Andreas Steiner aus Albstadt: Der Mann, der Fragen stellt

Von Michael Würz

Die Rückendeckung seiner eigenen Partei hat er verloren, an seinen Zielen hält er fest: Andreas Steiner aus Albstadt will nicht weniger als die Politik erneuern. Der 38-Jährige scheut Schubladen, Pyramidensysteme – und besonders die Maskenpflicht. In den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sieht er eine Bedrohung für die Freiheit, am Horizont wähnt er gar diktatorische Züge. Hart geht der Landtagskandidat auch mit der Exekutive ins Gericht, der er vorwirft, Behauptungen „ohne schlüssige und stringente Begründungen“ aufzustellen. Für den Zollernalbkreis schwebt ihm unterdessen eine Zukunftskonferenz vor. „Damit Entscheidungen nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben.“

Andreas Steiner aus Albstadt: Der Mann, der Fragen stellt

Andreas Steiner aus Albstadt will in den Landtag.

Begeisterung und Schwung. Dynamik, Energie, Feuer, und Leidenschaft. „Diese Begriffe widerspiegeln meine Haltung gut“, sagt Andreas Steiner, der für die im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gegründete Partei WiR2020 in den Landtag einziehen will. Für deren Landesverband allerdings legt der 38-Jährige zu viel Feuer an den Tag: Steiners Mitgliedschaft sei jüngst einstimmig gekündigt worden, teilte der Vorstand unserer Zeitung mit. Zuvor hatte der Landesvorsitzende Kay Michel noch verlauten lassen, man strebe einen Parteiausschluss erst nach der Wahl an (wir berichteten).

Landesverband: „Parteifrieden wahren und Schaden von der Partei abwenden“

Klar ist: WiR2020 geht mitten im Wahlkampf auf Distanz zum eigenen Kandidaten, Steiners Kandidatenprofil wurde von der Internetseite gelöscht, auf seine E-Mails hat er keinen Zugriff mehr. Eine weitere Zusammenarbeit schließt man im Landesvorstand augenscheinlich kategorisch aus. Es habe gegolten, den Parteifrieden zu wahren und Schaden von der Partei abzuwenden, schreibt der auf ZAK-Anfrage. Neben Parteiangelegenheiten lägen dem Disput zwischenmenschliche Themen zugrunde. Auf die laufende Wahl zumindest haben die Querelen keine Auswirkung; die Wahlzettel bleiben bestehen, Steiners Stimmen werden auf jeden Fall WiR2020 zugerechnet – ungeachtet der parteiinternen Auseinandersetzungen.

Andreas Steiner möchte nicht „von oben herab“ behandelt werden

Was aber hat den 38-jährigen Albstädter in die Partei geführt? Es wäre verkürzt dargestellt, Steiner (nur) in die Schublade der Corona-Skeptiker zu stecken, aus deren Bewegung WiR2020 hervorgegangen ist. Und doch zeigt das Thema Corona beispielhaft, wie der Mann tickt, der das Gefühl „von oben herab“ behandelt zu werden, kaum auszuhalten scheint. Der sich deshalb hervortut als einer, der Fragen stellt, der Institutionen und Organisationen hinterfragt, der sich ungern etwas sagen lassen möchte von anderen Menschen – jedenfalls nicht, wenn sie aus seiner Sicht „Behauptungen ohne schlüssige und stringente Begründungen“ liefern. So wie er es etwa Staatsanwälten vorwirft. Und der beinahe daran zu verzweifeln scheint, dass „Fragen, die ich stelle, folgenlos ignoriert werden“. Steiner wolle, sagt er, dass die Verantwortlichen der Legislative, Judikative und Exekutive tugendhaft handeln. „Auch dafür setze ich mich engagiert, mit Verve, ein.“

Mund-Nase-Bedeckung: „Wieso darf ich nicht selbst entscheiden?“

Steiner fragt, zum Beispiel: „Weshalb darf ich nicht selbst entscheiden, ob ich das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung für sinnvoll erachte oder nicht?“ Er klagt: „Momentan erhalte ich beispielsweise ohne Mund-Nasen-Bedeckung in etlichen Bäckereien keine Waren oder werde zusätzlich beleidigt, bedroht, die Polizei wird gerufen, die gerne einen Platzverweis ausspricht, wenn sie sich nicht mehr zu helfen weiß.“ Steiner sagt, er selbst habe keine Angst, sich mit Corona zu infizieren. Auch möge man ihm erklären, wieso es sich um eine „Pandemie“ handele, wenn doch die Bundesregierung von einer „epidemischen“ Lage spreche.

„Ich werde in meiner Freiheit eingeschränkt“

Und er erkennt ein „Mund-Nasen-Bedeckung-Narrativ“, in dessen Rahmen „hinter dem Schleier der Solidarität in perfider und subtiler Weise die Egos der Menschen adressiert werden“. Schlussendlich würden so Staatsfeinde geschaffen, glaubt Steiner. „Verbrecher, welche das Wohl der Menschheit in Gefahr bringen.“

Am meisten treibe Steiner um, dass „ich in meiner Freiheit direkt und indirekt eingeschränkt werde, weil andere Menschen darüber entscheiden möchten, was ich in Bezug zu meinen Persönlichkeitsrechten, meiner persönlichen Freiheit, meinem Körper, und meinem Geist zu tun und zu lassen habe – und das nicht, weil diese Menschen offenbar das Ziel verfolgen, dass ich mir mein eigenes Urteil bilden kann, sondern unter Einsatz von Angst, Druck, Sanktionen oder Gewalt.“

Steiners Blick auf die Situation der Medien

Dass Medien dieser Tage in Teilen der Bevölkerung in Misskredit stehen, sich gar mit Hass und Gewalt konfrontiert sehen – „daran ist das ein oder andere Medienunternehmen mitunter selbst schuld“, findet der Albstädter. „Unschuldige Opfer“ hingegen macht Steiner eher auf Seiten derjenigen Medien aus, „welche tatsächlich die Wahrheit sagen, aber vielleicht als gefährliche Quelle mit verschwörungstheoretischem Hintergrund bezeichnet werden“. Aus dieser Perspektive heraus scheint konsequent, dass Steiner auch nicht vor der Formulierung zurückschreckt, das Land „befinde sich auf direktem Wege in eine Diktatur“, ohne sich diesen Schuh anziehen zu wollen: Zu diesem Schluss käme, wer der Diktatur-Definiton des Portals für politische Bildung Brandenburg folgt, begründet der WiR2020-Kandidat seine These. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, hatte diese jüngst in der Rheinischen Post als „absurde und bösartige Parole“ bezeichnet, die die Naziherrschaft relativiere.

„Den Meilenstein(er) setzen für eine Politik der Zukunft“

Was aber will der Albstädter mit Landtagsambitionen ändern? „Ich möchte mich für eine andere Art, eine wahrhaftig neue Politik einsetzen, den Meilenstein(er) setzen für eine Politik der Zukunft.“ Was das bedeutet? „Eine Politik, die nicht von Lobbyisten gesteuert und von Einzelinteressen beeinflusst wird. Eine Politik, in der nicht alle gleich und manche gleicher sind. Rechte und Pflichten sollen für alle gelten! Ein Miteinander und Füreinander mit Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Verantwortung – im Sinne von Eigen- und Fremdverantwortung.“ Und weiter: „Alle Menschen sollen gleichberechtigt an Entscheidungen beteiligt werden. Ich strebe eine Gesellschaft an, die friedlich, pluralistisch, rechtsstaatlich ist und eine funktionierende Gewaltenteilung hat.“ Dabei gelte es, die richtige Balance zu wahren, findet Steiner. „Denn aus Begeisterung kann sehr leicht eine fixe Idee oder, salopp formuliert, ein Wahn werden“, schreibt er. Die Begeisterung, die Verve jedenfalls, mit denen Steiner an seinen Zielen arbeitet, ist offenkundig: Er ist der Mann, der den Fragenkatalog unserer Zeitung für dieses Porträt auf rund 50 DinA4-Seiten beantwortet – die an dieser Stelle auch nur annähernd abzubilden unmöglich ist.

Eine Zukunftskonferenz für den Zollernalbkreis

Wir wollten von Steiner aber auch wissen, welche Themen, die speziell den Zollernälblern unter den Nägeln brennen, er im Landtag forcieren würde. Steiner schreibt dazu:

„Sicherlich könnte ich Ihnen nun reihenweise Themen auflisten, von denen ich ausgehe, dass sie soziale Akzeptanz erhalten oder gar eine Mehrheitsmeinung repräsentieren. Aus meiner Sicht macht dies jedoch keinen Sinn, denn es würde von Beginn weg in altbekannte Richtungen gehen. Wie wäre es, wenn wir stattdessen diese Themen in einem Themenspeicher sammeln, gemeinschaftlich priorisieren und zusammen umsetzen? Dabei erhält jeder die Wertschätzung für das, was er oder sie erschaffen hat, und zwar nicht ausschließlich von mir, sondern von sich selbst, für sich selbst, und gegebenenfalls darüber hinaus sogar noch von seinen Mitmenschen.

Ich selbst kann ohnehin nicht alles alleine machen und das möchte ich auch nicht, denn ich bin ja mitunter Mannschaftssportler. Als Landtagsabgeordneter sehe ich mich weder als König, noch als Boss, oder sonstigen Herrscher oder Regierenden. Viel mehr sehe ich mich als Ritter und Vertreter der Menschen und würde gerne regelmäßig eine Zukunftskonferenz für den Zollernalbkreis einberufen, ein Konzept, das ich aus der Organisationsentwicklung kenne, und deren Ergebnisse mit meinem Wissen, meinen Fähigkeiten, meinen Kompetenzen sowie meinem Charakter zur Umsetzung verhelfen, damit die getroffenen Entscheidungen tatsächlich in der Realität existieren und nicht nur Lippenbekenntnisse oder Absichtserklärungen bleiben. Wie so eine Zukunftskonferenz aussehen kann, werden wir – also alle, die daran teilnehmen möchten – erleben.“

Organisationen sind Steiners Steckenpferd

Die Organisationsentwicklung ist Steiners Ding, die Herausforderung, der er sich als selbstständiger Unternehmensberater auch beruflich stellt. Mit seiner Firma „Psychosophy Management Consulting Steiner“ tritt der 38-Jährige an, um „Organisationen zu schaffen, die evolutionär sind, lebendig, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht“.

Geboren wurde Andreas Steiner in Ebingen; er lebt in Laufen und Mannheim. Steiner war als Zivildienstleistender am Krankenhaus tätig, arbeitete als Maschinenbediener, schloss sein Studium an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen als Diplom-Wirtschaftsinformatiker mit Auszeichnung ab. Steiner studierte „Business & Computer Science“ an der Universität von Westminster/London, arbeitete etwa für IBM, Trivadis, Gambro und Mettler-Toledo, bildete sich weiter an der Fachholschule Nordwestschweiz sowie den Universitäten in Harvard und Michigan.

Der baldige Vater brennt für Moral- und Politikphilosophie

Der 38-Jährige ist verlobt und wird bald Vater. Er begeistert sich für Kultur und Kulturen, Reisen (Südamerika), Sprachen, Moral- und Politikphilosophie. „Meine Freizeit verbringe ich seit dem Frühjahr 2020 vorwiegend damit, dass ich mich mit der gesellschaftspolitischen Situation, den systemischen Mechanismen, den Machtstrukturen, und der Transformation der Menschheit befasse, die wir aktuell deutlich erkennen und vor allem erleben können. Mitunter auch mit Corona.“

Wofür WiR2020 steht – und wieso sich Andreas Steiner eher als Freidenker sieht denn als Parteisoldat.

WiR2020 entstand im Frühjahr 2020 aus einer Spaltung der Partei Widerstand 2020, die aus den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen hervorgegangen war. Gründer und Kurzzeitvorsitzender von Widerstand 2020 war der Sinsheimer Schwindelarzt, „Querdenker“ und Coronaleugner Bodo Schiffmann. Aus der Spaltung der Partei ging sowohl die Basisdemokratische Partei Deutschlands wie auch WiR2020 hervor, der zunächst ebenfalls Schiffmannn für kurze Zeit vorstand, ehe er auch hier – ausgelastet durch Demo-Auftritte – das Handtuch warf.

Eva Rosen wechselt zur Basispartei

Stellvertretende Bundesvorsitzende von WiR2020 war bis vor einiger Zeit Eva Rosen, die im Dezember bei einer Kundgebung der „Frauenbustour“ auf dem Balinger Marktplatz auftrat, wo sie unter dem Beifall örtlicher Gegner der Coronamaßnahmen auch bekannte Verschwörungsmythen verbreitete. Rosen wechselte kurze Zeit später ihrerseits zur Basispartei, die den Vorgang in einer Mitteilung so erklärt: „Die Mitglieder von WiR2020 hatten im Rahmen einer Umfrage den Wunsch auf Zusammenschluss mit dieBasis geäußert, um auch politisch gemeinsam etwas zum Positiven zu verändern.“

Freiheit, Gerechtigkeit, Verantwortung: Damit identifiziert sich Andreas Steiner

WiR2020 stellt ihr Programm unter das Motto „Freiheit – Gerechtigkeit – Verantwortung“. Damit könne er sich identifizieren, sagt der Albstädter Kandidat Andreas Steiner, der sich zuvorderst als Freidenker sieht und trotz Rauswurfs weiterhin die Werbetrommel für die Anliegen der Partei rührt. Dass WiR2020 in der öffentlichen Wahrnehmung häufig in Verbindung mit bekannten Namen der „Querdenker“-Bewegung gebracht wird, störe Steiner jedoch. „Weil ich weder einen Führerkult, noch einen Menschenkult, keinen Personenkult, Parteikult, Organisationenkult oder sonstigen Kult-Kult brauche.“

Steiners Motto: Eigenverantwortung, selbst denken, eigene Entscheidungen

Steiner stehe für „Eigenverantwortung. Selbst denken. Eigene Entscheidungen treffen – mit allen Konsequenzen.“ Der 38-Jährige sagt: „Ich brauche auch kein sonstiges sektenartiges Konstrukt, sondern sehe mich ausschließlich zwei Dingen verpflichtet: Meinem Gewissen und ich möchte für jene Menschen Ergebnisse erzielen, die mir ihr Vertrauen schenken, ohne dass diese Menschen dabei ihre Stimme abgeben und schweigen müssen.“ Gleichwohl dürften sich Wähler für harte Programmpunkte interessieren. Was also will WiR2020?

Der Blick ins Parteiprogramm

Die Partei setzt sich ein für die sofortige Rücknahme der aus ihrer Sicht unverhältnismäßigen Corona-Maßnahmen und fordert einen Untersuchungsausschuss, der die Corona-Politik aufarbeiten möge. Reformiert werden soll das Gesundheitssystem, WiR2020 will ein Verbot der Impfpflicht anstelle einer Beratungspflicht. Weiter fordert die Partei „Friedenspolitik auf Augenhöhe statt Rüstungspolitik“. Man wolle den Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft fördern und sich einsetzen für, Zitat, die „Wiederherstellung der Presse- und Versammlungsfreiheit“. Die Familien- und Bildungspolitik wolle man ebenfalls reformieren, insbesondere das Schulsystem. Weitere Reformen, die man anstrebt: die des Rentensystems und die des Steuerrechts. Für Steuerverschwendung wünscht sich WiR2020 die Einführung eines Straftatbestands. Gefördert werden solle der Ökolandbau und artgerechte Tierhaltung.

Alternative Medikamente bewahren

In Sachen Gesundheitssystem setzt sich WiR2020 auch dafür ein, „dass Heilmittel, Medikamente, Therapieansätze und –verfahren, die sich empirisch als nicht schädlich erwiesen haben, grundsätzlich erlaubt und zugelassen sind, zumindest im Einzelfall und in der gemeinsamen Verantwortung des Therapeuten und des Patienten.“ Die Partei reicht an dieser Stelle den politisch unter Druck geratenen Heilpraktikern und Homöopathen die Hand.