Albstadt

Nicht bloß harmlose Spinner

03.05.2018

von Benno Schlagenhauf

Verfassungsschützer Felix Blum referierte in der Albstädter Zollernalbhalle über die Reichsbürgerszene.

Am 25. August 2016 schießt Adrian Ursache – Mister Germany 1998 – bei der Zwangsräumung seines Grundstücks, das er zu seinem eigenen Staat erklärt hatte, auf einen Polizisten und verletzt ihn schwer. Zwei Monate später stirbt ein Beamter des Spezialeinsatzkommandos in Georgensgmünd nach tödlichen Schüssen eines sogenannten Reichsbürgers, dessen Waffen beschlagnahmt werden sollten.

Diese zwei Vorfälle brachten die bis dato eher unbekannte Reichsbürgerbewegung in die große Öffentlichkeit und lösten eine politische Debatte über deren Gefährlichkeit aus.

„Reichsbürger gab es natürlich schon vor 2016“, erklärt Verfassungsschützer Felix Blum, der am Mittwochabend im Foyer der Zollernalbhalle auf Einladung der Gemeinderatsfraktionen von CDU, SPD und FDP referiert. „Es ist aber nicht in Ordnung, dass erst jemand sterben musste, bis das ein Thema wurde.“

Im Internet blühen die kruden Thesen auf

Bereits 1985 habe es „Reichsbürger“ gegeben, die die Bundesrepublik Deutschland ablehnen und an den Fortbestand des deutschen Reiches glauben. „Richtig aufgeblüht ist das aber mit der Verbreitung des Internets“, erklärt Blum, der beim Verfassungsschutz neben „Reichsbürgern“ auch islamfeindliche und rechtsextremistische Bestrebungen beobachtet.

Viele Anhänger der Szene sind bewaffnet

Rund 18 000 „Reichsbürger“ gibt es in Deutschland laut Schätzungen des Landesamts für Verfassungsschutz, etwa 3000 in Baden-Württemberg. „Wir haben die Schätzung erst kürzlich nach oben korrigiert“, sagt Blum. Was besonders Sorge macht: Viele „Reichsbürger“ sind bewaffnet. 6,7 Prozent im Bundesschnitt und auf Landesebene sogar 9,3 Prozent haben Waffen zuhause. Eine der Aufgaben des Verfassungsschutzes ist es daher, Infos über „Reichsbürger“ zu sammeln und einzuschätzen, wie gefährlich sie sind.

Wie es ausgeht, wenn gewaltbereite „Reichsbürger“, die die deutsche Justiz, Polizei und Behörden nicht anerkennen, die Sache selbst in die Hand nehmen, zeigte ein von Blum gezeigtes Video. Darin nahmen uniformierte Polizisten des Deutschen Polizeihilfswerks – „das ist wie die Freiwillige Feuerwehr, nur in unseriös“ (Blum) – einen Gerichtsvollzieher gewaltsam fest.

Lebenskrisen führen oft in die Szene

Im Allgemeinen ist das Reichsbürgermilieu sehr vielschichtig, es gibt zahlreiche Kleingruppen in der Szene, die teilweise in Konkurrenz zueinander stehen: „Es gibt in Deutschland gleich eine ganze Reihe von Personen, die sich selbst zum Reichskanzler ernannt haben.“ Politische Unzufriedenheit könne eine Rolle dafür spielen, dass jemand von der Gesellschaft und vom Rechtsstaat entfernt und zum „Reichsbürger“ wird, jedoch sieht Blum meist eher eine Lebenskrise als Ursache.

Während die Mehrheit der Zuhörer im Zollernalbhallen-Foyer den Ausführungen des Experten interessiert folgte, schien zwei bekannten Anhängern der Szene nicht zu gefallen, was sie dort hörten und verließen noch während des Vortrags den Saal, um sich noch ein angeregtes Gespräch mit den Polizisten vor der Tür zu liefern – echten Polizisten, wohlgemerkt, die die Veranstaltung absicherten.

Zwei Zuhörer gehen vorzeitig

Ein Sympathisant der kruden Thesen hatte seinem Unmut über die Veranstaltung schon im Voraus per ellenlangem Schreiben an Moderator Michael Würz, Onlineredakteur beim ZOLLERN-ALB-KURIER Luft gemacht. Darin bezeichnete er die Zeitung als Nazipresse und relativierte den Polizistenmord in Georgensgmünd. Durch ihren vorzeitigen Abgang verpassten die beiden die Diskussions- und Fragerunde mit den Zuschauern. Die Fragen gingen von ganz praktischen Angelegenheiten, wie etwa ein „Reichsbürger“ mit Fantasieausweis ins Ausland in den Urlaub fährt bis hin zur Erfassung und Bestrafung von Reichsbürgern.

„Es gibt tendenziell mehr Verurteilungen und weniger Bewährungsstrafen als früher“, erklärte Blum. Auch Michael Würz, der in den vergangenen Jahren zur Reichsbürgerszene im Zollernalbkreis recherchiert hat, spricht aus seiner Erfahrung, dass sich der Umgang mit dem Thema fundamental geändert habe: „Auch Staatsanwälte haben Reichsbürger eher belächelt und als Spinner abgetan, aber die Behörden zeigen zunehmend klare Kante.“

Diskussionen bringen meist nichts

Zuletzt gab Verfassungsschützer Blum den Zuhörern noch einen Ratschlag und einen Appell mit auf den Weg: „Versuchen Sie nicht mit Reichsbürgern inhaltlich zu diskutieren, das bringt nichts“, erklärte er. „Aber wenn Sie merken, dass jemand in Ihrem Umfeld Reichsbürgerthesen von sich gibt, dann helfen Sie ihm und lassen Sie ihn nicht in diese Szene abdriften, denn im Internet gibt es immer jemanden, der einem zustimmt.“ bs

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