Als der Krieg 1945 in Balingen endete: Der Bericht des Kreisgouverneurs gewährt Einblicke

Von Dr. Andreas Zekorn

Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die am 8. Mai 1945 in Kraft trat, endete der Zweite Weltkrieg in Deutschland. In den Landkreisen Balingen und Hechingen endete der Krieg schon einige Tage früher. In seinem Vorwort zum Bericht der Kreisdelegation beschreibt Kreisgouverneur Jean Gonnet den Beginn der Besatzungszeit ausführlich.

Als der Krieg 1945 in Balingen endete: Der Bericht des Kreisgouverneurs gewährt Einblicke

Das Militärgouvernement Balingen in der Hirschbergstraße 1.

Durch die Berichte der französischen Kreisgouverneure beider Landkreise Oberst Jean Gonnet, Balingen, und Colonel Roger Courtois, Hechingen, über den Zeitraum von April 1945 bis Dezember 1949 sind wir über die Nachkriegszeit gut informiert. Die Berichte erschienen 1999 unter dem Titel „Blau-Weiß-Rot: Leben unter der Trikolore. – Die Kreise Balingen und Hechingen in der Nachkriegszeit 1945 bis 1949“ in der Reihe Zollernalb-Profile. Das Buch ist noch erhältlich.

Am Freitag, dem 20. April 1945, marschierten französische Soldaten der 1. Panzerdivision von Freudenstadt kommend in Balingen ein. Die Truppen waren im Begriff, zur Donau vorzustoßen. Zwei Tage später, am Sonntag, dem 22. April, rückte französisches Militär in Hechingen ein. Nennenswerten Widerstand gegen den Vormarsch gab es kaum. Die meisten Orte im Gebiet des heutigen Zollernalbkreises wurden kampflos übergeben.

Mehrfach setzten sich französische Kriegsgefangene für die Ortschaft ein, in der sie ihre Gefangenschaft verbracht hatten und trugen zur Schonung der Zivilbevölkerung bei. Mit dem Einmarsch der französischen Truppen war der Zweite Weltkrieg für die Landkreise Balingen und Hechingen beendet.

Unter direkten Kriegseinwirkungen hatten die beiden Kreise kaum zu leiden gehabt, sieht man von einigen Bombenangriffen und kleineren Kampfhandlungen beim Einmarsch der Franzosen ab. Wie andernorts auch waren aber viele Opfer zu beklagen, die in dem von Deutschland begonnenen Krieg ihr Leben gelassen hatten: die männliche Bevölkerung des Kreises Balingen hatte im Vergleich zur Vorkriegszeit um 3.658 Personen abgenommen, die des Kreises Hechingen um 2.116.

Materielle Sorgen der Bevölkerung

Zudem litt die Bevölkerung bereits während des Krieges unter materiellen Sorgen. Diese Sorgen sollten sich in den ersten Nachkriegsjahren wesentlich verstärken.

In der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft waren die jüdischen Gemeinden in Haigerloch und Hechingen praktisch komplett ausgelöscht worden. In den Konzentrationslagern des Unternehmens „Wüste“ hatten tausende von KZ-Häftlingen ihr Leben für das irrwitzige Projekt, Öl aus Schiefer gewinnen zu wollen, gelassen.

Den Beginn der Besatzungszeit im Landkreis Balingen beschrieb Jean Gonnet wie folgt in seinem Vorwort zum Bericht der Kreisdelegation, das im Folgenden auszugsweise wiedergegeben wird:

Am 28. April richtet sich das Sonderkommando 11-G-3 der Militärregierung in Balingen ein […]. Dieser Kreis […] hatte eine Stammbevölkerung von 70.300 Einwohnern, zu denen fast 9.000 deutsche und etwa 8.800 ausländische Flüchtlinge, Kriegsgefangene und Deportierte aller Nationalitäten, die aus den Lagern der Region entlassen worden waren, hinzukamen.

Die französischen Truppen (1. Panzerdivision), die sich von Freudenstadt kommend auf dem Weg zur Donau befanden, waren am 20. April in Balingen einmarschiert, das sie aber nur durchquerten. Sie wurden außerhalb der Stadt in einige kleinere Gefechte mit dem Volkssturm verwickelt. Diese kurzen Zusammenstöße haben in den Orten der Umgebung wenig Schaden verursacht, nur die Luftangriffe einige Tage vorher trafen die Außenbereiche des Bahnhofs von Balingen. Durch die Explosion eines Munitionszuges wurden der Bahnhof von Ebingen und seine Randbezirke zerstört. Mit Ausnahme dieser Schäden hat der Kreis vergleichsweise wenig unter den militärischen Operationen gelitten.

[…] Die Zerstörung mehrerer Brücken auf der Strecke Tübingen-Balingen-Rottweil und die des Bahnhofs von Ebingen auf der Linie Balingen-Sigmaringen hat die Eisenbahnverbindungen unterbrochen. Der Straßenverkehr beschränkt sich auf die Nutzung der wenigen schrottreifen Lastwagen, die der Zerstörung oder der Beschlagnahmung durch die Einsatztruppen entgangen waren.

Der Landwirtschaft fehlt es an Geräten und Arbeitskräften. Der Viehbestand ist erheblich gesunken und reicht nicht aus, um die Arbeit auf den Feldern zu erledigen. […] Die Lebensmittelgeschäfte müssen mit ansehen, wie ihre Bestände schnell dahinschmelzen. Abgeschnitten von der Außenwelt ist der Kreis, überbevölkert und schon in normalen Zeiten wirtschaftlich abhängig von der Versorgung durch die Nachbarn, nicht in der Lage, den Unterhalt der Bevölkerung länger als einige wenige Wochen zu sichern. Die wenigen vorhandenen Lebensmittelvorräte sind den Plünderungen der Unruhestifter in Gestalt der überwiegend russischen oder polnischen Deportierten ausgesetzt, die sich jeglicher Form der Eintreibung bedienen.

Öffentliche Einrichtungen pleite

Dem größten Teil der 201 Fabriken für Textil, Leder und Möbel sowie der Metallindustrie, die in den vier Industriezentren Balingen, Ebingen, Tailfingen und Onstmettingen 24.500 Arbeiter beschäftigen, fehlt es an Kohle und elektrischem Strom, so dass sie ihre Betriebe schließen müssen.

Die Kassen der öffentlichen Einrichtungen sind innerhalb weniger Tage leer. Die Banken haben keinen Verfügungsspielraum mehr. Die Preise steigen. Die lokale Verwaltung ist nicht in der Lage, mit einer solchen Situation fertig zu werden. Einige ihrer Beamten sind eingezogen worden, und ihren betagten Stellvertretern fehlt es an Wissen und Erfahrung. Einige andere, die politisch kompromittiert sind, haben vorsichtshalber ihre Posten verlassen. Die Polizeikräfte reichen nicht aus, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Feuerwehr und der öffentliche Dienst sind völlig desorganisiert.

Fehlende Staatsgewalt

Das Fehlen der Staatsgewalt, materielle Isolierung, Versorgungsmangel, Arbeitslosigkeit, Preisanstieg, Plünderungen und Unordnung vergrößern die Apathie einer Bevölkerung, der gerade erst – und dies zum ersten Mal – die militärische Niederlage Deutschlands bewusst wird.

Die Aufgaben, die unter diesen Bedingungen die lokale Militärregierung erwarten, sind also recht vielfältig. Einige rufen nach sofortiger Bewältigung, andere können später in Angriff genommen werden. Viele sind materieller Natur und verlangen ein energisches Durchgreifen, andere – und beileibe nicht die unwichtigsten – haben eher moralische und politische Ziele und fordern eine vorsichtigere und überzeugende Vorgehensweise.

Meistens handelt es sich um langfristige Aufgaben, nur einige wenige sind zeitlich befristet. Im materiellen Bereich beziehen sich die dringendsten Probleme auf Fragen der Sicherheit und die Versorgung der Besatzungstruppen. […] Im moralischen und politischen Bereich zielt unser Handeln darauf ab, in einem gezwungenermaßen bescheidenen administrativen Rahmen, ein vernünftig gewordenes Deutschland in ein vereintes Europa einzugliedern.

Ordnung wiederherstellen

Um die Sicherheit der Truppen zu garantieren, muss zunächst die Ordnung wiederhergestellt und dann aufrechterhalten werden. Dazu müssen gefährliche Nazis gesucht und verhaftet, Widerständler aufgespürt, Waffen konfisziert, eine entnazifizierte Verwaltung und Polizei eingesetzt, der öffentliche Dienst reorganisiert sowie die Versorgung wiederhergestellt, die Kriegsgefangenen und Deportierten umgesiedelt, registriert und heimgeschickt sowie die Bewegungsfreiheit [innerhalb der Zone] geregelt werden.

Der Unterhalt der Truppen besteht aus der Requisition und Beschlagnahmung, der Versorgung mit Lebensmitteln, Ausrüstungsgegenständen, Wohnungen und deren Ausstattung, sowie der Übernahme der Depots der deutschen Armee. Notwendig sind eine strenge Kontrolle der landwirtschaftlichen Produktion und deren Verteilung und die Beschlagnahmung der Vorräte an Industrieprodukten und Lebensmitteln sowie die Schaffung eines Requirierungsamtes, das die Nachfrage befriedigen sowie die Bestimmungen hinsichtlich der Besatzungskosten umsetzen soll.

Demokratisierung, Entnazifizierung, Entmilitarisierung

Zeitlich gestaffelt bedeutet die Verteidigung der alliierten Interessen zunächst die Kontrolle des Besitzes der nationalsozialistischen Partei und ihrer Mitglieder, die Suche nach von deutschen Truppen in den besetzten Ländern geraubten Besitz, damit er zurückgegeben werden kann, die Entnahme von Werkzeugmaschinen im Vorgriff auf die Reparationen, die Bildung von speziellen Gerichten (für Naziverbrechen) sowie die Verwaltung von Fonds, die sich aus Strafen und dem Verkauf von Material der deutschen Truppen und Dienststellen alimentieren.

Und schließlich lässt sich das langfristige moralische und politische Ziel in Hinsicht auf die Bevölkerung in folgender Trilogie zusammenfassen: Demokratisierung, Entnazifizierung, Entmilitarisierung.

Demokratisierung bedeutet die Gründung neuer politischer Parteien, freie Wahlen, Einführung liberalerer Maßnahmen in der Verwaltung, Neuordnung der Gewerkschaften, Kontrolle des Erziehungswesens sowie der Versuch, der Jugend neue Ideale zu geben.

Entnazifizierung ist vor allem in der Verwaltung und in der Wirtschaft nötig, die dem Hitlerregime äußerst zahlreich materielle und finanzielle Unterstützung geleistet und als Gegenleistung substantielle Gewinne erhalten haben.

Entmilitarisierung sollte durch Demontage der kriegswichtigen Industrie, durch Überwachung der industriellen Produktion und Kontrolle der Führungskräfte der Ex-Wehrmacht, denen weiterhin Führungspositionen in Verwaltung und Wirtschaft untersagt bleiben sollten, sowie die Kontrolle jeder militärischen Aktivität erreicht werden.

Wenn die Kreisdelegation in den ersten Monaten ihres Wirkens, als sie neben den ohnmächtigen lokalen Behörden existiert und die volle Verantwortung für das Leben im Kreis übernimmt, über absolute Vollmachten verfügen muss, so ist doch klar, dass sich dies im Laufe der Zeit ändern muss. […] Die Amtsgewalt des Kreisgouverneurs, die zunächst absolut ist und sich auf alle Bereiche erstreckt, differenziert sich auf diese Weise: nach und nach wird das vormals ausgedehnte Feld der Befugnisse eingeschränkt, um dann schließlich, nach Verkündung des Besatzungsstatuts, nur noch als wachsame Kontrolle über Verwaltung, Politik und Wirtschaft des Kreises ausgeübt zu werden.

Militärregierung fortan eigenständig

Drei Etappen kennzeichnen diese Entwicklung: Die erste Etappe dauert von Mai bis Juli 1945. Sie entspricht der Übergangsphase vom Kriegszustand zur Besatzungszeit, als die gesamte Gewalt noch in den Händen des Militärkommandanten konzentriert ist und als die ungeklärte Situation die Ausübung weitreichender Polizeigewalt verlangt. […]

Die Kreisdelegation […] kümmert sich um die dringendsten Organisationsprobleme. Da diese sehr vielfältig und unterschiedlich sind und alle zur gleichen Zeit auftreten, sind direkte Entscheidungen und schnelle Lösungen, die den Bedürfnissen des Augenblicks entsprechen, außergewöhnliche Maßnahmen und, in allen Bereichen, großes Improvisationsvermögen vonnöten. Das ist die militärische Phase, die man auch als Phase der Organisation und Anpassung bezeichnen kann.

Sie endet am 24. Juli 1945, dem Datum, an dem die Schaffung des [französischen] Oberkommandos für Deutschland die Auflösung der 1. Armee und die Trennung der zivilen und militärischen Macht nach sich zieht. Die Militärregierung, die von nun an eigenständig ist und ihren militärischen Status verliert, obwohl sie den ursprünglichen Namen beibehält, wird ein [reines] Verwaltungsorgan und übernimmt die Amtsgewalt in der Zone.

Zwei Jahre lang wird die Kreisdelegation, unter Leitung der Délégation Supérieur Württembergs die unumschränkte Gewalt über die lokalen öffentlichen Einrichtungen ausüben, die sie [selbst] eingesetzt hat und die ihr vollständig unterstellt sind. Das ist die Phase der direkten Verwaltung, in der ihre Tätigkeit besonders intensiv und effektiv ist.

Kreisdelegation als Ratgeberstelle

Die Konferenz in Lindau vom 29. Juli 1947 markiert den Beginn der dritten Etappe. Sie reagiert auf die veränderte Situation, die im Mai durch die Verkündung der württembergischen Verfassung geschaffen wurde, und der allmählichen Rückgabe der Regierungsgewalt an die deutschen Behörden. Obwohl die Kreisdelegation weiterhin die oberste Gewalt und ihre repressiven Befugnisse behielt, übergibt sie der lokalen Verwaltung die Verantwortung für einige Bereiche, behält sich aber auch dort ein Interventionsrecht vor.

Ihre Rolle wandelt sich immer mehr zu der eines Ratgebers und Vorbilds. Dies ist die Phase der Kontrolle, eine Übergangsphase zwischen der absoluten Kontrolle und der überwachten Emanzipation, die im September 1949 mit dem Besatzungsstatut einsetzt.

Zu diesem Zeitpunkt endet die aktive Rolle der Militärregierung und ihre in gewissem Sinne kreative Funktion. Nachdem sie von ihrer Verantwortung für die Verwaltung und ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Neuordnung der öffentlichen Einrichtungen und der politischen Bildung, befreit ist, wird sich die Kreisdelegation von nun an darauf beschränken, als Beobachtungs- und Ratgeberstelle zu fungieren, die darauf achten soll, dass die deutschen Stellen die Klauseln des Statuts beachten, dem sie sich unterworfen haben.