Alltag mit dem lebensrettenden Loch im Hals: Selbsthilfegruppe Tracheostoma steht Betroffenen bei

Von Rosalinde Conzelmann

Unser Gesundheitssystem krankt – das ist die bittere Erfahrung, die die Mitglieder der Selbsthilfegruppe Tracheostoma als Betroffene selbst oder bei der Pflege ihrer Angehörigen mit dem lebensrettenden Loch im Hals erleben. Umso mehr sehen sie ihren Auftrag in der Aufklärung und werden nicht müde, zu berichten, dass es Therapien gibt, die den Patienten helfen. Allerdings müssen sie individuell sein und alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Ein Besuch bei Betroffenen.

Alltag mit dem lebensrettenden Loch im Hals: Selbsthilfegruppe Tracheostoma steht Betroffenen bei

Der Austausch und das Miteinander stehen bei den monatlichen Treffen im Vordergrund. Sitzend von links: Jürgen Roth, Roland Felske und Hartmut Gsell. Hintere Reihe (von links): Elfriede Adler-Merbach, Sandra Fischer, Margot Eppler, Teresa Strobel und Lisa Mayr.

Elfriede Adler-Merbach hat die Selbsthilfegruppe im Jahr 2014 gegründet und führt sie seither mit ihrer Tochter Karin Adler mit viel Herzblut und Engagement. Ihr Mann Toni hatte 2 Jahre zuvor einen Arbeitsunfall. Er hatte Einblutungen im Gehirn, die dazu führten, dass er nicht mehr schlucken konnte. Die Ärzte legten ihm ein Tracheostoma an. Seine Frau vertiefte sich in die Pflege, nahm ihn nach Wachkoma wieder zu sich nach Hause in die zwischenzeitlich behindertengerecht gebaute Wohnung.

Die Suche nach einem Logopäden gestaltete sich schwierig, in der elften Praxis fand sie Gehör. Mit Lisa Mayr fand die Familie eine kompetente Begleiterin mit großem Fachwissen. „Sie traute sich, meinen Mann wieder zu entblocken, er konnte wieder schlucken und wieder sprechen.“ Lisa Mayr ist zwischenzeitlich für Adler-Merbach und die „große Familie“ der Selbsthilfegruppe zur Vertrauensperson, Ratgeberin und Expertin geworden.

2014 Selbsthilfegruppe gegründet

Diese hat Adler-Merbach dann gegründet, weil sie bei der Pflege daheim den Austausch und den Kontakt mit anderen Angehörigen vermisste und es keine Selbsthilfegruppe gab. Das Motto der Gruppe lautet „Lebenswert trotz Tracheostoma“ und drückt genau das Gefühl aus, das Adler-Merbach den Betroffenen vermitteln möchte, weil sie weiß, wie sich das Alleingelassensein als Angehörige anfühlt.

Alle Stühle sind besetzt

Es ist Donnerstagabend: Am großen Tisch in den Räumen des Vereines „iNot“ in der Simon-Schweitzer-Straße in Balingen, wo auch die Selbsthilfegruppe beheimatet ist, ist jeder Stuhl beim monatlichen Treffen besetzt. Vierteljährlich kommen auch die Therapeutinnen Lisa Mayr und Teresa Strobel dazu. Heute sind sie dabei. „Wenn ich sie nicht hätte, könnte ich heute nicht sprechen“, sagt Jürgen Roth. Der 64-Jährige hatte Kehlkopfkrebs und trägt seither ein Tracheostoma mit speziellem Aufsatz.

Margot Eppler ist aus Bitz hergefahren. Die 70-Jährige ist als betroffene Angehörige da. Ihr Mann ist im Mai 2022 im Ausland gestürzt und seither ein Pflegefall. Der 76-Jährige kann sich nicht bewegen, nicht sprechen und wird seit Dezember 2022 in einer Intensivpflege-Wohngemeinschaft betreut. Sie kommt nach Balingen, weil ihr der Austausch wichtig ist. Hier kann sie alles rauslassen, sagen, was sie bedrückt. „Außenstehende können oft nicht verstehen, wenn wir erzählen, wie es uns geht“, sagt Adler-Merbach. „Plötzlich ist dein Mann, der dir Halt und auch Sicherheit gab ein erwachsener Mensch, der völlig hilflos ist und nichts mehr kann.“

Am Anfang gab es Schwierigkeiten

Roland Felske ist seit 2019 nach einer Operation am Kehlkopf auf ein Tracheostoma angewiesen, weil er zu wenig Luft bekommt. Am Anfang hatte er große Probleme mit der Kanüle, weil es oft blutete. Nachdem er die Selbsthilfegruppe besucht hat, hat er viele wertvolle Ratschläge bekommen. „Es ging mir zunehmend besser, die Gruppe hat mir sehr geholfen“, sagt er. Der 55-Jährige ist berufsunfähig, kommt aber mit seiner Einschränkung gut zurecht. „Für meine Familie war es schwerer als für mich“, sagt er. Er bemängelt, dass zum Teil Inhalationslösungen, die man benötigt, nicht bezahlt werden.

Ärzte wissen oft nicht Bescheid

Das bestätigt Lisa Mayr, die ebenso wie Adler-Merbach kritisiert, dass viele Ärzte nicht Bescheid wissen, wie sie mit Tracheostoma-Patienten umgehen sollen. „Viele werden deshalb falsch behandelt“, nimmt Adler-Merbach kein Blatt vor den Mund. Mayr wird noch deutlicher: „Weil sie dieses Krankheitsbild nur selten haben, halten die Mediziner an alten Zöpfen fest.“ Außerdem gäbe es oft Zuständigkeitsprobleme: Ist jetzt der Neurologe oder der HNO-Arzt besser? „Für die Anatomie ist der HNO der Richtige, bei den Schluckbeschwerden ist der Neurologe gefragt und bei Menschen, die beatmet werden, braucht es den Lungenfacharzt“, klärt Mayr auf. „Ich habe bereits ein halbes Jahr nach einem Hausarzt gesucht“, ergänzt Margot Eppler.

Man kann viel machen

Lisa Mayr und ihre Kollegin Teresa Strobel arbeiten ausschließlich mit „T-Patienten“. Sie stellen immer wieder fest, dass die Angehörigen bei der Pflege alleingelassen werden und verzweifelt sind. Und dabei könne eine individuelle Therapie so viel bewirken. „Wir sollten alle an einem Strang ziehen und nicht gegeneinander arbeiten“, wünscht sich Mayr.

Es kann trotzdem Lebensqualität geben

Nachdem sie ihren ersten Kanülenpatienten behandelt hatte, vertiefte sie sich in die wirklich sehr komplexe Thematik und bildet sich seither ständig fort. „Man kann mit wenig Aufwand sehr viel Lebensqualität zurückholen“, ist ihr Credo – wenn Kompetenzgerangel außen vor bleibt. Felske nickt: Das könne er als Patient bestätigen.

„Wir brauchen sowohl die aufgeklärten Angehörigen als auch gut ausgebildete Pflegekräfte“, sagt Mayr, die aus Meßkirch kommt. Auch mit einem Tracheostoma könne man das Leben genießen. Adler-Merbach gibt die Aussage eines Patienten wieder: „Wenn du wieder durch Mund und Nase atmest, beginnt der Kopf wieder zu arbeiten.“

Viele der Kanülenträger haben mit Schluckbeschwerden zu kämpfen oder müssen beatmet werden. Oft ist dabei auch der Geruchs- und Geschmackssinn eingeschränkt. Der Speichel muss regelmäßig abgesaugt werden, vielfach ist Sprechen nur bedingt oder gar nicht möglich.

Tracheo steht übrigens für die Luftröhre; Stoma für die Öffnung, sprich das Loch. Ein Tracheostoma kann vorübergehend oder dauerhaft angelegt werden. Alle 28 Tage muss die Kanüle gewechselt werden. Viele Träger eines Tracheostomas können die Kanüle selbst reinigen und das Stoma selbst pflegen. Andere sind auf Hilfe angewiesen. Und dann braucht es Menschen, die über Kenntnisse verfügen, wie man es im jeweiligen Fall macht. Manche Angehörigen trauen sich diese Aufgabe aber nicht zu, andere machen es ganz selbstverständlich.

Auch der Vdk hilft

Hartmut Gsell aus Bisingen ist nach Schilddrüsenkrebs mit einer Stimmbandlähmung austherapiert. Er trägt einen Tracheostoma-Platzhalter aus weichem, medizinischem Silikon. Der 61-Jährige erzählt, dass er viel ausprobiert hat und nach Balingen kommt, um seine Erfahrungen weiterzugeben. Ihm hat bei dem beschwerlichen Weg zur Erwerbsunfähigkeit auch der VdK geholfen.

Ein Großteil der Menschen mit Tracheostoma liegen im Wachkoma und werden zuhause oder in Intensivpflege-Wohngemeinschaften gepflegt und versorgt. „Diese Betroffenen tauchen nirgendwo auf“, bedauert Mayr.

Kasse zahlt nicht mehr

Adler-Merbach spricht noch ein anderes Problem an: „Die Krankenkasse zahlt die Intensivpflege. Wenn die Kanüle wegkommt, brauchen die Patienten aber weiterhin Hilfe, die die Kasse aber nicht bezahlt.“ Ihr bitterer Eindruck: „Sie überleben dank des medizinischen Fortschritts, werden dann aber im Stich gelassen.“

Es gibt Wünsche

Was liegt den Betroffenen auf der Seele? Welche Wünsche haben die beiden Logopädinnen, die für ihren Beruf brennen? „Wir wünschen uns Ärzte, die bereit sind, sich auf die vielfältigen Anforderungen bei der Betreuung von Tracheostomapatienten einzulassen“, sagt Adler-Merbach. „Es ist wichtig, dass alle Beteiligten bereit sind, auf neue medizinische Entwicklungen einzugehen“, ergänzt Mayr. Früher seien Kanülenpatienten nicht so alt geworden. „Ein Netzwerk auf Augenhöhe“, wünscht sich Teresa Strobel.

Adler-Merbach verrät noch ihren Traum: „Wenn wir mit dem Zollernalb-Klinikum zusammenarbeiten könnten, mit einem Anästhesisten, der wiederum mit Logopäden zusammenarbeitet.“ Auch die Zusammenarbeit mit einem HNO-Arzt oder einem Lungenfacharzt wäre wünschenswärt, sagt sie. Ihr Mann Toni, der nicht mehr lebt, wäre stolz auf die Arbeit seiner Frau.