Albstädter Literaturtage: Peter Stamm und die Begegnung zweier unbekannter Bekannter

Von Jennifer Dillmann

Der Schweizer Autor las im Lautlinger Schloss aus seinem Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“.

Albstädter Literaturtage: Peter Stamm und die Begegnung zweier unbekannter Bekannter

Lesung im Schloss: Der Schweizer Autor Peter Stamm (links) und Moderator Dr. Christian Schenk.

„Ich glaube Menschen sind Geschichtenmaschinen, die in Erklärversuchen Dinge zusammenbringen, die eigentlich gar nicht zusammengehören“, bemerkte der Autor Peter Stamm, der in seinen Werken gerne existenzielle menschliche Erfahrungen thematisiert. Er hielt am Mittwochabend im Stauffenberg-Schloss eine Lesung zu seinem Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“. Im Rahmen der Albstädter Literaturtage hatte die Stadtbibliothek ihn eingeladen.

Psychologie wurde irgendwann uninteressant

Der gebürtige Schweizer machte eine kaufmännische Ausbildung bevor er einige Semester unter anderem Psychologie studierte. Letzten Endes verschrieb er sich dem Dasein als Schriftsteller. „Die Psychologie ist irgendwann uninteressant für mich geworden“, erklärte Stamm. „Es geht dabei immer darum, zu verallgemeinern. Dies ist ein Depressiver und dies ein Neurotiker. Dabei ist es viel spannender, einen Menschen persönlich kennenzulernen. Genau das kann ich im Schreiben.“

Start mit unzähligen Unerklärtheiten

Spannende Individuen kreierte er somit in „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ mit den Doppelgängern Christoph mit Magdalena und Lena mit Chris. Die Begegnung zweier unbekannter Bekannter beginnt mit unzähligen Unerklärtheiten.

Eine Geschichte in der Geschichte

Ebenso wie sein Debütroman „Agnes“ beinhaltet auch „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ eine Geschichte in einer Geschichte, die dann wiederum weitere Texte wie Tagebücher heranzieht. Außerdem eröffnen sich mehrere Zeitebenen. Der Lesende erlebt die gegenwärtige Begegnung zwischen den Protagonisten Christoph und Lena, wird aber immer wieder in Rückblenden hineingeworfen bis irgendwann die Lena der Gegenwart und die Magdalena der Erinnerung in ein und demselben Pronomen „sie“ verschmelzen.

Vom ersten Satz an gefangen

„Ich war vom ersten Satz an gefangen von dem Roman“, berichtete eine Leserin in der Fragerunde im Anschluss. „Allerdings war ich verwirrt über den Inhalt. Jetzt, nach der Lesung, kann ich aber aufhören zu grübeln und die Geschichte einfach genießen.“

Trotz auffälligem hellblauem Hemd nahm sich Peter Stamm eher zurück und stellte seinen Text vollkommen in den Vordergrund. Während dem Lesen suchte er keinen Blickkontakt zum Publikum. Stattdessen legte er eine klare Präsenz in seine sanfte Stimme, die den Einzelnen im lauschenden Publikum anzusprechen vermochte.

Dr. Christian Schenk moderierte den Abend

Moderiert wurde der Abend von Schulleiter Dr. Christian Schenk. Nachdem er Einblicke in Stamms Biographie gab – „Nach Lesereisen in Mexiko, Russland und Iran beehrt uns Peter Stamm nun in Albstadt“ – berichtete er von seiner eigenen ersten Begegnung mit dem Autor. Diese fand bei einer Lesung im Gymnasium Riedlingen statt, wo Schenk sogleich die „bescheiden freundlich reflektierte Art“ des Autors bemerkte.

Stamm schreibt übers Schreiben

Peter Stamm ist ein Schriftsteller, der gerne über das Schreiben schreibt – sowohl in „Agnes“ als auch in „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“. „Das hat mit dem Zeitgeist zu tun“, erklärte Stamm, „Künstler reflektieren heutzutage über ihre Kunst. Wir erzählen nicht einfach nur Geschichten, das tun inzwischen die Filme. Es geht um die Frage: Was tut man, indem man Geschichten erfindet?“ Während sich in dem neuen Roman viele Anlehnungen an Agnes finden, gibt es einen entscheidenden Unterschied. „Ich wollte, dass dieses Mal die Frau gewinnt. In ‚Agnes‘ gewinnt schließlich der Mann“, erklärte Stamm.