Zollernalbkreis

„Die Menschen sind mit den Jahren kränker geworden“

07.11.2018

Die Suchtberatung hat sich verändert. Zum 40-jährigen Bestehen der Diakonischen Bezirksstelle Balingen sprachen Experten über den Wandel und die aktuelle Situation.

Seit 40 Jahren berät die Diakonische Bezirksstelle Balingen Suchtgefährdete und Suchtkranke. Zum Jubiläum fand am Montagvormittag im evangelischen Gemeindehaus Balingen eine Veranstaltung statt, bei der sich Experten austauschten. Ein Thema war dabei, wie sich die Arbeit mit Suchtkranken in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat.

„Die Menschen sind mit den Jahren kränker geworden“

© Fotolia/Rainer Fuhrmann

Der tägliche Griff zur Flasche: Der demografische Wandel sei auch in der Suchtberatung spürbar, erzählen die Mitarbeiter der Diakonischen Bezirksstelle in Balingen. Einige hätten das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden.

Dekan Beatus Widmann begrüßte die Gäste. Er bezeichnete die Mitarbeiter der Diakonischen Bezirksstelle in Balingen „als Schatz“ und die seit 23 Jahren tätige Fachbereichsleiterin Magdalena Dieringer hochachtungsvoll als „Institution“. Widmann freute sich über das gute Netzwerk im Zollernalbkreis und betonte, dass Kirche und Politik in Suchtangelegenheiten an einem Strang ziehen und gemeinsam zusammenarbeiten.

„Mit ihrer Unterstützung für Menschen mit Suchterkrankungen übernehmen sie eine wichtige Aufgabe und stellen sicher, dass sich diese Erkrankten nicht am Rand der Gesellschaft befinden“, bedankte Dr. Gabriele Wagner vom Landratsamt in ihrem Grußwort für das Engagement der Mitarbeiter.

„Die Menschen sind mit den Jahren kränker geworden“

© Privat

Martina Gminder, Dorothea Dehner, Diana Tobiska Uhl, Bettina Armbruster, Fachbereichsleiterin Magdalena Dieringer, Geschäftsführerin Diana Schrade-Geckeler sowie Dietmar Lang und Carolin Fischer (von links) diskutierten über ihre Arbeit.

Einblicke in die Arbeit

In der anschließend von der Geschäftsführerin der Diakonischen Bezirksstelle Balingen Diana Schrade-Geckeler moderierten Gesprächsrunde gaben die Mitarbeiter Einblick in ihre Arbeit. „Ich habe den Eindruck, dass die Menschen mit den Jahren in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht kränker geworden sind, auch die Anzahl von Doppeldiagnosen hat immer mehr zugenommen“, sagte Magdalena Dieringer.

Die Anzahl von Alkoholkranken sei mit den Jahren prozentual geringer geworden, andere Süchte hätten jedoch zugenommen. „Zudem gehen wir jetzt mehr raus aus unseren Räumen als in der Vergangenheit, besuchen Krankenhäuser und machen in Ausnahmefällen auch Hausbesuche“, so Dieringer.

Der Mensch im Mittelpunkt

Mitarbeiterin Martina Gminder sieht die zieloffene Suchtarbeit, bei der der Suchterkrankte beim Erreichen der eigenen Ziele unterstützt werden soll, als große Veränderung an. Bei der Diakonie stehe laut Gminder der Mensch und nicht die Suchterkrankung im Mittelpunkt „Der demografische Wandel ist auch bei unserer Arbeit spürbar“, sagte sie.

Ältere Menschen hätten mit besonderen Belastungen wie körperlichen Einschränkungen, Wegzug der Kinder oder dem Tod des Partners zu kämpfen, zudem bekämen sie mit den Jahren immer mehr das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. „Mit bestimmten Angeboten unterstützen wir die älteren Menschen, so dass sie lernen die Veränderungen anzunehmen und mit ihren körperlichen Gebrechen umzugehen“, erklärte Mitarbeiterin Diana Tobiska Uhl in der Gesprächsrunde.

Mitarbeiterin Dorothea Dehner ging auf die Probleme in der täglichen Arbeit ein. „Im Gegensatz zur Bezirksstelle in Tübingen, die mit dem Universitätsklinik zusammenarbeitet, verfügen wir nicht über solch eine Einrichtung, es wäre ein Wunschtraum, dass wir irgendwann einmal zu einer Außenstelle für die Tübinger Universitätsklinik werden würden“, meinte Dehner.

„Der Verwaltungsaufwand in Form von Anträgen, Rechnungen und Statistiken steigt immer weiter an“, kritisierte Verwaltungsmitarbeiterin Bettina Armbruster. Mitarbeiter Dietmar Lang bezeichnete es als Herausforderung, den Spagat zwischen Aufklärung an den Schulen einerseits und niederschwelliger Einzelberatung anderseits hinzubekommen. Sie ging auch auf die Gefahren der Digitalisierung ein. „Spielsucht und WhatsApp-Druck sind neu entstanden, Drogen können über das Darknet bezogen werden und über Drogen kann man sich im Netz austauschen“, sagte sie.

Suchthilfe im Wandel

Anschluss hielt der Bremer Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung am Forschungsinstitut ISFF Frankfurt, Professor Dr. Heino Stöver, einen Vortrag. Thema war der Wandel in der Suchthilfe. „Vor 40 Jahren herrschte die Meinung, dass Alkohol zu 100 Prozent tödlich sei, selbst in den 1990ern gab es die Ansicht, dass Sucht sich nicht auswachsen lassen könne“, so Stöver.

Vor 40 Jahren sei die Suchtarbeit noch eindeutig und abstinenzorientiert gewesen und es habe noch keine pharmakologischen Unterstützungen gegeben, so der Experte.

Für die musikalische Umrahmung sorgten Peter und Gerlinde Völkle. Peter Völkle war früher ein Patient der Beratungsstelle. Im selbst komponierten „King without a Crown“ verarbeitete er seinen Absturz musikalisch.

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