Balingen

„5 vor Mord“: Fast fünf Jahre Haft für Würgen der Ehefrau in Balingen

05.10.2020

Von Pascal Tonnemacher

„5 vor Mord“: Fast fünf Jahre Haft für Würgen der Ehefrau in Balingen

© Pascal Tonnemacher

Die Justizvollzugsanstalt in Hechingen: Hier saß der jetzt Verurteilte bislang in Haft (Symbolfoto).

Ein 54-Jähriger ist am Landgericht Hechingen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er seine Ehefrau in Balingen aus Eifersucht bedroht und beinahe erwürgt hatte.

„Wir sind hier in Deutschland, im Zeitalter der Gleichberechtigung, und haben keinen Platz für einen solchen Ehrbegriff, weil die Frau einen verlassen will“, sagte der Vorsitzende Richter Dr. Hannes Breucker am Montag.

Die Große Strafkammer am Landgericht Hechingen verurteilte einen 54-Jährigen zu einer Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten, weil dieser wie mehrfach berichtet im März dieses Jahres seine Ehefrau in ihrer Wohnung in Balingen beinahe zu Tode gewürgt und schon im Februar mit einem Messer massiv bedroht hatte – davon ist die Kammer überzeugt.

Ehefrau leidet noch immer unter der Tat

„Diese Dinge wird die Frau nie vergessen“, sagte Richter Breucker und fasste weiter zusammen: „Was gibt es Schlimmeres, als im eigenen Bett vom eigenen Mann fast zu Tode gewürgt zu werden?“

Als „5 vor Mord“ bezeichnete deshalb die Vertreterin der Staatsanwaltschaft die juristische und gesundheitliche Situation Ende März, als der 54-Jährige seine Ehefrau über einen Zeitraum von 90 Minuten überfallen und mehrmals gewürgt hatte.

Kein Urteil wegen Mordversuchs

Juristisch günstig kam es für den Angeklagten, dass er „vom Mordversuch zurückgetreten“ war.

Deshalb wurde er nicht wie angeklagt wegen versuchten Mordes sondern wegen einer gefährlichen Körperverletzung verurteilt, die einen niedrigeren möglichen Strafrahmen vorsieht.

Niedrigere Strafe wegen Krankheit

Strafmildernd wirkte sich für den 54-Jährigen neben dem Teilgeständnis zudem eine diagnostizierte Depression aus.

Die Kammer folgte der Empfehlung des psychiatrischen Sachverständigen, der dem Mann deshalb eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit und eingeschränkte Steuerungsfähigkeit attestierte. Das Unrecht seiner Tat habe er aber dennoch erkennen können.

Todesdrohungen kommen per Messenger

Die Staatsanwältin und die Nebenklagevertreterin zitierten in ihren Plädoyers aus den unverhohlenen Todesdrohungen, die der 54-Jährige seiner Ehefrau per Chat schickte, kurz bevor er zu ihr fuhr und sie dann beinahe tatsächlich tötete.

Das seien Zeichen seiner „erschreckenden Motivation“ und der „gefühlskalten, brutalen und egoistischen“ Taten. Bei einer solchen Kränkung, so die Staatsanwältin, „erwartet unsere Gesellschaft andere Verhaltensmuster“.

Gerichtsmedizinerin bescheinigt Lebensgefahr

Wie nah die Frau dem Tode war, kann auch eine Sachverständige nicht zweifelsfrei nachvollziehen. Doch neben den sehr ausgeprägten Verletzungen spreche vor allem eine sehr tiefe Bewusstlosigkeit für eine akute Lebensgefahr.

Schlussendlich „rettete“ der 54-Jährige seiner Ehefrau das Leben, wie es der Verteidiger beschrieb, indem er ihr die Zunge aus dem Rachen holte. „Hätte er das nicht getan, würden wir hier wohl einen vollendeten Mord verhandeln“, sagte er. Der Angeklagte betonte, er habe sie nicht umbringen wollen.

Verteidiger sieht „Beziehungstat“

Der Verteidiger beschrieb in seinem Plädoyer keinen Femizid, sondern viel mehr eine „Beziehungstat“, zu der immer zwei Personen gehören würden. Denn auch von der Frau seien Versöhnungsversuche ausgegangen, nachdem es nach langjähriger Ehe nicht mehr so rund lief.

Gepackte Koffer seines Mandanten habe sie bis zum Abend wieder ausgepackt und so eine klare Trennung zu dem Zeitpunkt verhindert. Außerdem habe sie ihrem Mann weiter ihre Liebe zugesichert, trotz der bereits laufenden neuen Liebesbeziehung zu einem jüngeren Mann in der Türkei.

Telefonat bringt Fass zum Überlaufen

Ein Telefonat mit dem „Neuen“ seiner Ehefrau, bei dem der 54-Jährige beleidigt und erneut in seiner Ehre gekränkt worden sei, habe das Fass zum Überlaufen gebracht.

Er forderte für seinen Mandanten, der in seinen letzten Worten Einsicht zeigte und um Entschuldigung und Milde bat, eine niedrigere Strafe.

Helfen lassen statt selber regeln

Richter Breucker sah auch seine frühere Prägung in der Türkei als maßgeblich für dieses Verhalten. Er habe ein Selbstverständnis in sich, alles selbst regeln zu müssen.

Viel mehr hätte er sich aber professionell helfen lassen und so eine Lösung finden müssen. Dann wäre die Situation nicht zwei Mal eskaliert und er hätte seine Frau nicht zwei Mal versucht zu bedrängen und bedrohen.

Schlaflosigkeit und Eifersucht als Auslöser

In einem nun verlesenen Brief aus der Untersuchungshaft erklärte der 54-Jährige die Taten mit der andauernden Schlaflosigkeit und der Eifersucht wegen der von ihm auf dem Handy seiner Frau entdeckten Liebesbekundungen an einen anderen Mann. Er sei nicht bei Sinnen gewesen, für ihn sei eine Welt zusammengebrochen. Er liebe sie noch immer.

Prozesstaktik, Verdrängung, Teil der Krankheit? Dass der Mann sich an die Tat im März vollständig nicht erinnern kann, lässt sich auch nicht durch den Sachverständigen zweifelsfrei erklären.

Kultur mit Schuld an der Tat

Dieser empfahl dem Mann jedoch auch einen transkulturellen Kurs. Er kenne sich damit aus, da er sich oft berufsbedingt mit solchen Themen beschäftigt habe. Denn es sei oftmals der Fall, dass Migranten noch stark in ihre Kultur eingebunden seien und es anders erleben, wenn sich die Frau wegen eines anderen, jüngeren Partners trennen wolle.

Dass die Ehefrau bei häuslicher Gewalt nicht gegen ihren Mann aussagen wolle, kommt laut eines Polizeihauptkommissars in nicht-deutschen Milieus vor, wenn es ein patriarchalisches Verhältnis zwischen Mann und Frau gebe.

Ungeklärt blieb schlussendlich die Wohnsituation des Ehepaars, auch wenn der 54-Jährige eine Wohnung in Hechingen hatte, und bei der zweiten Tat nur unter einem Vorwand ins Haus gelang und dann die Türe zur Wohnung eintrat.

Mann muss Schmerzensgeld zahlen

Im Rahmen dieses Verfahrens einigten sich das Opfer und der Verurteilte auf einen Vergleich und sparen sich so einen Zivilprozess. Der 54-Jährige übernimmt die Prozesskosten der Frau und muss 10.000 Euro Schmerzensgeld an sie bezahlen, sollte er wieder ein geregeltes Einkommen haben. „Das ist ein sehr gutes Zeichen, dass Sie dazu bereit sind“, sagte Richter Breucker in Richtung des Angeklagten.

Update, 13. Oktober, 15 Uhr: Wie das Landgericht auf Anfrage mitteilt, ist das Urteil nun rechtskräftig.

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