viele Märkte zu erschließen, bestätigt auch CTO Christian Bader. Mit 100 Mitarbeitern alleine in der Entwicklungs- und Zulassungsabteilung investiere man deshalb fleißig in neue Produktgenerationen, die ab 2025 auf den Markt kommen und die Anteile an diesem weiter steigern sollen.
Bentley-Chefs rechnen mit Verdopplung der Mitarbeiterzahl
Mit dem Aufkauf der Qmedics AG aus dem schweizerischen Flurlingen (wir berichteten ausführlich) steigt die Mitarbeiteranzahl der Bentley-Gruppe bereits am 1. Juli von 300 auf 400 Angestellte. In den nächsten fünf Jahren gehe man in Hechingen bereits von einer Verdoppelung aus, die bei erfolgreicher Markterschließung in China und den USA scheinbar auch dringend nötig werden könnte. Denn diese solle dafür sorgen, dass „Bentley das bisherige Wachstum in diesem Maß auch weiterführen kann“.
