Balingen

Balinger Publikum erlebt bei „Tatortspuren“, wie Profiler und Rechtsmediziner arbeiten

19.11.2023

Von Sabine Stotz

Balinger Publikum erlebt bei „Tatortspuren“, wie Profiler und Rechtsmediziner arbeiten

© Sabine Stotz

Manche Mörder planen und skizzieren ihre Taten bis ins Detail, erklärte Axel Petermann. Der Rechtsmedizinerin Silke Grabherr ist das nicht unbekannt, während die Moderatorin Saskia Naumann und die True-Crime-Autorin Romy Hausmann ebenso wie die Zuhörer teilweise geschockt waren.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 5,6 Millionen Verbrechen gezählt. 264 davon waren Tötungsdelikte. Die Aufklärungsrate bei Mord liegt aktuell bei 91,2 Prozent. Das bedeutet erschreckender Weise, dass so mancher Mörder seine Tat so geplant hat, dass es oft sehr lange dauert bis der Täter überführt wird. Das fast perfekte Verbrechen eben. Darum ging es beim Charity-Abend, veranstaltet vom Zollernalb-Klinikum und präsentiert vom ZOLLERN-ALB-KURIER, der unter dem Titel „Tatortspuren“ stand.

Es war nicht immer leicht zu verdauen, was die drei Protagonisten der Charity-Veranstaltung über True Crime und Rechtsmedizin dem interessierten Balinger Publikum im ausverkauften Großen Saal der Stadthalle Balingen zeigten. Echte Fotos von Tatorten und getöteten Menschen. Darüber hinaus ein aufgezeichnetes Interview mit dem verurteilten, sadistischen Mörder Robert Melzer und Bestseller-Autor Axel Petermann.

Als Tatortanalytiker, neudeutsch Profiler, und Kriminalkommissar bei der Bremer Polizei war er vor seiner Pensionierung im Jahr 2014 lange mit diesen und weiteren erschütternden Fällen betraut gewesen. In über 1000 Fällen, bei denen Menschen gewaltsam zu Tode gekommen waren, wurde er zuständiger Ermittler für das, was passiert, wenn Phantasien aus dem Kopfkino Realität werden.

Moderatorin Saskia Naumann fragte den pensionierten Profiler, was ihn den antreibe. Wie viele im Publikum war sie nach eigenen Worten geschockt, was er zu den Fällen erzählt, gezeigt und erfahren hatte. „Zum einen ist es, so glaube ich, die Faszination des Bösen. Viel wichtiger aber ist mir, dass nach solchen Taten viele Angehörige fassungslos zurückbleiben. Deren Botschafter möchte ich heute sein.“

Wurde das Opfer übertötet?

Aus der Schweiz angereist war die Professorin für Rechtsmedizin in der West-Schweiz, Dr. Silke Grabherr. Sie leitet die Gerichtsmedizin in Lausanne-Genf und arbeitet täglich mit Opfern von Gewalttaten. „Durch meine Tätigkeit habe ich sehr schnell gelernt: Genießen wir den Moment“, sagte sie zu Beginn. Was sie denn nach so vielen Tötungsdelikten und Suiziden noch heute immer wieder überrasche, fragte die Moderatorin. „Was mich überrascht, ist eigentlich sehr traurig. Wenn wir gerufen werden, sehen wir oft, wie viele Menschen leben und sterben. Oft liegen die Toten schon einige Zeit in ihrer Wohnung, bis jemand darauf aufmerksam wird. Das finde ich wirklich schlimm.“

Balinger Publikum erlebt bei „Tatortspuren“, wie Profiler und Rechtsmediziner arbeiten

© Sabine Stotz

Prof. Dr. Silke Grabherr nahm das Balinger Publikum mit bei der nachgestellten Analyse des Falls Phoebe aus Australien, deren Tod die Buchautorin Romy Hausmann schriftstellerisch verarbeitete.

Die Rechtsmediziner sind am Tatort für den Leichnam zuständig, während die Polizei die Tatortumgebung untersucht. Aus den Spuren am Opfer liest Dr. Silke Grabherr aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung viel: Wurde das Opfer beispielsweise übertötet, wurde also mehr Gewalt angewendet, als für das Töten erforderlich gewesen wäre? Das sei häufig bei einem sexuellen Tathintergrund der Fall. In welchem Winkel und auf welche Weise wurde, beispielsweise bei Verletzungen mit einem Messer, auf das Opfer eingestochen?

Anhand solcher Merkmale liest die Professorin viel über das Täterprofil und manchmal bereits über das Motiv heraus. Heutzutage spielt selbstverständlich auch die DNA-Analyse eine große Rolle bei polizeilichen Ermittlungen.

DNA-Analyse verbessert Beweisführung

Mit 99-prozentiger Sicherheit sind Täter dadurch identifizierbar. Das hat die Beweisführung bei Gericht wesentlich verbessert. Nach so viel Tod und Gewalt brauchten alle Anwesenden erstmal eine Pause, in der die Balinger Sängerin Kate-Lynn Lohner im Foyer mit gekonntem Gesang und Gitarre unterhielt. Darüber hinaus wurden Lose verkauft zugunsten des Frauenhauses Rathenau, des Fördervereins für Palliativmedizin im Zollernalb-Klinikum und der von Dr. Grabherr initiierten Ausbildung für Rechtsmediziner in Afrika.

Balinger Publikum erlebt bei „Tatortspuren“, wie Profiler und Rechtsmediziner arbeiten

© Sabine Stotz

Während der Pause signierte Axel Petermann seine Bücher, während beim Losverkauf viel Andrang war.

Wer mochte konnte ein handsigniertes Buch von Axel Petermann oder auch Bücher der Autorin Romy Hausmann, die im zweiten Teil der Veranstaltung den Fall von Phoebe, die vor einigen Jahren in Australien gewaltsam zu Tode kam, thematisierte.

Realer Fall aus Australien

„Ich könnte mir nicht einmal annähernd so groteske Geschichten ausdenken wie das wahre Leben“, sagte sie. Das Opfer wurde im Müllschlucker ihres schicken und modernen Wohnhauses mit einem fast abgetrennten Bein gefunden.

Recht schnell kam der zuständige Coroner zu dem Schluss, dass Phoebe Selbstmord begangen hatte. Den Beruf des Coroners gibt es im angelsächsischen Rechtsraum. Bei zweifelhaften Todesfällen stellen diese gewählten Beamten die Todesursache fest. Da das Opfer in diesem Fall zuvor psychiatrische Hilfe wegen ihres Alkoholproblems in Anspruch genommen hatte, wurde die Akte geschlossen und der Fall nicht mehr weiter untersucht.

Gespräche für True-Crime-Buch wirken bei Autorin nach

Professorin Grabherr bezweifelte die Theorie eines Selbstmordes. Leichen im Müll seien ihrer Erfahrung nach normalerweise immer Tötungsdelikte und suizidgefährdete Personen würden häufig Opfer von Tötungsdelikten. „Man geht nicht in den Müll zum Sterben“, sagte sie. Australien sei ganz sicher kein guter Ort zum Sterben, da dort nur eine Obduktionsrate von drei bis fünf Prozent zu finden sei. Wie Phoebe also wirklich gestorben ist und weshalb, das wird niemals geklärt werden.

Bei der True-Crime-Autorin Romy Hausmann wirken die Gespräche, die sie im Verlauf ihrer Buchrecherche mit Phoebes Familie führte, jedenfalls bis heute nach. Am Ende der rund dreieinhalbstündigen Veranstaltung gab der ärztliche Leiter der Intensivstation des Zollernalb-Klinikums, Dr. Jürgen Reinhardt, bekannt, dass eine stattliche Summe von 11.000 Euro zusammengekommen sei. Er bedankte sich bei den Vortragenden auf der Bühne, die auf ihre Gage verzichtet hatten, allen Beteiligten vor und hinter den Kulissen und dem Publikum.

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