Geislingen

10 Jahre Trauercafé auf dem Kleinen Heuberg: „Wir lachen und wir weinen miteinander“

06.11.2019

Von Rosalinde Conzelmann

10 Jahre Trauercafé auf dem Kleinen Heuberg: „Wir lachen und wir weinen miteinander“

© Rosalinde Conzelmann

Veronika Killmayer (von links), Adelbert Braun und Diakon Reiner Dehner im Gespräch mit den Trauernden.

Für viele ist es seit fünf, sechs Jahren eine Anlaufstelle, ein tröstlicher Ort zum Reden, Zuhören, Auftanken; andere kommen nur wenige Male. Für die ehrenamtlichen Betreuer Diakon Reiner Dehner, Adelbert Braun und Veronika Killmayer ist das Trauercafé seit zehn Jahren eine Heimat, in der sie jeden willkommen heißen.

Von der ersten Stunde an begleitet das Trio ihr Herzensprojekt mit viel Engagement und auch Freude. Und dabei sah es im ersten Jahr für einen Moment sehr kritisch aus.

Im ersten Jahr war beinahe das Aus da

„Wir waren kurz vorm Aufgeben, weil die Resonanz so gering war“, erinnert sich Reiner Dehner, auf dessen Initiative das Projekt auf den Weg gebracht wurde. Er habe sich mit dem damaligen Pfarrer Rudolf Junginger besprochen, der der Meinung war, dass es auch ohne Trauercafé geht. „Ich habe mir noch einen Termin gegeben und an diesem Nachmittag sind fünf Menschen gekommen“, sagt er.

Die Zweifel waren weg und die Besucherzahlen liegen seither zwischen fünf und elf. Es gab auch schon Nachmittage, da saßen 15 Trauernde am Tisch. „Das ist dann aber die Obergrenze“, sagt Veronika Killmayer.

Die erste Zeit fand das Trauercafé der Seelsorgeeinheit Am Kleinen Heuberg an wechselnden Orten statt, fand dann aber seinen festen Platz im Gemeindehaus der katholischen Kirchengemeinde Geislingen. Die Kirchengemeinde trägt auch die weiteren Kosten. Die Betreuer arbeiten ehrenamtlich.

Veronika Killmayer kümmert sich um die jahreszeitlich passende Dekoration. Am Dienstag brennen auf dem großen Tisch im katholischen Gemeindehaus in Geislingen stimmungsvolle Teelichter in gelben Gläsern, umrahmt von Kürbissen und bunten Laubblättern.

Jedes Treffen startet mit einem Impuls

Die Männer und Frauen, die am Tisch sitzen, haben nach der Begrüßung einer Geschichte gelauscht, die Veronika Killmayer vorgetragen hat. Denn jede Begegnung startet mit einem Impuls. Sei es eine Andacht, ein Gedicht, ein Lied oder eine Erzählung. Es gibt Kaffee und Kuchen.

Wenn Neue da sind, dürfen diese sich und ihre Geschichte vorstellen. „Das ist aber kein Muss“, betont Diakon Dehner. „Es ist jedem selbst überlassen, ob er sich öffnen und erzählen möchte.“

Die Zeit vergeht schnell

Am Dienstag ist die Stimmung ruhig und familiär. Die Trauernden reden miteinander, sie hören zu und sie trösten sich. Die zwei Stunden vergehen wie im Flug.

Gemeinsam räumen alle den Tisch ab und die Frauen verziehen sich in die Küche, um abzuspülen. Eine freiwillige Leistung, die die Betreuer freut.

Es kommen mehr Frauen

Die Trauernden, die kommen, sind zwischen 50 und 80 Jahre alt. Viele haben ihre Partner verloren, einige auch ihre Kinder. Es sind überwiegend Frauen, die die Gemeinschaft suchen. „Männer sind da einfach introvertierter, wollen die Trauer mit sich selbst ausmachen“, meint Adelbert Braun.

Die Gemeinschaft spendet Trost, wenn es nötig ist. Vielen tut es gut, ihre Geschichte zu erzählen. „Besonders schlimm sind Suizide“, sagt Adelbert Braun. Diese Schilderungen sind dann für alle oft nur schwer auszuhalten, gemeinsam sei es aber erträglicher.

Anderseits, betont Veronika Killmayer, die nach dem frühen Tod ihres Mannes selbst trauert und oft mit ihrem Schicksal hadert, gehöre der Tod zum Leben. „Wir alle müssen diesen Weg irgendwann gehen“, meint Diakon Dehner.

Auch Wut ist erlaubt

Das Trauercafé steht allen offen. Alter, Beruf, Wohnort und auch die Konfession spielen keine Rolle. Es ist ein Ort, an dem sich die Trauernden öffnen und ihren Schmerz von der Seele reden können. „Sie dürfen auch wütend sein“, betont Veronika Killmayer, denn auch wenn der Schmerz nachlasse, bleibe der Verlust.

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Wir geben keine Antwort auf die Frage des Warums. Diakon Reiner Dehner

Wir alle müsen diesen Weg irgendwann gehen. Veronika Killmayer

Bei den Treffen wird auch über Schuldgefühle geredet, die in vielen Trauerfällen eine Rolle spielen. Die fünf Phasen der Trauer – Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz – sollen den Menschen helfen, sich selbst zu verstehen und einen Weg zurück in den Alltag zu finden.

Hier offenbaren sich oft Erkenntnisse für die Trauernden. „Eine Frau meinte kürzlich, dass sie noch immer in der Phase eins gefangen ist“, berichtet Veronika Killmayer. Dank dieser Einsicht werde die Frau nun versuchen, sich weiter mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen, um weiterzukommen.

Warum gerade ich?

Eine zentrale Frage sitzt tief in allen Köpfen von Trauernden: das Warum. Warum musste mein Mann so früh gehen? Warum hat mein Kind sich das Leben genommen? Warum trifft es gerade unsere Familie so hart?

„Auf diese Frage gibt es keine Antwort“, sagt Diakon Dehner. Alles, was man sage, können falsch sein. Wenn die Frage dennoch kommt, erzählt er manchmal die Lebensgeschichten von Heiligen, die sehr jung gestorben sind.

Er überlässt es dann seinen Zuhörern zu entschieden, ob es den Verstorbenen nach dem Tod besser geht. „Wir wissen es nicht“, sagt der Theologe, der Gott nur dann ins Spiel bringt, wenn er spürt, dass es passt. Überfahren wird keiner und der Glaube spielt keine Rolle im Trauercafé.

„Manche sind sehr verbunden mit der Kirche, andere weniger“, sagt Adelbert Braun. Der viel belesene Katholik sucht die gehaltvolle Lektüre für die Zusammenkünfte aus.

Es wird nicht nur über Trauer geredet

Das Trauercafé ist ein Ort, an dem nicht nur über Trauer geredet wird. „Wir reden über Gott und die Welt und politisieren auch ab und an“, meint Veronika Killmayer, die sich über jede positive Veränderung eines Trauernden mitfreut.

„Ich habe zum ersten Mal nach sechs Monaten heute wieder gelacht“: Es sind Aussagen wie diese einer Trauernden, die der Geislingerin bestätigen, dass ihre ehrenamtliche Arbeit richtig und gut ist. Deshalb will sie weitermachen; ebenso wie Adelbert Braun und Diakon Reiner Dehner.

Jeder kann kommen

Das Trauercafé findet immer am ersten Dienstag des Monats von 15 bis 17 Uhr im katholischen Gemeindehaus in Geislingen statt und steht allen offen.

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