Balingens Torhüter Julian Hauser im Interview: „Werte nicht aus den Augen verlieren“

Von Marcel Schlegel

Seit 2009 hütet Julian Hauser das Tor der TSG Balingen. Vor dem Regionalliga-Auswärtsspiel beim VfR Aalen (Samstag, 14 Uhr) spricht der 31-Jährige über diese Zeit – und den Wandel der Mannschaft.

Balingens Torhüter Julian Hauser im Interview: „Werte nicht aus den Augen verlieren“

Julian Hauser ist ein sicherer Rückhalt.

Julian Hauser (31) kennt die TSG Balingen wie kaum ein anderer. Gut 250 Pflichtspiele hat der Torhüter bereits für den schwäbischen Fußball-Regionalligisten gemacht. Nur der ehemalige Kapitän Manuel Pflumm (318) und der spielende Co-Trainer Lukas Foelsch (303) standen öfter für den Kreisstadtklub auf dem Feld. In seinen nun rund elf Jahren hat der aus Mössingen stammende Hauser zahlreiche Teamkollegen und einige Funktionäre kommen und gehen sehen. Darüber sprachen wir mit dem studierten Betriebswirt und angehenden „Master of Customs“-Absolventen.

Herr Hauser, die TSG Balingen hat in den vergangenen beiden Jahren einige Identifikationsspieler verloren, musste einen Umbruch voll- und sich einer Verjüngungskur unterziehen. Mehr denn je füllen Sie nun diese Vorbildrolle aus. Wie erleben Sie dies?

Julian Hauser: Ich übernehme tatsächlich viel mehr Verantwortung als zu meiner Balinger Anfangszeit. Auch hinterfrage ich nun manches öfter und versuche vor allem, den anderen Torhütern im Verein zu zeigen, dass man mit viel Arbeit und der nötigen Portion Durchhaltevermögen seine Ziele erreichen kann.

Hat sich auch Ihre Rolle als Keeper in den vergangenen Monaten und auch Jahren gewandelt?

Kaum, als Torwart ist man zwangsläufig Einzelkämpfer – natürlich hat man dennoch den Teamgedanken verinnerlicht. Ich habe aber das Gefühl, dass die Trainer mehr Wert auf meine Meinung legen und diese auch berücksichtigen. Das ist eine Form der Wertschätzung, die jedem Spieler guttut.

Die TSG Balingen wird am Samstag beim VfR Aalen erwartet. Es ist das erste Spiel der Rückrunde in der Regionalliga Südwest. Lesen Sie hier den Vorbericht.

Zahlreiche neue Spieler kamen nach Balingen. Zu Saisonbeginn hatten Sie in einem Gespräch angedeutet, dass sich die Mentalität des Teams dadurch wandelte. Wie meinten Sie das?

Zunächst muss ich sagen, dass sich die Mentalität der Mannschaft nicht gravierend, aber schon ein Stück weit verändert hat. Noch vor ein paar Jahren waren wir ein verschworener Haufen, der den Gegner 90 Minuten lang unnachgiebig bearbeitete, aber nicht immer den großartig anzuschauenden Fußball zeigte. Das Besondere aber war: Jeder kam mit jedem sehr gut aus, auch das Miteinander abseits des Feldes wurde sehr gepflegt.

Und wie ist es nun?

Auf dem Platz spielen wir oft einen sehr gut anzuschauenden Fußball mit einer großen spielerischen Komponente, auch verteidigen wir meist sehr gut. Sportlich gesehen kann ich jedem nur ein Kompliment machen. Das Miteinander abseits des Platzes sollte jedoch nicht vergessen werden.

Ist dieses denn weniger geworden?

Das Miteinander ist nach wie vor einwandfrei. Jeder gibt in Training wie Spiel sein Bestes. Das Zwischenmenschliche kommt meiner Meinung nach aber dennoch etwas zu kurz.

Wie erklären Sie sich das?

Zum einen haben wir viele neue, vorwiegend jüngere Spieler im Team, die erst lernen müssen, dass das Fußballspielen bei der TSG nicht nur ein „Job“ ist, den man abhakt. Zudem machen es die Corona-Einschränkungen natürlich fast unmöglich, miteinander ein engeres Zusammensein zu pflegen. Ich wünsche mir trotzdem, dass wir die angesprochenen Werte nicht aus den Augen verlieren. Auch auf hohem Niveau kann ein gesunder Mannschaftszusammenhalt ein Erfolgsfaktor sein.

Dabei ist die TSG so etwas wie das Aushängeschild in Sachen Zusammenhalt. Balingen führt zumindest in der Statistik, die die Vereinstreue der 22 Regionalliga-Südwest-Vereine anzeigt. Ist diese also nach wie vor ein Erfolgsfaktor?

Die TSG ist rein sportlich gesehen das Aushängeschild der Region. Kein anderer Verein in Württemberg – außer unseren, mit professionellem Personal agierenden Ligarivalen aus Ulm, Aalen, Großaspach und dem VfB 2 – kann einen so großen sportlichen Anreiz bieten, vor allem kein anderer Amateurverein. Über die Jahre hinweg hatte die TSG immer das Glück, überragende Spieler und Charaktere in ihren Reihen zu wissen, die den Verein von der Verbands- bis in die Regionalliga begleiteten.

Wen meinen Sie konkret?

Jörg Schreyeck, Manuel Pflumm, Felice Di Lucia (jetzt Spielertrainer bei anderen Vereinen oder Karriereende, d. Red.) oder Lukas Foelsch – sie alle hatten oder haben einen großen Anteil daran, dass das Mannschaftsklima über Jahre hinweg harmonisch und einzigartig war und meist noch immer ist. Das ist insgesamt förderlich, weil man sich dann zweimal überlegt, den Verein zu wechseln. So war das auch in meinem Fall. Insofern darf Vereinstreue noch immer als ein Balinger Erfolgsfaktor betrachtet werden. Ich denke aber, es braucht vor allem eine gute Mischung aus unbekümmerten und eingespielten Spielern.

Diese Mischung weist die TSG nun auf. Zwölf Spieler aus dem aktuellen Kader sind echte Eigengewächse. Zuletzt kamen aber mehr von diesen unbekümmerten, top ausgebildeten Spielern von anderen Vereinen nach Balingen – und der eigene Nachwuchs tut sich prinzipiell schwerer …

Der Sprung aus der A-Jugend in den Aktivenbereich ist enorm. Da dies mittlerweile bei der TSG bedeutet, es von der U 19-Verbandsstaffel in die Regionalliga schaffen zu müssen, ist die Fallhöhe natürlich noch größer geworden. Im Jugendbereich wird in vielen Fällen fast ohne Körperkontakt gearbeitet – diesen Wechsel müssen junge Spieler erstmal verarbeiten und sich auch hart erarbeiten. Denn: Jeder Amateurspieler kommt in dieser Profi-Liga an seine Grenze. Aktiven- funktioniert aber anders als Jugendfußball, das müssen junge Spieler erstmal verstehen. Ich bin also der Meinung: Junge, gut ausgebildete Spieler sind nur so gut, wie sie Tipps von älteren Mitspielern und Trainern annehmen und verarbeiten können und wollen.

Ist es in der 4. Liga noch der richtige Weg, auf Spieler aus den eigenen U-Teams zu setzen?

Strategisch gesehen, ganz sicher. Die TSG Balingen kann nur auf das Konzept Jugendförderung bauen, da die finanziellen Mittel im Vergleich zu anderen Regionalliga-Vereinen doch begrenzter sind. Jedoch darf beim Ausbildungsgedanken und bei aller langfristiger Planung das kurzfristige Tagesgeschäft, das auf dem Platz stattfindet, nicht zu kurz kommen. Und da sind vor allem Spieler gefragt, die bereits Erfahrungen gesammelt haben, die diese weitergeben können – und die direkt einsatz- und konkurrenzfähig sind. Ein schöner Spruch meines Vaters ist: „Junge Spieler sind schnell, aber ältere Spieler kennen die Abkürzungen“. Daher muss die Altersverteilung innerhalb der Mannschaft stimmen.

Nachdem Balingen vergangene Saison zum Abbruch Vorletzter war, spielt man nun als Tabellensiebter sogar im oberen Drittel mit. Überrascht Sie das?

Um ehrlich zu sein, hat es mich schon überrascht. Wir haben eine sehr junge Truppe, hatten viele Rochaden und vor der Saison hatte ich kein gutes Gefühl bezüglich unserer Konkurrenzfähigkeit. Doch bisher können wir mit dem Erreichten sehr zufrieden sein und haben gezeigt, dass wir auch die Top-Gegner der Südweststaffel vor echte Probleme stellen können.

Worin zeigt sich diese Leistungssteigerung am besten?

An mehreren Dingen: Wir spielen mutig von hinten heraus, machen dann die Bälle gut fest und haben insgesamt wenige Ballverluste im Spielaufbau. Weiterhin machen wir hinten die Schnittstellen zu und kontern, wenn wir den Ball gewinnen, meistens sehr effektiv. Außerdem sind wir effizienter vor dem Tor. Unser Trainer Martin Braun stellt uns gut auf die Gegner ein und kann auch positionsbezogene Fragen sehr gut und verständlich erklären.

Selten erschien die Mannschaft so breit aufgestellt. Abgänge sowie Ausfälle tragender Spieler konnten bislang schier unbemerkt weggesteckt werden. Ist das der vielleicht beste Kader, den die TSG je hatte?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Jeder TSG-Kader hat und hatte seine Stärken und seine Schwächen.

Nun geht es zum VfR Aalen, dem Tabellenzwölften. Ein Gegner, den man schlagen muss?

Wir müssen erstmal gar nichts. In dieser Liga sind wir nämlich in jedem Spiel der Underdog. Daher sollte es unser Ziel sein, primär eine gute Leistung auf den Platz zu bringen. In der Regionalliga Südwest kann man in keinem Spiel mit Punkten rechnen. Wir müssen schauen, dass wir Woche für Woche elf Spieler ins Spiel schicken, die in der Lage sind, unseren Gegnern körperlich und mental Paroli zu bieten. Wenn jeder für sich dann ein gutes Spiel macht, erhöht das unsere Chancen auf Punkte.